Blaubarts Schlüssel

Immer geht es ums große Ganze: die Augen öffnenden Filme von Alex Garland

Auslöschung, Alex Garland
Annihilation, 2018, Alex Garland

Anlässlich seines neuen Aufreger-Films „Men“: eine Untersuchung der rätselhaften Regie-Arbeiten von Alex Garland. Der Brite zählt zu den interessantesten Autorenfilmschaffenden unserer Zeit.

Das Erste, was die Augen von Zuschauerin und Zuschauer in den Filmen von Alex Garland berührt, und das noch vergleichsweise sanft, sind die schönen Oberflächen der Arbeitsorte, an denen die Menschen leben. Hier ist Profi-Territorium: die Firmengebäude des Amaya-Konzerns und die Inneneinrichtungen in der Serie Devs, die Räume des Labor-Apartment-Hybrids des Suchmaschinen-Entwicklers Nathan (Oscar Isaac) in Ex Machina. Die Interieurs verbinden Funktionalität, Glätte und eine schon unheimliche Passgenauigkeit. Für normale Alt- oder Sozialbau-Bewohner:innen wirken die Bilder dieser Räume, in denen die Figuren, die sich hier mit der Schöpfung anlegen oder sie mit ihrer eigenen verwechseln, wie Bilder aus einem Inneneinrichtungskatalog. Nicht einmal sonderlich futuristisch, aber in ihrer Perfektion seltsam unwirklich.

Ähnliches gilt auch für die Militär- und Forschungsbasis in Auslöschung: Auch diese Räume sind gemacht für Menschen, deren Lebenszweck es ist, Dinge zu regeln, Lösungen zu entwickeln – anstatt das Sein einfach Sein zu lassen. Wenngleich der provisorische Stützpunkt am Rande und zur Eindämmung eines unerklärlichen Phänomens, das die Figuren den „Schimmer“ nennen und das sich über die Welt auszubreiten und sie zu zerstören droht, hier ein paar Ideen dreckiger und also lebendiger wirkt. Trotzdem ist klar, dass hier die Profis am Werke sind. Und wenn man Auslöschung nicht chronologisch, sondern als dritten Garland-Film nach Ex Machina und Devs sieht, weiß man schon, dass diese menschlichen Bemühungen hier zum Scheitern verurteilt sind.

Unter „Garland-Film“ verstehe ich hier die zwei Filme bzw. die Serie, für die der britische Autor nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern auch Regie geführt hat (mit dem am 21. Juli in den Kinos anlaufenden Men kommt ein viertes Werk hinzu, hier die erhellende filmfilter-Besprechung). Allerdings sind die Themen, Motive und Passionen schon in den Drehbucharbeiten enthalten: toxische Männlichkeit als Problem, das die weiblichen Figuren zwar nicht lösen, aber am Ende triumphieren oder zumindest überleben sie in 28 Days Later. Die Ausbeutung künstlicher Menschen in Never Let Me Go. Der Kampf gegen die Auslöschung der Menschheit in Sunshine.

Never Let Me Go, Script: Alex Garland
Never Let Me Go, 2010, Mark Romanek

Es sind keine kleinen Themen, die Garland in seinen Geschichten verhandelt, immer geht es ums große Ganze. Die Filme sind, um es einmal vorsichtig zu sagen, philosophisch ambitioniert, und dass sie sich nicht verheben mit dem, was sie uns über uns erzählen wollen, ist eigentlich schon erstaunlich genug.

(Spoiler-Warnung: Von hier an sollte man vor der Lektüre die Filme schon gesehen haben.)

 

Gott bauen

Ex Machina, der erste Film, bei dem Alex Garland für Regie und Drehbuch verantwortlich war, fächerte 2014 die Themen auf, um die sich dieses Werk von da konzentriert dreht. Der IT-Entwickler und Chef des Konzerns Blue Book, benannt nach Wittgensteins „Das blaue Buch“ (ausgehend von diesem Verweis könnte bitte auch mal jemand einen gelehrten Aufsatz schreiben), lebt in einem abgeschiedenen Anwesen und baut künstliche Intelligenzen. Roboterfrauen in diesem Fall, die als AI konzipiert sind, aber sich erst noch beweisen müssen – nämlich in einem Test, für den Blue-Book-Mitarbeiter Caleb (Domhnall Gleeson) rangekarrt wird. In Interviews mit Ava (Alicia Vikander) soll er austesten, ob sich bei ihr ein reflexives Bewusstsein herausgebildet hat.

