Body Horror

Anlässlich „Infinity Pool“: eine Analyse des Body-Horror-Genres

Cronenberg, Infinity Pool
Infinity Pool, 2023, Brandon Cronenberg

Body Horror unter der Lupe: Brandon Cronenbergs neuer Film „Infinity Pool“ eröffnet das Slash-1/2-Festival (am 4. Mai im Wiener Filmcasino) und läuft in Deutschland regulär im Kino. Wir nehmen den Film zum Anlass, das Subgenre des Body Horrors genauer zu durchleuchten. Dazu zehn exemplarische oder exzeptionelle Beispiele aus der Filmgeschichte.

Die Eheleute James (Alexander Skarsgård) und Em (Cleopatra Coleman) machen Urlaub in einem von hohen Zäunen eingerahmten Luxusresort im fiktiven Staat La Tolqa. Vor den Zäunen herrschen Armut und staatliche Willkür, im Resort lassen die Touristen sich die Landesfolklore vorführen und fressen Nobelküchenerzeugnisse in sich hinein. James ist ein nach seinem Debüt ideenloser Autor. Sie ist Verlegertochter, der der Vater verboten hat, einen Schriftsteller zu heiraten. Und dann macht sie natürlich genau das und wird unglücklich. Ein Leben in der luxuriösen Entfremdung, zwei Menschen, die nicht wirklich was miteinander anfangen können und aus Gründen zusammen sind, die mit Liebe in einem engeren Sinne wenig zu tun haben.

Brandon Cronenbergs neuer Film Infinity Pool beginnt wie eine Erzählung über die erlahmte Ehe zweier Wohlstandsverwahrloster. Gerade noch intelligent und wach genug, um die Widersprüche und Falschheit ihres Urlaubsortes wie auch des eigenen gemeinsamen Lebens zu erkennen, sind sie aber zu schwach, um irgendwas zu ändern. Die unglücklich machende Oberflächenfixierung wird durchbrochen, in dem Moment, in dem es ans Eingemachte geht – womit wir schon beim Thema sind, dem Horror, der sich anhand von geöffneten, mutierten oder anderweitig zerlegten Körpern artikuliert. Und, zumindest im Falle der ernst und grimmig gestimmten Subgenrevertreter, Zuschauerin und Zuschauer dahin zerrt oder drängt, wo alles sich nur noch krank anfühlt.

Cronenberg, Infinity Pool
Mia Goth, Alexander Skarsgård

Im Falle von Infinity Pool verläuft diese Reise grob so: James überfährt einen Einheimischen, aber entgeht dem Knast, denn die Regierung von La Tolqa hat mit den Herkunftsstaaten der Touristen was ausgemacht. Straftäter aus dem Westen werden nicht weggesperrt oder umgebracht, sondern geklont. Und der Klon wird dann hingerichtet, vor den Augen des Beschuldigten. Fall erledigt. Ab der Verhaftung hebt Cronenbergs Film ab und will den Boden auch nicht mehr wiederfinden. Pfeilgrade in Alptraumlogik: James (oder sein Klon) werden Teil einer dekadenten Gruppe von Touristen, die amoralisch durchs Land marodieren, im Wissen darum, dass ihnen außer einer weiteren Verdoppelung plus Hinrichtung des Doppelgängers nichts geschehen kann. Auf dem Weg durch die filmisch recht sorgfältig konstruierte Hölle fährt Cronenberg verzerrte groteske Masken, Drogenexzesse, Folter, Breastfeeding unter Erwachsenen, Demütigungen und weitere Doppelgängerhinrichtungen auf. Am glücklichsten sind hier die, die sich, wie Gabi (Mia Goth), die heimliche Hauptfigur des Films, für die dionysische Amoralität entschieden haben. Aber freudvoll erscheinen alle diese Exzesse auch nicht.

Infinity Pool interessiert sich nicht so sehr für den Plot oder gar für die Seelen seiner Figuren, so sie denn noch welche haben. Damit wären wir schon bei einem zentralen Merkmal des Body Horror: Wo das Melodram und der unheimliche Horror primär von der Psyche ihrer Figuren erzählen, arbeitet sich der Body Horror direkt an den Körpern ab. Also an den Körpern der Figuren, und das heißt an Körperbildern, die aber nichts (oder nur in zweiter Linie noch etwas) Metaphorisches an sich haben, und letzten Endes an und für sich stehen. Und trotzdem soll hier etwas zum Vorschein kommen, etwas Altes, Ursprüngliches, Verschüttetes. Und eben auch Undefiniertes. „Thank god it’s finally out in the open and slopping around the floor“, brachte der Regisseur Wes Craven das Versprechen der drastischeren Momente des Genres einst auf den Begriff. Gelungener Body Horror ist meist interpretationsoffen.

