Zwei Wörter: White Lotus

Der große Gewinner der 74. Emmys heißt... HBO.

White Lotus, Mike White
The White Lotus, 2021–22, Mike White

Einem Bericht zufolge hält vierzig Prozent der US-Bevölkerung die Emmys für bedeutungslos („Und der Preis geht an … who cares!“) Warum, erklärt die New York Post. Nun ist es mein Job, mich für solche Award-Shows zu interessieren. Doch gestern Abend war für meinen Geschmack definitiv zu viel Werbung für Autos, Krebstherapien und Psychopharmaka zu sehen (warum wohl mögen die Menschen Streaming-Dienste ohne Werbung so gern?). Was sonst nehmen wir mit von den 74. Emmys? White Lotus, White Lotus, White Lotus.

Wer sich die vollständige Liste der Emmy-Nominierungen ansieht, könnte glauben, dass die Wähler und Wählerinnen im vergangenen Jahr keine andere neue TV-Serie gesehen haben als The White Lotus (die HBO-Miniserie bekam 20 Nominierungen). Die Gesellschaftssatire von Mike White (hierzulande auf Sky, Kurzbeschreibung in unserem Serien-Best-of) über einen Haufen Einprozentler in einem Luxusressort ist eine meiner Lieblingsserien aus dem vergangenen Jahr und ich kann sie nur jeder und jedem wärmstens empfehlen. Die Miniserie gewann fünf Primetime Emmys während der Live-Show (insgesamt aber zehn), darunter für die Beste limitierte Serie, Beste Regie und Bestes Drehbuch.

The White Lotus erzielte auch Siege in wichtigen Schauspielkategorien. Jennifer Coolidge, die eine trauernde Frau spielt, die verzweifelt nach Liebe sucht, wurde als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet. Murray Bartlett bekam einen Emmy für seine Rolle als Hotelmanager, der einem seiner arroganten Gäste in den Koffer scheißt – buchstäblich. Natürlich werde ich jede Sekunde der zweiten Season (kommt im Herbst) von The White Lotus verschlingen, aber den australischen Schauspieler werde ich jede Sekunde davon vermissen.

Es gab sonst nicht viele Überraschungen. Der Frontrunner Succession hat nach drei Emmy-Abenden zwar insgesamt nur vier Preise gewonnen, wurde aber wieder zur besten Dramaserie gekürt – sehr verdient. Es war das sechste Mal in acht Jahren, dass HBO den größten Preis der US-Fernsehbranche für eine Serie gewonnen hat. Es ist ein Triumph für den Bezahlsender: HBO und sein Streaming-Dienst HBO Max gewannen mehr Emmys als jeder andere (12 der 25 vergebenen Emmys) und schlugen damit den Hauptkonkurrenten Netflix.

Speaking of: Die Emmys werden vom US-Fernsehsender NBC übertragen, dessen Geschäft im Grunde ja von den Streamern geklaut wird. Es war deshalb unvermeidlich, dass es auch Witze über Netflix gab (der heuer zum ersten Mal seit zehn Jahren Abonnent:innen verloren hat). Der diesjährige Gastgeber Kenan Thompson, bekannt aus Saturday Night Live, begann den Abend unter anderem mit den Worten: „Wenn Sie nicht wissen, was Squid Game ist: Es ist der Wettbewerb, an dem Sie teilnehmen, wenn Sie massiv verschuldet sind und verzweifelt nach Geld suchen. Wer spielt in der nächsten Staffel mit? Netflix.“ Autsch.

Aber Squid Game, die südkoreanische Netflix-Serie, gewann zwei Auszeichnungen: Lee Jung-jae als bester Schauspieler in einem Drama und Hwang Dong-hyuk für die Regie. Und mögen diese Siege auch verdient sein und einen Durchbruch für eine fremdsprachige Serie darstellen, so hat mir das Gesicht von Bob Odenkirk, der für Better Call Saul leer ausgegangen ist, das Herz gebrochen (unsere Schlussbetrachtung).

Ted Lasso (bei Apple TV+) wurde unter anderem wieder zur besten Comedyserie gekürt und natürlich ging der Emmy für die beste Hauptdarstellerin in einer Comedyserie an die großartige Jean Smart für ihre Rolle in Hacks – zum zweiten Mal in Folge. Die HBO-Max-Serie sagt hierzulande nicht vielen etwas (seit 12. September gibt es sie auf RTL+), aber sie zählt für die Kritik zum Klügsten und Lustigsten, was das US-Fernsehen derzeit zu bieten hat.

Zendaya gewann ihren zweiten Emmy für das HBO-Teen-Drama Euphoria. Michael Keaton, der in Dopesick einen Kleinstadtarzt spielte, erhielt den Preis für den besten Schauspieler in einer limitierten Serie, und Amanda Seyfried wurde für ihre Rolle als Elizabeth Holmes in The Dropout ausgezeichnet. Unterdessen eilte die ABC-Comedy Abbott Elementary zur Rettung des Network-Fernsehens und bekam Auszeichnungen für Bestes Drehbuch einer Comedyserie und Sheryl Lee Ralph als beste Nebendarstellerin in einer Comedyserie.

Es gab wie immer blinde Flecken. Das großartige Drama Pachinko (Apple TV+) war erst gar nicht nominiert worden. Die Gesellschaftssatire Severance (auch Apple TV+) zählt zu den besten Dramaserien des Jahres, war vierzehn Mal nominiert, gewann aber nur zwei Preise in den Nebenkategorien „Outstanding Title Design“ und „Outstanding Music Design“.

Es hat noch nie so viele Einreichungen für alle Kategorien bei den Emmys gegeben. Natürlich hat das auch mit der steigenden Flut an Serien zu tun. Wir werden an dieser Stelle auch in Zukunft versuchen, das Kostbare herauszufiltern – Preise hin oder her.