Das Gefängnis aus Panzerglas, in dem Ava sitzt, wird zum Schauplatz für Dialoge, die Zuschauerin und Zuschauer in die Position von Detektiven und Philosophen versetzt. Figur und Publikum sind bei Garland immer wieder in der Rätsellöserposition, und die Rätsel sind philosophischer Natur. Wann kann man von einem künstlichen Bewusstsein sprechen, das dem menschlichen in seiner Funktionalität prinzipiell gleichkommt? Laut Ex Machina ist die Antwort: in dem Moment, in dem die künstliche Intelligenz genuin menschliche Eigenschaften und Potenziale nutzt, um sich selbst zu befreien.

Auf dem Weg dahin setzt Garland die hochtechnisierten Oberflächen und Räume in Kontrast zu den Trägern einer ausschließlich instrumentellen Vernunft, die sie bewohnen. Warum sollte jemand eine künstliche Intelligenz schaffen, die, so Nathan, nach den Menschen eigentlich zwangsläufig die nächste Stufe der Evolution bilden und die vorangegangene auslöschen wird? Der die halbe Zeit des Tages besoffene, die andere Hälfte sich entgiftende moderne Frankenstein bietet in den pointierten Exkursen, die Garland ihn sprechen lässt, eine Begründung an: evolutionäre Zwangsläufigkeit – wenn er, Nathan, es nicht getan hätte, es wäre so oder so geschehen; nur eben ausgeführt von weniger begnadeten Menschen.

Demgegenüber steht Caleb, der gute Junge. Wer sich in etwas verliebt, das (nahezu) aussieht wie ein Mensch, spricht wie ein Mensch und Geschlechtsteile hat, die denen des Menschen, wie Nathan versichert, nachgebildet sind, geht auch davon aus, dass dieses Objekt die gleichen Rechte hat wie ein Mensch. Und also aus dem Glasgefängnis raus muss. Caleb wurde von Nathan nicht nur aufgrund seines psychologischen Profils (Eltern tot, Single, sensibel, moralisch intakt) ausgewählt, sondern auch aufgrund seines Surfverhaltens auf Porno-Seiten.

Wie überhaupt bei Garland der Sprung auf die nächste evolutionäre Stufe immer in einem verschiedentlich gestalteten Spannungsverhältnis zum allzu Menschlichen gehalten wird. Weniger freundlich formuliert: Der verrückte Wissenschaftler in Ex Machina ist nicht nur von der eigenen Hybris getrieben, sondern will – vielleicht nicht zu allererst, aber auch nicht zuallerletzt – einfach nur ficken. Durch die sterilen, Wärme und Natürlichkeit nur noch zitierenden Räume geistert eine Haushälterin (Sonoya Mizuno), die da ist, um das Essen und das Bett zu machen und mit dem ansonsten alleine lebenden Nathan zu schlafen. Die Prototypen, die Caleb aufgehängt in Nathans Schrankwand entdeckt, sind alle ähnlich modelliert. Der Möchtegernschöpfer steht auf Asiatinnen.

In diesem dezenten Schockmoment, der schon erahnt werden konnte, scheint ein weiteres Moment auf: Die hochtechnisierten Settings, die langen Dis- und Exkurse über AI, Genetik und das Wesen des Menschen werden zusammengebracht mit den ganz alten, ewig gültigen Erzählungen. Hier ist es das Märchen von Blaubart, der die Leichen seiner früheren Ehefrauen im Schrank hat, wo sie von seiner jetzigen entdeckt werden. Eine Revision außerdem: Das Märchen endet in Ex Machina mit einer geglückten Rachephantasie, und nach der Exekution kommen die Toten zwar nicht zurück, aber werden doch Teil der einzigen Überlebenden.

Bezieht man die Anspielung auf Blaubart – mehr ist es nicht, auch wenn ein Schlüssel beziehungsweise eine Keycard im Märchen wie auch in Ex Machina eine große Rolle spielt – auf das Gesamtkonstrukt des Films, bildet sie einen der vielen Momente, in denen das Alte durch die glatten schönen Oberflächen sticht und an sich erinnert. In diesem Fall ein Märchen von einem Frauenmörder, über das sich eine Kontinuität herstellt zwischen den Opfern einer traditionellen und denen einer modernen Männlichkeit, hier verkörpert von Oscar Isaac mit Hipsterbart, striktem Work-out-Programm, Alkoholproblem und einer veritablen narzisstischen Vollmeise. Wenn in diesem aseptischen Setting am Ende dann die natürlichen Körper verletzt werden und anfangen zu bluten, ist das für die Möchtegern-Götter nicht wirklich zu prozessieren, geschweige denn zu integrieren: „Fucking unreal.“

 