Dadurch wird der Body Horror im Übrigen nicht zur Anti-Psychoanalyse. Im Gegenteil, einer der zentralen Filmkünstler des Genres, David Cronenberg (der Vater von Brandon Cronenberg, nebenbei bemerkt), hat mit A Dangerous Method einen der besten und genauesten Filme über die Entstehung der Psychoanalyse gedreht. Oder von der anderen Seite her argumentiert: Dass das Ich „vor allem ein körperliches“ sei, hat Freud selbst geschrieben, 1923. „Der eigene Körper und vor allem die Oberfläche desselben ist ein Ort, von dem gleichzeitig äußere und innere Wahrnehmungen ausgehen können.“

Eine erste steile These wäre, dass der Body Horror mitunter (manchmal oder vielleicht auch häufiger, als man denkt) Bilder für Seelisches oder auch schlichter die Verfasstheit der Figuren (und/oder auch: der Gesellschaft), die sich meist durch diverse psychische Extremzustände bewegen, anhand der möglichst wirkungsintensiven Inszenierung von dezidiert körperlichen Extremzuständen zu fassen sucht. Damit wird das Körperbild allerdings nicht zum Bild für etwas anderes, also eben, wie angedeutet, gerade nicht zur Metapher. Sondern eben nur zu einem eventuell adäquateren Bild, das an und für sich stehen kann. Am Beispiel von Infinity Pool: Die Figuren sind hier nicht mehr Träger eines komplexen, zu entschlüsselnden Unbewussten. Und das ist auch ganz richtig so, denn in einer Welt, die so eingerichtet ist, wie Infinity Pool es zeigt, wäre die Suggestion von Konsistenz und Seelenschau auch schlicht Beschiss am Zuschauer. Wer hier lebt, muss leer sein. Und der Exzess ist erst einmal der Versuch, überhaupt wieder etwas zu spüren. Diese Konstellation kann man nicht für das gesamte Subgenre verallgemeinern; aber die Idee, dass extreme Körperlichkeit der Oberflächlichkeit und Entfremdung widerspricht und etwas Existenzielles zum Vorschein bringt, taucht im Genre immer wieder auf und schwabbelt auf dem Boden herum.

Die Themen des Films liegen recht offen vor – Schreibblockade, gekränkte Männlichkeit, das Doppelgängermotiv, Dekadenz, der Norden und der Süden, die Wiederkehr des Verdrängten. Vermittelt und durchexerziert aber eben nicht vor allem diskursiv, sondern in dem in diesem Falle geglückten Versuch, für Zuschauerin und Zuschauer einen filmischen Raum, der von körperlichen Ausnahmezuständen bestimmt ist, erfahrbar werden zu lassen.

Anhand von zehn entweder exemplarischen oder exzeptionellen Body-Horror-Filmen lässt sich zeigen, was im Subgenre so alles drinsteckt und rauswill.

 

The Fly

(USA 1986, Regie: David Cronenberg)

David Cronenberg ist so etwas wie der Vater des modernen filmischen Body Horror (und einen anderen als den modernen gibt es eigentlich nicht – das Subgenre konnte aufgrund von Zensurbestimmungen überhaupt erst ab Ende der Sechziger wirklich in den Gänge kommen). Sein Remake des gleichnamigen Fünfzigerjahre-Horrorklassikers demonstriert sehr schön, wie der mutierende und am Ende zerplatzende Körper auf der Leinwand sowohl ein Bild für etwas wie auch eine Bedeutungs- und Affektmaschine an und für sich sein kann. Die Liebesgeschichte zwischen Dr. Brundle (Jeff Goldblum) und Veronica (Geena Davis) wird immer schneller, je mehr sich der Forscher in eine Fliege verwandelt. Cronenberg zieht alle Ekelregister, aber das Ende ist das wohl traurigste Finale in der Geschichte des Horrorgenres. Melodram und Splatter gehen in The Fly eine seltene Verbindung ein.

