Meersalz in der Suppe

Das blaue Naturvolk ist zurück. „Avatar: The Way of Water“ – im Kino

Cameron, Avatar 2
Avatar: The Way of Water, 2022, James Cameron

„Avatar 2“: Technikrausch, Zivilisationsfeindlichkeit, Naturmystik, Hippie-Kitsch? Im Wasser verlaufen sich die Widersprüche. James Camerons „Avatar“-Sequelserie ist gekommen, um zu bleiben und viel Geld zu verdienen.

Der erste Avatar ließ manche schon 2009 etwas ratlos zurück. Zum Beispiel mich. Im Vorfeld massiv beworben, wurde das knapp dreistündige Spektakel zum bis heute kommerziell erfolgreichsten Film aller Zeiten. Das konnte gelingen, weil Avatar als technische Revolution angekündigt wurde, ungekannte Sensationen in 3D versprach und überhaupt ein Kino darstellen sollte, das es bislang noch nie gegeben habe. Beim Abspann spätestens drängte sich dann allerdings die Frage auf, ob man nicht irgendwas übersehen hatte. Die Bilder waren nach dem mehrmonatigen Branchenhype und Werbegeschrei ernüchternd. Blaue Figuren schritten steif durch eine verkitschte, knallbunte Natur, Mimik war kaum erkennbar, und im Rückblick wirkt das Ganze wie ein mittelgut animiertes Playstation-4-Game. Aber da alle damals reingelaufen sind, musste irgendwas dran sein.

Der Plot und die Mythen, die Avatar auffährt, können nicht der Grund gewesen sein. James Cameron drechselte ohne erkennbare Bedenken eine an sich schon schlimme Neuauflage des Pocahontas-Mythos mit einer White-Savior-Fantasie und Naturmystik für Doofe zusammen. Ein Soldat, der im Körper eines native american (hier vertreten durch das edle, wissende Naturvolk der Na’vi) unterwegs ist, um Informationen zu sammeln und die Zerstörung des Unberührten vorzubereiten, wird von einer der edlen Wilden gerettet, verliebt sich und führt am Ende das Naturvolk gegen die kolonialen Streitkräfte der Zivilisation, die hier das eigentlich Barbarische sein soll, in den Krieg. Der Rest des Plots passt auf einen mit dem dicksten Edding beschriebenen Bierdeckel, und so bleibt in Avatar sehr viel Zeit, um mit weitschweifenden Dialogen über Göttinnen, das alles Verbindende der Natur und die Weisheit der von Technik und instrumenteller Vernunft angeblich Verschonten zu räsonieren. Untermalt wird das alles von einer recht quälenden, Enya-artigen Matschmusik. Immerhin ist der Film kürzer als Der mit dem Wolf tanzt.

Ein Rätsel also, dass Avatar so durch die Decke ging. Zumal die technischen Sensationen, die so sensationell dann eben auch nicht waren, sehr schnell wieder verpufften. 3D läuft inzwischen so mit, ist aber nur mehr eine standardisierte Variante von Kino und für die meisten Zuschauer:innen wohl auch nicht die optimale. Vielleicht auch ein Grund, warum der Film nach dem Hype kaum noch Thema war. Lars Schmeinck, Professor für Medienwissenschaft am Institut für Kultur- und Medienmanagement Hamburg und erster Vorsitzender der Gesellschaft für Fantastikforschung, hat kürzlich noch einmal daran erinnert, dass James Camerons Opus Magnum eigentlich mehr als zehn Jahre lang niemanden mehr wirklich interessiert hat. Verbunden natürlich mit der Frage, warum es ausgerechnet zu diesem Franchise nun doch noch, nach all den Jahren, das Sequel Avatar 2 (und die bereits angekündigten Teile drei, vier und fünf) geben muss.

Cameron, Avatar
Avatar – Aufbruch nach Pandora, 2009, James Cameron

 

Pandoras Büchse

Bevor wir zu Avatar 2 kommen, kann man sich noch einmal vergegenwärtigen, welche Ideologie in Avatar implizit mitschwingt. Ein ideologiekritischer Blick auf Filme hat im filmwissenschaftlichen Diskurs der vergangenen zwei Jahrzehnte sehr an Plausibilität und Glanz verloren. Teils mit Recht: Die Interpretationen gerieten dann doch oft sehr schematisch und sozusagen unfilmisch. Wer aber im Kino sitzt und sich mit Bildern langweilt, die aussehen wie das, was man in den Achtziger- und Neunzigerjahren von diesen Spraydosen-Künstlern auf jedem zweiten Flohmarkt kaufen konnte, muss sich das Geschehen irgendwie interessant machen. Zum Beispiel mit Subtextanalysen.

