Ins Schwarze getroffen

Interessante neue Noir-Miniserien

Scott, Zaillian, Ripley, 2024
Ripley, 2024, Steven Zaillian © Lorenzo Sisti/Netflix

„Ripley“ (Netflix) und „Sugar“ (Apple TV+): Ein Hochstapler und ein Detektiv bekommen den Noir-Look verpasst.

Lieber ein falscher Jemand sein als ein echter Niemand. Alain Delon, John Malkovich: Einige gefeierte Schauspieler haben den Hochstapler Tom Ripley gespielt, am prominentesten vielleicht der hochtalentierte Matt Damon. Für viele wird der moralisch verfaulte Schwindler immer Damons Milchbubi-Gesicht tragen. Anthony Minghellas The Talented Mr. Ripley (1999; ebenfalls bei Netflix) schillerte in der italienischen Sonne, im Vergleich dazu macht die neue Miniserie Ripley, geschrieben und inszeniert von Steven Zaillian, aus dem Gauner einen Noir-Antihelden. Im Schatten der Sonne Italiens zappelt der wie eine Blindschleiche.

Visuell und klanglich könnte sich der aktuelle Achtteiler nicht stärker von der berühmten Hollywood-Verfilmung unterscheiden. Zaillian (Autor von Schindler’s List, The Irishman und American Gangster) hat die Geschichte ihrer Erotik und Sinnlichkeit beraubt, aber was auf den ersten Blick prätenziös wirkt, stellt sich als stylischer Kunstgriff heraus.  Komplett in Schwarzweiß von dem fantastischen Kameramann Robert Elswit (There Will Be Blood) gedreht, mit einer Fülle von atemraubenden Bildern und Schattenspielen, sieht die Serie im Grunde aus wie ein Gemälde von Caravaggio mit den für ihn typischen, dramatischen Hell-Dunkel-Kontrasten.

Wer mit der Geschichte nicht vertraut ist: Der titelgebende Tom Ripley – eine herrlich korrumpierte Kopfgeburt von Patricia Highsmith – soll den verwöhnten Dickie (hier gespielt von Johnny Flynn, bei Minghella war es Jude Law), Lebemann und Sohn reicher New Yorker Eltern, von Italien nach Hause bringen. Stattdessen verliebt er sich in ihn, oder besser gesagt, Ripley verliebt sich in Dickies Dolce Vita, und diese Verliebtheit führt schnell zu einer Besessenheit – und Mord. Er beginnt, sich Dickie wie ein Menschenkostüm anzuziehen.

Andrew Scotts Ripley ist weitaus weltmüder als Matt Damons. Sein Betrüger ist ein mürrischer, nervöser Kerl, wirkt deprimiert und freudlos. So kennt man den „heißen Priester“ aus Fleabag eigentlich gar nicht. Der irische Schauspieler, auch bestechend in All of Us Strangers, legt die Figur reichlich psychopathisch und auch wunderbar makaber an. Am besten ist er, wenn wir mit ihm allein sind, wenn er etwa mit den Augen rollt, weil er wieder nicht weiß, wie er eine Leiche wegschaffen soll. Auch großartig: Maurizio Lombardi als Polizeiinspektor und John Malkovich in einem netten Cameo.

Dem Film Noir und den amoralischen Tümpeln der Menschheit verbunden ist auch eine andere neue Serie. Der stylische Achtteiler Sugar (bei Apple TV+) beginnt ebenfalls in Schwarzweiß, bevor er nach der ersten Szene zu Farbe wechselt, aber er ist im Gegensatz zu Ripley ein wenig menschenfreundlicher.

Auch hier steckt ausgesprochen viel Talent vor und hinter der Kamera: Der Brasilianer Fernando Meirelles, der uns Filme wie City of God (2002) und The Constant Gardener (2005) geschenkt hat, führte bei fünf Folgen Regie (den Rest drehte Adam Arkin, Pig). Vom sonnengebleichten Vorspann bis zum jazzigen Saxophon und dem lakonischen Voiceover im Sunset Boulevard-Stil ähnelt Sugar vielen Klassikern des Genres, insbesondere den Geschichten über Raymond Chandlers legendären Privatdetektiv Philip Marlowe, am bekanntesten gespielt von Humphrey Bogart in The Big Sleep (1946) unter der Regie von Howard Hawks.

Colin Farrells titelgebender Privatermittler hat ein Faible für diese Filme. Er fährt eine alte Corvette und trägt die Waffe, die Glenn Ford angeblich in The Big Heat verwendet hat, würde aber lieber keine Gewalt anwenden. John Sugar ist ein hilfsbereiter Mensch, der Obdachlosen Flugtickets kauft und lieber „darüber reden“ möchte, bevor er einem Kerl eine Kugel in die Brust schießt. Fast überflüssig zu sagen, dass der (ebenfalls) irische Schauspieler Farrell den lässigen Melancholiker im Schlaf spielen kann. Als wir ihm zum ersten Mal begegnen, löst er gerade einen Fall in Tokio, aber zurück in L.A. wird er in die Villa eines legendären Filmproduzenten (James Cromwell) bestellt, dessen vermisste Enkeltochter (Sydney Chandler) er finden soll.

Die von Mark Protosevich (I Am Legend) kreierte Miniserie spielt in der heutigen Zeit und handelt von sexuellem Missbrauch in der Branche, sie ist aber auch eine vollblütige Hommage an den Hollywood-Noir. Immer wieder blitzen kurze Szenen aus Crime-Klassikern mit Elliot Gould und Glenn Ford auf. Sugar fährt zum Beispiel irgendwohin und wir erhaschen einen Blick auf Robert Altmans The Long Goodbye (1973) oder Fritz Langs The Big Heat (1953). Irgendwann sehen wir William Holden tot in Gloria Swansons Schwimmbad treiben.

Sugar macht kein Hehl aus ihrer weidlichen Nutzung von Klischees. Von den US-Kritiker:innen im Schnitt nicht ganz so stark wie Ripley eingestuft, hat aber auch die noireske Apple-Serie ihren Reiz. Ähnlich wie Tom Ripley ist auch John Sugar ein falscher Jemand mit einem Geheimnis (das hier nicht gespoilert werden soll). Einige werden ihn lieben, andere verfluchen, kaum jemanden wird er kalt lassen.