Adams und Eva

Gewagte Geschlechter-Gemengelage: „Men“ von Alex Garland

jessie buckley, men
Men, 2022, Alex Garland

Die Männer in Alex Garlands neuem Film sind Teufel, Priester, Schöpfer, Opfer; die Frau beißt in den (sauren) Apfel. „Men“, mit Jessie Buckley und Rory Kinnear, vermählt das Alte Testament mit zeitgenössischem Geschlechterkampf.

Als die junge Frau in den Garten tritt, stellt sich ihr ein Apfelbaum in den Weg und lockt mit seinen Früchten. Zögerlich zunächst, dann aber entschlossen greift sie sich ein besonders schönes, rotglänzendes Exemplar und beißt mit Schmackes hinein. Am Fenster des Hauses im Hintergrund steht ein Mann und beobachtet die Szene; kurz darauf wird er eine tadelnde Bemerkung zum Apfel-Klau machen und sie als Scherz ausgeben.

Aber das Publikum weiß, dass mit Äpfeln, die Frauen von Bäumen klauben, nicht zu scherzen ist, ebensowenig wie mit den Äpfel klaubenden Frauen. Frauen, die in Äpfel beißen, stehen im Kontext von: Baum der Erkenntnis, Verführung durch die Schlange, Sündenfall, Vertreibung aus dem Paradies; nachzulesen in: Bibel, Altes Testament, 1. Mose 3.

Dort steht auch geschrieben, dass Adam, der feige Faulenzer, der gleichermaßen und ohne langes Hadern in den Apfel, den ihm Eva reichte, hineinbiss, hinterher – als nämlich Gott-der-Herr-über-alle-Äpfel stirnrunzelnd den Verbleib dieses einen inquirierte – nichts damit zu tun gehabt haben wollte. Das Weib allein sei es gewesen, sie und ihre Neugierde, sie sei schuld. Die Frau wiederum beschuldigt die Schlange, diese habe sie hereingelegt. Gott aber lässt sich nicht in die Irre führen, er ist gerecht und straft alle drei gleichermaßen. Also muss die Schlange „auf dem Bauche kriechen“, die Frau muss „mit Schmerzen Kinder gebären“ und der Mann „im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen“.

jessie buckley, men, garland
Jessie Buckley in Men

Schweifen wir ab? Nein, tun wir nicht. Ganz im Gegenteil. Weil nämlich im weiteren Verlauf von Alex Garlands vielschichtigem (Body-)Horrorfilm Men der Versucher vielerlei unheimliche Gestalt annehmen wird; er wird sich häuten, sich aus unterschiedlichen Körperöffnungen heraus immer wieder aufs Neue selbst gebären – und damit neben der christlich abendländischen auch die griechisch-antike Tradition(*) noch ins mythen-gefüllte Boot holen –, und er wird die gespaltene Hand-Zunge nach der Frau recken. Hilfesuchend sieht das dann aus, erbärmlich und gequält, und so, als wäre die Frau die Erlösung, böte Gnaden- und Heilsversprechen.

Dabei hatte Harper, so der Name der Apfeldiebin, sich eigentlich nur ein, zwei Wochen von einem tragischen, eher: traumatischen Ereignis erholen wollen und sich zu diesem Behufe das hübsche Cottage auf dem Land gemietet. Spaziergänge an der frischen Luft und in der paradiesischen englischen Landschaft würden, so der Plan, dabei helfen, auf andere Gedanken zu kommen. Aber was passiert? Ein nackter Irrer strolcht in ihrem Garten herum; der Pfarrer, dem sie ihr Herz ausschüttet, beschuldigt sie, das Unglück überhaupt erst verursacht zu haben; ein Junge, der viel zu erwachsen aussieht, nennt sie eine Bitch. Und sehen diese Männer einander nicht überhaupt alle verteufelt(!) ähnlich? Und wäre das nicht ohnehin folgerichtig, sind doch alle Männer gleich und wollen bekanntlich nur das Eine.

Keineswegs zufällig auch zeigt der Taufstein in der Kirche auf der einen Seite den strahlenartig blattumkränzten Kopf eines faunartigen Wesens und auf der anderen Seite eine Sheela na gig(**), eine kleine hockende Frau, die der Welt ihre aufgespreizte Vulva zeigt.

Garland, der mit Men ein eigenes Drehbuch verfilmt (hier unser Essay zu seinem bisherigen Schaffen), rührt darin eine so faszinierende wie gewagte Gemengelage aus Fruchtbarkeit und Todestrieb und Gebärneid an, in der der Mann mal der Teufel, mal das Opfer, mal der Schöpfer ist und die Frau mal die Große Göttin und Urmutter und mal das Geschöpf des Mannes respektive des Demiurgen. Dass aus diesem Hexenkessel am Ende kein Trank mit nur einer spezifischen Wirksamkeit destilliert wird, ist denn auch kein Versäumnis, sondern ein Angebot. Das einem beispielsweise in Erinnerung ruft, wie urururalt die narrativen Muster des Horrorgenres im Grunde sind.

So lässt denn auch der Showdown die klischeehafte Trope vom Slasher und dem Final Girl weit hinter sich, ja, er pulverisiert sie geradezu und dringt stattdessen in abstrakt-symbolische Gefilde vor. In welchen sich im Kampf dieses einen Mannes, der viele ist, mit dieser einen Frau, die ganz sie ist, der Geschlechterkampf nicht nur verdichtet, sondern seine gesamte Jahrhunderte alte Geschichte in all ihren Ausprägungen unterschiedlicher kultureller Praxis mit sich trägt. Denn das Verhältnis zwischen Adam, Eva, der Schlange und Gott – d.i. Mann, Frau, sinnliches Chaos und höhere Ordnung – ist ambivalent, war es und wird es bleiben. Es schillert wie eine Schlangenhaut.

Und das lassen wir jetzt einfach mal so stehen; langweilig wird es einem mit diesen Men jedenfalls nicht.

 

(*) Zeus‘ Schenkelgeburt des Dionysos (d.i. der sinnlich-entgrenzenden Tradition) sowie Zeus‘ Kopfgeburt der Athene (d.i. Primat der Vernunft und Aufklärung).

(**) Figurenreliefs aus dem 12. Jahrhundert, die sich heute noch in Kirchen Irlands und Englands finden und denen apotropeische (d.i. Unheil abwehrende) Macht zugeschrieben wird. Die aber freilich ebensogut auf alte Fruchtbarkeitsrituale verweisen (können), die das Christentum sich einverleibt und umgedeutet hat.

 

Men
Großbritannien 2022, Buch & Regie Alex Garland
Mit Jessie Buckley, Rory Kinnear, Paapa Essiedu
Laufzeit 100 Minuten