Klaus Theweleit war 2009 von Camerons Film zwar hörbar erschüttert („Kein Film hat mir je so die Eingeweide umgedreht wie James Camerons Avatar“), aber nicht so sehr von den Bildern selbst – allenfalls „hingerissen“ von einigen Bildpassagen sei er gewesen –, sondern „von dem Gefühl, dass dies so nicht geht“ (hier sein damaliger Essay im Spiegel-Archiv). Der Film nämlich sei, so Theweleit weiter, „pervers“. Und zwar weil Cameron Technik als Kriegsgerät und Terrorwaffe codiert, gegen die das erdverbundene Gute, Ursprüngliche (Indianer, Ureinwohner – Projektionsflächen aller Art für Angehörige der Kolonisatorenkulturen) sich mit Pfeil und Bogen zur Wehr setzen muss. „Kein einziges dieser Bilder der Schlacht gegen das Böse, gegen die Technologie, wäre möglich ohne die ausgefuchsteste Computertechnologie, die die Welt kennt. Wenn das nicht pervers ist, weiß ich keinen Sinn für dies Wort.“

So kommt, neben den sehr abgestandenen Mythen, die Cameron auffährt (wie gesagt, Pocahontas, Heldenreise, Naturmystik, die selbst einem Alternativmedizin-Workshop in Baden-Württemberg noch zu platt wäre), in Avatar ein gespaltenes Verhältnis zur Technik zum Ausdruck, wie man es in einigen Filmen Camerons findet. In Terminator 2 zum Beispiel taucht der Androide gedoppelt, also gespalten auf: einmal als Verfolger, einmal als helfende Vaterfigur. In Titanic ist das Schiff als Wunderwerk der Technik sowohl Ort des Schreckens wie auch ein Objekt der Faszination, nicht nur für die Figuren, sondern auch für den Filmemacher und dementsprechend auch für die Zuschauer:innen.

In Avatar wird die Technik auf der Leinwand dämonisiert und zelebriert. Vielleicht trifft es „Perversion“ dann doch nicht vollends, wenn man Cameron zugesteht, dass in seiner Mythologie unterschieden wird zwischen Technik als Potenzierung von Destruktionsmöglichkeiten (schlecht) und Technik als Mittel der Kreativität, Verbindung und Vermischung (gut). In Avatar tauchte diese Unterscheidung als Gegensatz zwischen Naturverbundenheit und Naturentfremdung auf. Wer erkannte, dass der Wald auf dem Planeten Pandora alles mit allem verbindet und alles eins ist (hier wieder Enya-Musik dazu denken), gehört zu den Guten. Wer nur ans Geld und an den Profit denkt und sich mit Maschinengewalt den Weg zu beidem freischießt, zu den Bösen. Und es ist natürlich richtig, wenn Nicolai Bühnemann in seiner perlentaucher-Kritik bemerkt, dass es in Avatar „letztlich nur um andere, archaische Formen der Naturbeherrschung“ geht (wenn Sie eine Gegenstimme zu unserer Kritik des Films lesen wollen, dann am besten die).

Cameron, Avatar 2
Avatar: The Way of Water, 2022, James Cameron

 

Das Sequel, auf das niemand gewartet hat

Wie steigt nun Avatar: The Way of Water fast fünfzehn Jahre später wieder ein? Auf der Ebene der Ideen und Mythen bleibt alles mehr oder weniger gleich. Aber der Film funktioniert doch besser als sein Vorgänger. Was auch wieder mit technischem Fortschritt zu tun hat. Die blauen Indianer haben nun sowas wie Gesichtsmuskulaturen und können lächeln, lachen und weinen, ohne dass man das Gefühl hat, dass gleich einer einen Krampf bekommt. Der Plot ist zwar wieder weitgehend egal und einfach die Schnur, an die dann Krachbumm-Szenen gehängt werden. Aber zumindest funktioniert die Geschichte einer Familie, die ins Exil geht, um den eigenen Stamm zu schützen, halbwegs gut. Schon weil der Film den Willen erkennen lässt, überhaupt eine Geschichte zu erzählen.