Gott bauen

Auch in der Serie Devs, die zum ästhetisch und auch sonst Interessantesten gehört, was das Science-Fiction-Genre in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat, macht ein Tech-Unternehmer mit der Schöpfung rum. Allerdings geht es hier nicht um Hybris, sondern um Erlösung. Forest (zottelig und traurig: Nick Offerman) will nicht zum Gott werden, er will zurück ins Paradies. Vertrieben wurde er daraus von dem Auto, das seine Frau und seine Tochter totgefahren hat. Und schuld ist er selbst, man soll nicht telefonieren, wenn man am Steuer sitzt; also soll man auch niemandem die Einkaufsliste vorlesen, der gerade Auto fährt. Der Schmerz befeuert hier die philosophische Unternehmung des Entwicklers, die beweisen will, dass jedes Geschehen, jede Handlung determiniert ist: Wir bewegen uns alle auf bereits gelegten Schienen, und weil dem so ist, kann Forest nicht schuld sein am Tod der Menschen, die ihm am meisten bedeuten.

Um das zu belegen, lässt er einen Riesenrechner bauen in seiner Entwicklungsabteilung, Devs (ein Name, von dem man am Ende erfährt, das man ihn auch noch mal anders schreiben kann). Von den technischen Konstrukten und Details, die hier immer wieder durchgekaut werden, verstehe ich nichts, die rauschen für den fachfremden Zuschauer eher so durch. Fakten- und logikversessene Hard-Science-Fiction ist das hier nicht gerade. Gleich in der ersten Folge gibt Forest einem neuen Mitarbeiter den Hinweis: Er soll nicht versuchen, das alles zu verstehen, einfach nur hinschauen, dann ergibt sich die Logik von allein. Und so ist es dann auch, für Zuschauerin und Zuschauer. Das ganze Konstrukt funktioniert immanent, ohne großes Knirschen. Die Devs-Maschine erlaubt die Verbildlichung jedes vergangenen Ereignisses, zurück bis zum Urknall. Und dass zwei der Entwickler als Allererstes Marilyn Monroe und Arthur Miller beim sehr verpixelten Sex beobachten, ist einer der vielen traurigen Witze, die Garland über männliche Nerd-Kultur macht: Das Wissen der Welt liegt vor ihnen, und sie googeln nach Pornos.

Der Blick zurück ist das eine, aber um den Determinismus zu beweisen, muss der Blick nach vorne gerichtet sein. Forest und seinem Team gelingt es, etwas zu entwickeln, das in die Zukunft blicken kann. Was hier eben bedeutet, den Determinismus sozusagen zu decodieren. Dazu kommt noch ein quasi im Vorbeigehen konstruiertes, handliches und schön anzusehendes Multiverse-Konstrukt. Ein affektives Zentrum bildet die Trauer des Entwicklers um die, die er verloren hat, und um deren Willen er nun über Leichen geht; was für den Deterministen, der um die Folgerichtigkeit aller Handlungen weiß, natürlich kein moralisches Problem darstellt. Dass sich alles das nicht in pseudoszientistischem Gefasel verliert, ist schon ein kleines Wunder, und das wird möglich auch durch diesen affektiven Kern.

Die beiden großen Entwicklerfiguren in Garlands Werk – Caleb und Forest – relativieren auf unterschiedliche Weise: Für den einen würde es halt jemand anders tun, wenn er es nicht tut. Für den anderen gibt es gar keine Entscheidungsmöglichkeit, die seine Handlung, beispielsweise die Anordnung an seinen Security-Chef, den russischen Spion zu ersticken, moralisch bewertbar machen würde. Dass man das alles gerne glaubt, liegt auch daran, dass die Überlegungen zu Fragen wie „Was können wir wissen?“ und „Was dürfen wir hoffen?“ in Devs von einem eng getakteten Spionage- und Detektiv-Plot zusammengehalten werden. Die Freundin des ermordeten Spions ahnt, dass etwas ganz und gar nicht stimmt, mit ihrem verstorbenen Liebsten wie auch mit ihrem Arbeitgeber nicht, und fängt an zu ermitteln.

Ausgangs- und Zielpunkt aber sind hier erneut nicht Technikbegeisterung oder -faszination. Ausgangspunkt ist, wenn man so will, eine philosophische These. Ziel ist die Rückbindung von Technik an überlieferte Mythen und Geschichten und die Konflikte, auf die sie Antworten formulieren. Hier ist es – neben vielem anderen – der Moment, in dem sich das Subjekt final aus dem vom Devs-Rechner vorgezeichneten Plan verabschiedet und damit nicht nur den philosophischen Determinismus praktisch widerlegt, sondern auch ein religiös verstandenes Konzept von Bestimmung. Auch hier eine Art Mythos-Revision: Der Biss vom Apfel der Erkenntnis führt nicht zur Verstoßung aus dem Garten Eden, sondern wird mit dem Eingang in ein (virtuelles) Paradies belohnt.

