American Fiction

Jeffrey Wright besticht als eigenwilliger Literaturprofessor – leider nicht im Kino.

Jefferson, Wright, American Fiction
American Fiction, 2023, Cord Jefferson

„American Fiction“: Für seine hintersinnige Komödie über kulturelle Aneignung und Alltagsrassismus wurde Cord Jefferson mit dem Drehbuch-Oscar ausgezeichnet. Statt im Kino kommt der Film auf Prime Video.

Der US-amerikanische Diskurs über kulturelle Aneignung, Alltagsrassismus und rassistische Polizeigewalt ist im deutschsprachigen Raum so präsent, dass man den Aufschlagwitz der amerikanischen Komödie American Fiction genau so lustig finden kann wie zum Beispiel ein College-Dozent in Berkeley. Thelonious „Monk“ Ellison (Jeffrey Wright) unterrichtet Literatur, es geht um Flannery O’Connors Text „The Artificial Nigger“. Ein weiße Studentin mit Billie-Eilish-Frisur beschwert sich über das N-Wort, es sei falsch. „I think it still has two G’s in it, last time I checked“, erklärt Monk latent entnervt. Das sei nicht komisch, kontert die Studentin, und hat ebenfalls einen Punkt: „We shouldn’t have to stare at the N-word all day.“ Er behandele in seiner Klasse die Literatur des amerikanischen Südens, versucht es Monk noch einmal, in einem letzten Vermittlungsversuch. „You’re going to encounter some archaic thoughts, coarse language, but we’re all adults here and I think we can understand it within the context in which it’s written.“ Nein, sagt die Studentin, das Wort sei „offensive“.

Liest sich erst einmal nicht sehr lustig, die Komik entsteht auf dem Bildschirm (in die hiesigen Kinos hat es der mehrfach oscarnominierte Film, der dann auch einen Drehbuch-Oscar gewonnen hat, aus unerklärlichen Gründen nicht geschafft). Sie entsteht durch die unterschwellige Aggression und die leise Absurdität, die sich hier in einem Streit zwischen einem schwarzen Dozenten und einer weißen Studentin entfaltet. „With all due respect, Brittany. I got over it. I’m pretty sure you can too.“ Brittany verlässt verärgert den Klassenraum, Monk bekommt von seinen Vorgesetzten eine längere Auszeit nahegelegt.

Die Szene wäre nicht komisch, wäre der Dozent weiß und die Studentin schwarz. American Fiction, der passendste Titel, den dieser Film haben kann, macht gleich zu Beginn klar, dass nahezu jede Interaktion, jeder Dialog sich hier nur ganz verstehen lässt, wenn man zumindest die groben Koordinaten des Diskurses um Race-Kategorien und Literatur kennt. Was in diesem Fall nicht nur eine auf Komik, sondern auch auf Tragik zielende Prämisse bedeutet: Monk kämpft in seinem literarischen Schreiben als bestenfalls semi-erfolgreicher Autor darum, jenseits dieser Kategorien wahrgenommen zu werden.

Alexander, Wright, Jefferson, American Fiction
Erika Alexander, Jeffrey Wright

Nach dem dritten Glas Wein versucht er sich mit den Mitteln seiner Profession, dem Verfassen eines Textes, an einem Literaturbetrieb zu rächen, in dem weiße Verlagsleiterinnen, Lektoren und das Publikum ganz wild auf die nächste authentische Ghetto-Geschichte in pseudo-authentischen Slang sind; das aktuelle Buch seiner Nemesis, der afroamerikanischen Autorin Sintara Golden (Issa Rae) aus gutem Hause heißt „We’s Lives In Da Ghetto“. Unter Pseudonym schreibt Monk einen aus einer Aneinanderreihung von Klischees bestehenden Kurzroman – und wird zum Star. Sein Verleger legt ihm nahe, sich eine Kriminellenbiografie dazuzudichten, der Roman geht durch die Decke. Das Finale ist dann sehr folgerichtig eine Literaturpreisverleihung, in der Monk sein eigenes Buch als Jurymitglied auszeichnen muss.