Videodrome

(USA 1983, Regie: David Cronenberg)

Der zweite David-Cronenberg-Film in dieser kleinen Aufstellung, man hätte aber auch (fast) jeden anderen seiner Filme bis 1999 wählen können. Dieser hier passt deswegen so gut, weil er den Körperhorror mit einer eigenen Medientheorie in Verbindung bringt und – wenn man ihn in der richtigen Stimmung sieht – die entrückt alptraumhafte Atmosphäre entfaltet, die das Subgenre in seinen besten Momenten auszeichnet. Der sleazige Max Renn (James Woods) betreibt einen privaten TV-Kanal, der im unteren Drittel operiert: Gewalt und Sex, und das war’s. Renn will die Dosis erhöhen und macht sich auf die Suche nach härterem Stoff. Zuerst verschwindet sein Kopf in einem Fernseher, am Ende stopft jemand eine VHS-Kassette in Renns Eingeweide. Videodrome ist ein Film, der nicht nur seine Figuren beim Halluzinieren zeigt, sondern selbst ins Halluzinieren kommt. Und mit ihm Zuschauerin und Zuschauer.

Titane

(Frankreich/Belgien 2021, Regie: Julia Ducournau)

Ein Film im Geiste (David) Cronenbergs: Die Protagonistin malträtiert und demoliert ihren Körper, um sich auf ihrer Flucht als Mann dem Zugriff der Polizei zu entziehen. Vorher hat sie Sex mit einem Auto, der als lustvolles Einreißen der Grenze zwischen Mensch und Maschine inszeniert wird (Ducournau wird Cronenbergs Crash wahrscheinlich mehrfach gesehen haben). Die ekligen Bilder kommen hier im Minutentakt, und trotzdem funktioniert Titane wie viele gelungene Body-Horror-Filme am besten als Atmosphärenkino: Ohne den Überbau der Transgressionsdiskurse entfaltet sich erst der stille, sich langsam aufbauende Druck dieser Bilder, der Zuschauerin und Zuschauer noch einmal anders berührt als der schockhaft inszenierte Einbruch der Gewalt. (Unsere Kritik zum Film finden Sie hier.)

Hellraiser

(Großbritannien 1987, Regie: Clive Barker)

Ein 1987 erschienener, stilbildender Klassiker des Body Horror, der die Zerlegung der Körper mit S/M und also mit Lust in Verbindung bringt. Ein erlebnishungriger Mann beschwört Dämonen, die Zenobiten, die dann auch kommen und ihn auseinandernehmen. Von da an geistert er als untotes Stück Fleisch auf dem Dachboden des Hauses seines Bruders umher und beginnt eine, naja, Affäre mit dessen Frau. Sie versorgt ihn mit Blut, damit er wieder vollständig werden kann. Dieser einfache Plot gibt dem Autoren und Regisseur Clive Barker, dem neben Cronenberg wohl am gründlichsten operierenden Body-Horror-Künstler (sehr empfehlenswert ist auch der gemeinsame Film der beiden, Cabal) reichlich Gelegenheit, in einer bis dahin jenseits des Underground-Kinos nur selten zu findenden Intensität rumzusauen. Der Filmkritiker Peter Bradshaw beschrieb den Film 2017 im Blick zurück als „one of the goriest of soap operas“, „utterly bizarre and entirely ridiculous“.

Tetsuo: The Iron Man

(Japan 1989, Regie: Shinya Tsukamoto)

Aber da ist natürlich noch Luft nach oben. Shinya Tsukamotos Tetsuo lässt sich als Männerphantasie, naja, lesen, der die letzten Sicherungen verlustig gegangen sind. Der heterosexuelle Panzermensch in der Übertreibung zur Kenntlichkeit entstellt: Ein Büromensch verwandelt sich in eine phallische Maschine, inklusive Drillbohrerpenis. Der auf 16mm gedrehte Cyberpunk-Urtext ist so etwas wie ein ungefiltertes Bild einer an sich selbst irre gewordenen Männlichkeit. Ein Bild, das am Ende nicht ohne Weltuntergangswahn auskommt. In diesem Fall liegt in der Umgebremstheit der Weg zur Genauigkeit. Tsukamoto hält nichts zurück.