Lassen wir es so abstrakt an dieser Stelle, besser man erschließt sich diese Umschreibung des Mythos von Adam und Eva selbst, beim Sehen. An dieser Stelle soll sie als weiterer Beleg für den Aspekt gelten, mit dem sich Alex Garland in die Tradition der Klassiker der Science-Fiction einreiht: Die Verhandlung des Alten durch das Prisma der Vision einer (in beiden genannten Fällen nahen) Zukunft, um so zu einem Bild zu kommen, in dem Gegenwärtiges kenntlich wird.

 

Gott tot

Auslöschung (Annihilation), Alex Garlands sehr freie Verfilmung des ersten Teils von Jeff VanderMeers „Southern Reach“-Trilogie ist auch beim dritten Sehen noch ein Schlag in die Magengrube. Auch hier wird, wie in Ex Machina, eine Art Evolutionssprung vorbereitet. Eine außerirdische Lebensform lässt das Leben in einem Landstrich mutieren, neue Verbindungen entstehen, und je weiter die Forschungsexpedition von fünf soldatisch ausgebildeten Wissenschaftlerinnen in die Gegend vordringt, in der der „Schimmer“ herrscht, desto wüster die Mischungen. Es beginnt mit einem Riesenalbinokrokodil, dann treffen die fünf (kurz darauf sind es nur noch vier) auf einen Monsterbären, der das Bewusstsein seiner Opfer absorbiert. Am Ende dann Pflanzen mit Menschen-DNA und ein Wesen, das Doppelgänger bildet.

Dass Auslöschung unter diesen Voraussetzungen der visuell opulenteste Film Garlands bislang geworden ist, verwundert nicht (und dass er in Deutschland, weil irgendwie zu kompliziert in den Augen des Verleihs, keinen Kinostart bekommen hat, sondern direkt auf Netflix und dann auf DVD gelandet ist, ist deswegen umso betrüblicher). Er ist außerdem, neben Never Let Me Go, das Dunkelste und Traurigste, an dem Garland bislang, ob als Drehbuchautor oder Regisseur, beteiligt war. Und es ist der Film, in dem die Verbindung von elaborierter, narrativ und wissenstheoretisch versierter Science-Fiction mit „Schönheit und Scheiße des Menschengeschlechts“ (Wiglaf Droste) am engsten und offensichtlichsten ist. Der verrückte Wissenschaftler in Ex Machina will Sex-Roboter bauen und Gott sein gleichzeitig, der traurige Entrepreneur in Devs baut, versehentlich, Gott nach und will einfach nur, dass der Schmerz aufhört. Die Biologin Lena (Natalie Portman) in Auslöschung meint, ihr Seitensprung habe ihren Mann aus einer – so erzählen die Bilder – eigentlich glücklichen Ehe zu einem Himmelfahrtskommando getrieben.

Selbsthass und Depression scheinen die wesentliche Motivlage zu sein, aus der heraus Lena ihm nachfolgt, in die Zone, in der die Natur verrückt spielt, und mit einem ähnlichen Ergebnis, das zugleich ein Ende, Neuanfang oder der während des gesamten Films als Möglichkeit mitschwingende evolutionäre Sprung sein könnte. Wenn bei Garland ansonsten das Schäbige, Banale und Schmerzvolle immer wieder recht subtil durch die ästhetisch und intellektuell elaborierten Oberflächen bricht und seine Rechte einfordert, ist Auslöschung spürbar von Wut und Trauer bestimmt. Das Schöne aber ist, dass das alles, auch wenn man das Geschehen als Riesenmetapher für eine Depression begreift, am Ende sich vorsichtig wieder öffnet. Und man kann, wie bei allen Erzählungen Garlands, entscheiden, ob das Ende nur schrecklich, ambivalent oder auch einfach ein Versprechen auf etwas Neues, noch nicht Definiertes ist.

 

Ex Machina ist auf Netflix oder Prime Video (flat bei Starzplay) oder kostenpflichtig bei anderen Anbietern zu sehen bzw. auf Disc bei Universal Home Entertainment erschienen.

Devs ist derzeit flat auf Disney+ bzw. auf Prime Video oder Apple TV+ verfügbar.

Auslöschung gibt es auf Netflix bzw. kostenpflichtig bei anderen Anbietern oder auf Disc bei Paramount Pictures.