Apple up!

Streaming-Tipps KW 14

Severance, 2022–, Dan Erickson

High Times beim hauseigenen Streamer von Apple: Nicht nur holte Apple TV+ als erster Streamingdienst den Oscar in der Königsklasse (für „CODA“), man hat mit „Severance“, „WeCrashed“, „Pachinko“ und neuerdings „Slow Horses“ auch vier der interessantesten Serien-Neuerscheinungen im Programm.

Über CODA kann man ja munter diskutieren, und nur weil Apple den nicht selbst in Auftrag gegeben, sondern um die stolze Summe von 25 Millionen Dollar nach dem Debüt in Sundance gekauft hat, muss einem ja nicht gleich Hören und Sehen vergehen. Es ist das in einen Fischerort in Massachusetts versetzte Remake der französischen Tragikomödie La famille Bélier (2014) und insofern ein Fall von „kultureller Aneignung“ (Siân Heder hat den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch gewonnen). Der Film ist auch in dramaturgischer Hinsicht nicht neu, mag auch – im Übrigen wie das Original – ein wenig formelhaft sein, vermag aber dennoch zu berühren und für die Lebenswelt gehörloser Menschen einzunehmen bzw. für deren Schwierigkeiten zu sensibilisieren. Ja, CODA ist ein Wohlfühl-Drama und ein wenig pickig ist er auch. „Ein Film wie ein Ikea-Regal“, wie der Spiegel schreibt, ist er definitiv nicht. (Schon allein, weil dafür nicht der Urwald Osteuropas draufgeht.) Österreichische und deutsche Kinos, die den dreifach Oscar-prämierten Film auf die große Leinwand holen wollten, kassierten übrigens Absagen. Das Wiener Gartenbaukino hat nicht einmal eine Freigabe für ein einzelnes Screening im Rahmen seiner Oscar-Nacht gekriegt.

Sympathien erwirbt man anders, aber Apple kann es sich gewissermaßen leisten. Mit der aufwändigen Oscar-Kampagne für CODA hat man zu einem guten Zeitpunkt investiert, denn die Serien-Originals, die derzeit beim hauseigenen Streamer laufen, rechtfertigen allein den Abschluss eines AppleTVplus-Abos. Die vier vom filmfilter gesichteten sind jeweils divers (und teils großartig) besetzt, alle vier beschäftigen sich mit gesellschaftlich relevanten Themen, und alle vier finden eine ihrem Gegenstand angemessene Form. Eine davon lässt in der Titelsequenz ein Einhorn als buchstäbliches Unicorn durch ihr Startup-Büro spazieren: WeCrashed, eine Serie als Füllhorn von Story-Gimmicks, entsprechend ihrem verhaltensoriginellen, von the one and only Jared Leto dargestellten Antiheld-Marketingguru-Größenwahnsinnigen, haben wir ja bereits vorgestellt – ebenso wie die wunderbare koreanische Familiensaga Pachinko und den nach langer Drama-Exposition fulminant als Thriller finalisierenden Sci-Fi-Neunteiler Severance, über den im Folgenden noch ein paar Worte ergänzt werden sollen.

Ein Interieur-technisch an die 1950er oder 60er Jahre erinnernder, räumlich weit ausgedehnter und zeitlich penibel getakteter Büro-Alltag wird in Severance mit einer eher an Huxley als an Orwell angelehnten Corporate Control Dystopie verschachtelt; dabei spielt vor dem Hintergrund der weißen Grundtönung des „Lumon“-Konzerns und ein paar verklausulierten Anspielungen an die Geschichte des Tech-Riesen Apple buchstäblich jede Pulloverfarbe zumindest eine Nebenrolle. Die Prämisse der von Dan Erickson entwickelten und großteils von Ben Stiller in Szene gesetzten Geschichte in Kurzfassung: Das Erinnerungsvermögen des Personals wird chirurgisch zwischen privat und dienstlich getrennt, die Auswirkung genau untersucht. Wer besonders plastische Vergleiche braucht: „Severance – what The Office would be like if created by Aldous Huxley“, behauptet der Bunker Podcast. Ein wesentliches Element ist der Personenkult, den das Unternehmen um seinen Gründer aufführt – ein Schelm, wer an Steve Jobs denkt.