Possession

(Frankreich/Deutschland 1981, Regie: Andrzej Żuławski)

Und noch einmal toxische Männlichkeit. Ein Eifersuchtsdrama im West-Berlin der Vorwendezeit. Alles ist grau und kaputt, und das Paar, um das es hier geht (Sam Neill und Isabelle Adjani), fügt sich in das Stadtbild passgenau ein. Sie hat eine Affäre mit einem Tentakelwesen, er dreht mehr und mehr am Rad. Der Körperhorror stellt sich hier zum einen über eine Tentakelsexszene her, zum anderen über die Performance Adjanis, die hier diverse Nervenzusammenbrüche in einer Intensität spielt, die wirklich selten ist. Da braucht es dann auch keinen Splatter mehr: Body Horror als Schauspieltechnik.

The Thing

(USA 1982, Regie: John Carpenter)

Im Vergleich geradezu heiter nimmt sich John Carpenters Remake des Science-Fiction-Klassikers The Thing aus. Im Originalfilm von Howard Hawks hampelt ein Schauspieler in einer Art Karottenanzug durch die Kulissen. Im Remake kann das Ding aus einer anderen Welt die Form jedes Organismus annehmen, auf den es trifft. Was wiederum Special-Effects-Mann Rob Bottin die Gelegenheit gibt, alles aufzufahren, was er hat: In The Thing finden sich neben Vermischungs- und Fragmentierungssequenzen, die vierzig Jahre später noch eindrucksvoll sind, auch stilbildende Monster-Makeup-Effekte. Dazu kommt, dass der Film als Spannungskino ununterbrochen Gas gibt. Und der Soundtrack von Ennio Morricone. Und Kurt Russell. Auch unabhängig vom Körperhorroraspekt einer der besten Horrorfilme der Achtzigerjahre.

Braindead

(USA 1992, Regie: Peter Jackson)

Noch exzessiver verfuhr Peter Jacksons Slapstick-Klassiker Braindead. Ein Werk, mit dem das Subgenre des humorigen Splatterfilms eigentlich zu seinem wohlverdienten Ende hätte kommen können, denn mehr kann man nicht machen. Eine einzige Orgie an Special Effects – platzende Körper, Blut- und Eiterfontänen, und am Ende fräst der Held Lionel (Timothy Balme) mit dem Rasenmäher vor dem Bauch geschnallt durch eine Armee Zombies. Schön aber, dass Jackson es nicht bei Jux und Dollerei belässt, sondern das Ganze mit einem freudianischen Plot zusammentackert. Lionel muss sich von seiner dominanten Mutter (Elizabeth Moody) lösen. Die mutiert am Ende zu einem Riesenmonster, das den abtrünnigen Sohn wieder in den Mutterbauch stopfen will; er befreit sich mit einem scharfen Gegenstand, von innen, Happy End.

Society

(USA 1989, Regie: Brian Yuzna)

Body Horror goes Gesellschaftssatire. In Society feiern Aliens in der Gestalt von Menschen groteske Orgien und fressen die Lebenden. Angesiedelt ist die Geschichte in der an sich schon bizarr anmutenden Kulisse des Beverly Hills der Achtzigerjahre, alles voller Sportjacken und schnittigen Vokuhila-Frisuren. Der Held, der natürlich Billy heißt (und auch noch von Billy Warlock gespielt wird), kommt der Verschwörung langsam auf die Spur, auch die Mitglieder der eigenen Familie entpuppen sich als Außerirdische und bestätigen damit den Verdacht, den so einige Pubertierende in der einen oder anderen Form mit sich rumschleppen. Society beginnt langsam und deutet mit vereinzelten Bildern verdrehter Körper nur an, was dann im Finale, das für Braindead sicher eine Inspiration werden sollte, voll durchschlägt: ineinander schmelzende Körper, groteske Mutationen und ein wirklich ekelhaftes Arschgesicht.

Martyrs

(Frankreich 2008, Pascal Laugier)

Einer der dunkelsten, ambitioniertesten Body-Horror-Filme. Martyrs ist erkennbar bemüht, restlos alle Register zu ziehen. Ein Mädchen entkommt aus einem Folterkeller und bringt Jahre später eine vierköpfige Familie um, die Teil einer Geheimorganisation ist, die versucht, durch Folter zu so etwas wie Transzendenz zu gelangen. Schmerz als Weg ins Jenseits. Über weite Strecken zeigt Regisseur Laugier stoisch gefilmte Folterszenen. Am Ende wird die Heldin gehäutet und sieht das Licht. Eine Erlösung ist das natürlich nicht. Man kann den Film je nach Stimmung bescheuert, obszön, überkandidelt, intensiv oder faszinierend finden. Vergessen wird man ihn nicht. Was dann auch generell für die meisten gelungenen Body-Horror-Filme gilt.