Der Plot ist sehr komisch, die Dialoge auf dem Punkt und der immer wieder abrupte Schnitt akzentuiert die absurden Volten formvollendet. Jeffrey Wright ist großartig als frustrierter, ausdauernd sarkastischer, in seiner stillen Verzweiflung sehr liebenswerter Intellektueller. American Fiction wird von einer sehr guten Komödie zu einem brillanten Film aber erst dadurch, dass er das einlöst, was seine Hauptfigur mit zunehmend manischem Eifer verfolgt. Er erzählt wie nebenbei in seinen Plotverästelungen Geschichten, die jenseits des Rassismus-Diskurses laufen, also von ihm abgelöst sind. Alltägliches und Familiendramen: Monk verliebt sich, seine Schwester stirbt, sein geschiedener Bruder beginnt ein neues Leben als schwuler Mann. Das Leben halt.

In diesem Sinne ist „American Fiction“ auf eine strahlend intelligente Weise dialektisch gebaut. Monk verfolgt sein Ziel mit zunehmend ungesundem Eifer: ein Leben und vor allem ein Arbeitsleben, in dem seine Identität nicht entscheidend ist, sondern der Mensch und der Text an sich. American Fiction aber insistiert immer wieder darauf, dass es nicht einfach möglich ist, den Blick der anderen zu ignorieren oder gar zu negieren; auch nicht durch intellektuelle Brillanz. Die Koordinaten sind nach ein paar hundert Jahren Geschichte des Rassismus gesetzt und greifen immer wieder ein in Leben und Text (und in die Vermarktung des Textes).

Akademisch formuliert: Alle sind hier in eine strukturell rassistische Matrix eingespannt, und Farbenblindheit ist ein aufklärerisches Ideal, das dazu tendiert, diese Wirklichkeit zu verschleiern, wenn man so tut, als würde alles das für die eigene Wahrnehmung keine Rolle spielen.

Die fiesesten (und damit auch lustigsten) Witze gehen hier auf Kosten der Mehrheitsgesellschaft. Die Verlagsmitarbeiterin, die nach dem nächsten Bestseller eines schwarzen Autoren sucht, die Studentin, die sich aufführt, als sei sie selbst von der Gewalt des N-Worts unmittelbar betroffen, der schlimm vertrottelte Stiftungsleiter, der seine Literaturpreisjury divers besetzen will, weil ihm jemand gesagt hat, dass man das jetzt so macht – sie alle kommen furchtbar schlecht weg. Überraschend gut steht am Ende hingegen die Autorin von „We’s Lives In Da Ghetto“ da, die eigentlich auch nichts anderes tut als Monk, nur eben nicht als Witz, sondern als Karrierestrategie: den Buchmarkt und die Schuldgefühle von liberalen weißen Amerikaner:innen zu bedienen und auszubeuten. Und warum auch nicht.

American Fiction macht spätestens in seiner letzten Szene klar, dass das „I got over it“ aus der ersten ein Wunsch und keine Zustandsbeschreibung ist. Klar wird aber auch, dass Identitätspolitik kein Ausweg, sondern ebenfalls eine Festschreibung bedeutet, mit großen komischen Potenzialen allerdings. In dem Sinne ist American Fiction dann auch eine Tragödie (und Monk schreibt nicht umsonst, wenn er es ernst meint und keine Ghetto-Fiction, sondern ein Buch über Aischylos) – man kommt nicht raus. Nicht nur akademisch, sondern irgendwie marxistisch formuliert: Man kommt nicht raus, so lange die gesellschaftlichen Bedingungen, die etwas wie Rassismus folgerichtig werden lassen, nicht abgeschafft sind. Das wäre dann aber noch einmal ein anderer Film.

 

American Fiction
USA 2023, Regie und Buch Cord Jefferson
Mit Jeffrey Wright, Tracee Ellis Ross, Sterling K. Brown, John Ortiz, Erika Alexander, Issa Rae
Laufzeit 117 Minuten