Jurassic Fan-Pleaser

„Jurassic World Dominion“, ein Action-Familienfilm herkömmlichen Zuschnitts – im Kino

Jeff Goldblum in Jurassic World 3
Jurassic World Dominion, 2022, Colin Trevorrow

Das Endspiel des Reboots lullt sein Publikum mit vertrauten Versatzstücken ein – bevor es von einer Motorrad-Rally-Sonderprüfung gegen Renn-Raptoren von den Sitzen gerissen wird: „Jurassic World Dominion“.

Saurier sind Seller. Das wurde mir schon in der ersten Klasse Gymnasium bewusst, als ich in der schulnahen Filiale der Städtischen Büchereien den Band „Dinosaurier. Im Reich der Riesenechsen“ aus der Reihe „Was ist was“ ausleihen wollte, um Taschengeld zu sparen. Die Filiale hatte nur ein einziges Exemplar des Dino-Erklärbuchs – und das war entlehnt. Es dauerte Wochen, bis ich an die Reihe kam. Etwa zwölf Jahre später las ich anlässlich Jurassic Park (1993) weder das zugrunde liegende Buch noch wartete ich auf Leihe, sondern bezahlte eine Kinokarte, um den Film zu sehen. Die Theorie dazu lernte ich ein paar weitere Jahre später: das „High Concept“ des Blockbusters, die Wirkung des „Spielberg’schen Wunderblicks“, die Parallelführung mehrerer Nebenhandlungen im Gefahrengebiet inklusive Cliffhanger, die schier „fühlbaren“ Details wie das Close-up auf die zitternde Wasseroberfläche im Becher, während das dumpfe Stampfen des T-Rex näherrückt, usw.

Erstaunlich an Jurassic World Dominion (Jurassic World – ein neues Zeitalter) sind nun weniger die Effekte (an die ist das jüngere Blockbuster-Publikum weitgehend gewöhnt), sondern eher, wie wenig das Familien-Spektakel-Konzeptkino sich seit meiner Studienzeit weiterentwickelt hat. Wie stark es immer noch den herkömmlichen Erzähl-Mechanismen vertraut. Wie wenig es sich – abseits seiner nun volldigitalen Action-Struktur – offenbar weiterentwickeln musste, um dennoch erfolgreich zu sein.

Der (vorläufig) letzte Eintrag in die Echsenreihe führt in gewisser Weise an den Anfang zurück: Steven Spielberg hat wieder einen Exec-Producer-Credit, Michael Crichton trägt natürlich immer noch den „Based-on-characters-by“-Credit, aber vor allem sind Dr. Ellie Sattler (Laura Dern), Dr. Alan Grant (Sam Neill) und Dr. Ian Malcolm (Jeff Goldblum) wieder vereint wie im ersten Teil der Ursprungs-Trilogie. Und das alles, obwohl die aus der Büchse der Pandora längst auf die ganze Welt verstreuten Echsen aus der Jura- und Kreidezeit nicht mehr viel mit Crichtons Tierparkzüchtungen zu tun haben.

neill, pratt in: jurassic world 3
Patchwork-Familie in Jurassic World 3

Sattler will hinter das Geheimnis einer sich rasch im Bible-Belt ausbreitenden Gigantenheuschreckenplage kommen und schleppt Grant mit in die Zentrale des üblichen Hauptverdächtigen, nämlich des Biosyn-Konzerns (nomen est omen: Bio-Sin = Bio-Sünde). Hier möchte ein verhaltensauffälliger Visionär (Campbell Scott) die Kontrolle über den Weltenlauf übernehmen (bis die bissigen Kreaturen, die er geschaffen hat, ihm selbst gegenüberstehen – kein Spoiler, passiert immer.) Und bei der Aufklärung der Bio-Sünde trifft das zärtlich miteinander kokettierende Wissenschafterpaar auf einen weiteren alten Bekannten: Goldblums Dr. Malcom hat sich undercover ins Herz des Gentech-Riesen begeben, nur um wie damals den schrulligen Skeptiker heraushängen zu lassen, und das mit unnachahmlich nerdigem Charme. Und dann gibt es die jüngeren Figuren: Bryce Dallas Howard und Chris Pratt spielen die überforderten Ersatzeltern des in der Logik des Films wertvollsten Mädchens der Welt (Isabella Sermon), denn es trägt das Gengeheimnis einer geheilten tödlichen Krankheit in sich. Aus all diesen und ein paar mehr Figuren wird im Verlauf des Films quasi eine Lutz-Familie im XXX-L-Format gepatchworked: sympathisch, praktisch, generationsübergreifend gut. Zusammengewürfelt wie eine bunte Wohnzimmer-Einrichtung.

