American Nightmare

Unser Beitrag zum Weltfrauentag: ein kraftvoller True-Crime-Dreiteiler

Huskins, Morris, Higgins, American Nightmare
American Nightmare, 2024, Bernadette Higgins, Felicity Morris

„American Nightmare“: ein erschütternder Entführungsfall, aber so wuchtig die Geschichte, so abgegriffen die filmischen Mittel – auf Netflix.

Denise Huskins wird aus dem Haus ihres Freundes Aaron Quinn entführt. Er wird unter Drogen gesetzt und meldet die Entführung erst Stunden später der Polizei. Denise bleibt zwei Tage verschwunden, wird in dieser Zeit zweimal vom Täter, dem erst Monate später verhafteten Matthew Muller, vergewaltigt. Dann lässt er sie frei.

Die dreiteilige Netflix-Doku American Nightmare rekonstruiert den Fall und vor allem die grotesk fehlgeleiteten Ermittlungen der Polizei von Vallejo (Kalifornien) und dann des FBI. In den Monaten zwischen dem Überfall und der Verhaftung Mullers wird zuerst Aaron verdächtigt, dann Denise selbst. Ihr wird vorgeworfen, ihre Entführung nur inszeniert zu haben.

Der Fall ist acht Jahre her. Muller wurde 2017 zu 40 Jahren Haft verurteilt, nachdem eine Polizistin mit regulärer Polizeiarbeit, also der schlichten Verknüpfung von ähnlich gelagerten Fällen, Muller als Verdächtigen identifiziert hatte – gegen das Phlegma beziehungsweise die Widerstände der Polizei und des FBI wohlgemerkt. Denise und Aaron haben 2021 ein Buch über ihre Geschichte veröffentlicht, „Victim F: From Crime Victims to Suspects to Survivors“ und bekamen 2,5 Millionen Dollar Schadenersatz.

Aaron Quinn, American Nightmare
Aaron Quinn, der Lebensgefährte von Denise Huskins

Fälle, die zuallererst von einer besonders auffälligen Häufung polizeilicher Fuck-ups bestimmt werden, sind eines der großen Subgenres im True Crime. Initialzündung für die anhaltende Flut an True-Crime-Podcasts war der 2016 erschienene „In the Dark“, der im Wesentlichen von den Versäumnissen der Ermittlerinnen und Ermittler bei der Suche nach dem verschwundenen elfjährigen Jungen Jacob Wetterling erzählt. Der Netflix-Dauerbrenner Making a Murderer, analog zu „In the Dark“ die Zündung für den True-Crime-Boom auf den Streaming-Plattformen, wendete die Geschichte dann ins Böswillige: Jetzt waren nicht mehr nur Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit, also menschliches Versagen, verantwortlich für die Fehlverurteilung, sondern mutwillige Unterstellungen und böser Wille.

Setzt man „In the Dark“ an den einen Pol auf einer Skala und Making a Murderer an den anderen, liegt American Nightmare in etwa in der Mitte: Die Cops und FBI-Ermittler glauben tatsächlich daran, dass Denise die eigentliche Täterin, also eine Betrügerin ist. Aber die Gnadenlosigkeit, mit der sich hier Vorverurteilung und haltlose Theorien entfalten, grenzt dann schon wieder an Vorsatz. Man muss das wollen: eine junge Frau, die sagt, sie sei mehrfach vergewaltigt worden, aufgrund eines dürren Verdachts in den Medien durch den Dreck ziehen, mit dem erwartbaren Scheißesturm als Resultat. Mal ganz abgesehen von der so infernalischen wie gewaltvollen Radikalverblödung der News-Sendungen, die Denise mit Verweis auf Gillian Flynns Thriller-Bestseller „Gone Girl“, in dem eine Frau ihre eigene Entführung simuliert, als „the real gone girl“ titulieren.

Leider wird der Dreiteiler der Regisseurinnen Felicity Morris und Bernadette Higgins, die zuletzt den Netflix-Hit The Tinder Swindler (mehr dazu hier) fabriziert hatten, der Wucht der Geschichte nicht gerecht, einfach, weil Bild und Sound letztere in ihrer Wirkung mit arg abgebrabbelten filmischen Mitteln maximieren wollen. Das fällt besonders unangenehm in der zweiten Folge auf, in der Denise von ihrer Gefangenschaft und Vergewaltigung erzählt. Man hätte diesen Monolog einfach so lassen können, wie er ist, als Erzählung eines Opfers. Stattdessen klatschen Higgins und Morris schlimme Klebemusik und dramatisierende Soundeffekte hinter besonders unangenehme Sätze und ballern jede notwenige Distanz zwischen Zuschauerblick und dem Gesicht der Erzählenden mit Close-ups kaputt. Was an True Crime ästhetisch falsch und in einem denkbar schlechtesten Sinne sensations- und leidensgeil sein kann, kommt in dieser Sequenz zusammen.

Seine Kraft bezieht American Nightmare also allein aus der Geschichte selbst, und die ist auch mit den gröbsten Inszenierungsstrategien nicht kaputt zu machen. Die Anballung polizeilicher Ignoranz, einer sehr spezifischen Dummheit, die man vornehm gerne mit dem Begriff confirmation bias beschreibt, unübersehbarer Misogynie, die gar nicht erst auf den ja eigentlich recht simplen Gedanken kommt, dem Opfer Glauben zu schenken, und der hier einmal wieder vollends obszönen Sensationslust der Medien – das alles ergibt eine in ihrer brutalen Groteskheit immer wieder niederschmetternde Mischung.

Weitere Netflix-Empfehlungen zum Thema in der zweiten Hälfte dieses früheren Beitrags.

American Nightmare
USA 2024, Regie Felicity Morris, Bernadette Higgins
Laufzeit 135 Minuten, geteilt in drei Episoden