Jake Sully (Sam Worthington) sehen wir in diesem Film nur noch in seiner Avatar-Gestalt, als Na’vi. Der ganze Komplex „Künstlicher Körper“/„Heilwerden durch Kontakt mit dem Anderen“ ist gestrichen. Stattdessen bildet hier die Kleinfamilie auf der Flucht das Zentrum der Geschichte. Die Mittel, die Cameron zur Emotionalisierung verwendet, gehören zu den einfachsten und werden ähnlich subtil in Anschlag gebracht wie in, zum Beispiel, Titanic: Kinder in Gefahr, sorgender Vater, der aber nicht alle retten kann, die Schlachtung dezidiert pazifistischer Wale, einer davon schwanger. Spätestens nach der letztgenannten Szene schwindet auch das letzte Mitleid mit den Soldaten, die, inzwischen ebenfalls in Na’vi-Gestalt, in der letzten Stunde von den wilden Krieger:innen zerlegt werden. Man soll sich als Zuschauer:in ganz den eigenen Rachephantasien hingeben (hier wieder Enya-Musik dazu denken).

Der weiße Erlöser ist aus der Plot-Konstruktion verschwunden, sowas würde einem Film heute auch nicht mehr ohne Weiteres verziehen. Stattdessen konzentriert sich Avatar 2 auf Mischformen: Mensch-Na’vi-Hybride, böse Marines, die sich die Körperkraft der Na’vi aneignen, aber ihre Weisheit nicht sehen können, oder ein Mogli-artiger Menschenjunge, der bei den Wilden aufwächst. Das ist graduell interessanter als die postkolonialen Wahnvorstellungen, die den ersten Teil dominierten, wird am Ende aber eben nur angetippt, weil der Film vor lauter Zeigelust und Opulenz gar nicht weiß, wohin mit seiner Story und seiner Message, die es dann ja leider auch noch braucht. Gerade die Unterwasserbilder sind in ihrer vielleicht unbeabsichtigten Artifizialität und Entkörperlichung wirklich schön. Es sind übrigens nicht wenige; nachdem Jake Sully mit seiner Familie zu einem Stamm, der am Meer lebt, geflohen ist, wird in Avatar 2 eigentlich fast nur noch geschwommen und getaucht. Am Ende geht es dann zwar doch wieder nur darum, wer wen zuerst abschlachtet. Aber der lange Anlauf, den der Film zu seinem ebenfalls ausgewalzten Finale nimmt, ist schon faszinierend.

Insofern also ist Avatar 2 der gelungenere, weil weniger langweilige Film. Von der Doppelung und Spaltung der Technik als Feind und Faszinosum möchte sich auch The Way of Water nicht verabschieden. Von den nun allerdings kürzer ausgefallenen Monologen über den Zauber und die Kraft der Natur auch nicht. Nun ist es nicht mehr der Wald, sondern das Wasser, das alles verbinden soll, und Walfang ist schlimmste Versündigung an der Natur. Die Szene, als eine der edlen Wilden den Tod eines schwangeren Walweibchens beklagt – sie beide hätten oft zusammen musiziert und sie hätte sich so auf ihr Kind gefreut –, ist einer der vielen Versuche Camerons, so etwas wie menschliche Emotionen in seinen Technikrausch einzuspeisen. Ob das gelingt, muss jede:r selbst beurteilen. Aber der Wille ist da.

Die Melange aus Zivilisationsfeindlichkeit, die die eigene Eingebundenheit nicht reflektiert, und Naturmystik-Kitsch ergibt letztlich aber etwas hippiesk-dumpf und verblödend Anmutendes. Wo Wale sich einen pazifistischen Ehrenkodex auferlegen und Eingeborene ihre Rastazöpfe kabelartig in die Antennen von quietschbunten Tieren stecken, um so verbunden mit allem in den Krieg gegen die geldgeilen Zivilisierten zu ziehen, in einem Film, dessen erster (wenn auch vielleicht nicht letzter) Zweck es ist, möglichst viel Geld zu machen – an diesem Ort ist das Denken zu Ende. Man kann sich also einfach der Faszination hingeben, die diese Bilder ausstrahlen mögen. Oder man lässt es und spart sich auch Teil drei, vier und fünf. Nicht zuletzt faszinierend ist auch an Avatar: The Way of Water wieder die Gleichzeitigkeit von maximalem Aufwand und einer geradezu bedrückenden Banalität.