Neben der innovativen Retro-Ästhetik u.a. hervorzuheben ist das durchgehend tolle Ensemble. Die trotzige weibliche Hauptfigur Helly R. kann man sich bereits nach den ersten paar Episoden in keiner anderen Gestalt als jener von Britt Lower mehr vorstellen, dazu verharrt die Kamera gern auf den melancholischen Blicken von John Turturro, dem gedruckst verliebten Lächeln von Christopher Walken, der in Sekundenschnelle von Charme zu Groll und zurück changierenden Mimik von CEO Patricia Arquette oder der zähnefletschenden Herzlichkeit von Tramell Tillman, der den aalglatten Aufpasser spielt und z.B. auch den Organisator der für den fleißigsten Mitarbeiter (köstlich spöttisch: Zach Cherry) ausgerichteten, dem verstorbenen Firmengründer huldigenden „Waffelparty“. Und dabei haben wir erst die Hälfte des Haupt-Casts aufgezählt und die ambivalente Quasi-Somnambulie des von Adam Scott gespielten Helden noch nicht erwähnt und nichts von der prall gefüllten narrativen Wundertüte erzählt, aus der sich diese Serie speist. Wer an Kafka denkt, liegt nicht weit daneben. Wer das Intro ab dem zweiten Mal überspringt, hat offenbar keinen Hang zu verstörenden Traumbildern. Und wer Home Office hasst, findet in Severance eine effektive Therapie. Work-Life-Balance sieht wahrlich anders aus.

Mit Slow Horses kündigt sich nun ein weiterer Seriencoup von Apple TV+ an, zumindest macht es nach zwei Episoden diesen Eindruck. Ein in London geborener Student pakistanischer Abstammung wird entführt und soll offenbar vor laufender Kamera enthauptet werden. River Cartwright (Jack Lowden), ein Agent auf dem Abstellgleis (im rasanten Opener sehen wir warum), erkennt die Chance sich zu rehabilitieren, Geheimdienstchefin Diana Taverner (hat Kristin Scott-Thomas nicht genau so eine Rolle schon einmal gespielt?) setzt Kollegin Sid (Olivia Cooke kongenial) auf ihn an und River, einem renitenten Informanten auf den Fersen, setzt ein Haus in Brand und bringt Sid in Lebensgefahr, statt eine Spur zu finden.

Slow Horses, basierend auf den gleichnamigen Romanen von Mick Herron, ist eine genuine Mischung aus temporeichem Spionage-Thriller und Sprechdurchfall-Komödie. Gary Oldman gibt Jackson Lamb, den grandios käsigen und cholerischen Chef der „Slough House“ genannten Aufbewahrungsabteilung des britischen MI5 für lahme Agenten, lahm wie eben River, den Lamb unter Hohnsprüchen Mistkübel durchwühlen lässt. Lamb ist jene Art Vorgesetzter, der seine löchrig besockten Füße vorzugsweise auf dem Schreibtisch platziert, aus dem Büro-Nickerchen mittels eigener Darmwinde aufwacht und seine in Ungnade gefallenen Agenten mit immer neuen Schimpfnamen belegt – sich dann aber im entscheidenden Moment um sie kümmert. Als hätte Oldman seine Rolle in der fabelhaft paranoiden John-le-Carré-Verfilmung Tinker Tailor Soldier Spy (2011) humoresk ausgebaut – Emmy-verdächtig. Wir bleiben dran am Apple-plus-Programm und Sie könnten sich in der Zwischenzeit ja ein Abo zulegen.