Colin Trevorrow, der bereits 2015 beim Neustart der Reihe Regie geführt und an allen Teilen mitgeschrieben hat, scheint dem eigenen Konzept allerdings nicht ganz vertraut zu haben und franst in zwei sehr entfernt verwandte Franchises aus: Wenn Chris Pratt (bzw. sein Stunt Double) auf einem Bike durch die engen Gassen von Maltas Hauptstadt Valletta rast, erinnert er an James Bond und will zugleich Tom Cruise in dessen Motorrad-Mission Impossible toppen – nur sind die verfolgenden Schurken halt Rasse-Rennraptoren, per Laser von einer kühlen Tierhändler-Lady (Dichen Lachman, augenfällig in der Apple-Serie Severance) auf seinen Tod programmiert. Und wenn das Evil Empire wie oft bei Bond am Ende in Flammen aufgeht, wartet man fast darauf, ob der Biosyn-Boss wie einst Oberbösewicht Blofeld sein Mini-U-Boot wassern lässt, um zu entkommen.

Ein gewisses Retortengefühl verlässt einen den ganzen Film über nicht (u.a. Anleihen aus Hitchcocks Birds oder den Labor-Szenen von Venom), obwohl die Starkgebisshelden von der Park-Attraktion längst zu Mitbewohner:innen des Planeten gereift sind, und der Planet kämpft, wogegen er eben zu kämpfen hat: Klimakrise, Schwarzmärkte, Monopolbildungen, königgleiche Tyrannen. Die Parallelplots finden nur durch sehr gewollte „Zufälle“ wieder zusammen, und sowohl die arg nostalgische Anmutung als auch die rückwärts gewandte Erzählhaltung von Jurassic World Dominion finden sich von seiner State-of-the-Art-Digitaltechnik nur umso deutlicher kontrastiert (für Sound- und visuelle Effekte hat übrigens schon der erste Spielberg-Jurassic drei Oscars bekommen, aber eben nur dafür). Dass man die Maulfäule des Raptors im Close-up quasi riechen kann, beweist nebenbei erneut, wie entbehrlich die Idee des Geruchskinos ist.

Auf Diversität wurde allerdings geachtet: DeWanda Wise (durchgebrochen mit der Serienversion von She’s Gotta Have It) spielt eine coole Pilotin, Mamoudou Athie (sehr gut in der Netflix-Serie Archive 81) mimt zunächst einen Assistenten-Tourguide-Kasperl, darf dann aber sogar … huch, Spoilergefahr. Die wenigen überraschenderen Stellen des Zweieinhalbstünders sollten wirklich nicht verraten werden, sonst droht abseits der Actionszenen gepflegte Langeweile. Wobei gemutmaßt werden kann, dass sich die Fadesse für Jurassic Fans ungefähr so wohlig anfühlen dürfte wie Columbo-Schauen für Columbo-Fans: Wir wissen ziemlich genau, wie es ausgeht, wollen es aber trotzdem sehen.

Am Ende gibt es sogar einen Verweis auf die Triple-Kämpfe des Godzilla-Kong-Franchises. Dass die gutmeinenden Menschlein außer ein paar Kratzern heil unter „Giganoto-Saurus“ hervorkriechen werden, ist nun wahrlich kein Spoiler. Prämisse: Den Endkampf im Echsen-Katastrophenfilm spielt es nicht mehr unter einer Multi-Monster-Begegnung. Erkenntnis: Teaming-up ist angesagt, T-Rex allein ist nicht mehr der Stärkste. Der Epilog ist dann übrigens wieder der reinste Familienkitsch. Kein Spoiler.

Jurassic World Dominion
USA/Malta 2022, Regie Colin Trevorrow
Mit Chris Pratt, Bryce Dallas Howard, Laura Dern, Sam Neill, Jeff Goldblum, DeWanda Wise, Isabella Sermon, Mamoudou Athie, Campbell Scott, BD Wong
Laufzeit 146 Minuten