„Expats“: Die brillante Romanadaption der Regisseurin von „The Farewell“ dreht sich vordergründig um Amerikanerinnen in Hongkong – im zunächst versteckten Kern aber über Frauen am Rand.
Die fünfte Folge von Expats ist ein 96-minütiges Kapitel, das in einer ohnehin bemerkenswert filmisch anmutenden Serie quasi zu einem eigenständigen Film wird. Bis dahin ging es um die Traumata, Tragödien und Schuldgefühle der drei titelgebenden Zugereisten in Hongkong, doch diese eine Episode richtet die Perspektive plötzlich auf deren philippinische Hausangestellten. Während die Menschen auf den Straßen gegen den wachsenden Einfluss Chinas protestieren, erleichtern diese Frauen das Leben ihrer unglücklichen Arbeitgeberinnen auch in psychohygienischer Hinsicht.
Die Folge spielt vor dem Hintergrund der Regenschirm-Revolution an einem Sonntag im Jahr 2014 und zeigt uns einen freien Tag im Leben der Helferinnen. Sie tratschen, spielen Bingo, fächern sich Luft ins Gesicht. Eine davon ist Puri, großartig gespielt von Amelyn Pardenilla. Wenn die Dame des Hauses mal wieder ein Glas Rotwein zu viel hatte, wird sie von ihr wie eine Puppe geschminkt und angezogen. Eigentlich träumt Puri davon, Sängerin zu werden und gibt mit einem Frauenchor eine fantastische Version von Katy Perrys „Roar“ zum Besten. Die gutmütige Essie, gespielt von der wunderbaren Ruby Ruiz, kommt klatschnass zu Hause an und muss sofort Essen für ihre „Ma’am“ machen, noch bevor sie sich abtrocknen kann. Kleine feine Details wie die nasse Essie, die eine Tiefkühlpizza auftauen muss, beweisen, welch clevere Geschichtenerzählerin Lulu Wang ist.
Die süß-saure Komödie The Farewell brachte die chinesisch-amerikanische Regisseurin im Jahr 2019 an die Spitze einer neuen Erzählwelle (zu der auch Steven Yeuns Minari gehört), die die Erfahrungen von Einwanderern intelligent beschreibt. Nicole Kidman war so begeistert, dass sie die Filmemacherin davon überzeugte, den Roman „The Expatriates“ (1998) von Janice Y.K. Lee zu adaptieren. Themen wie Verlust, kulturelle Zugehörigkeit und Identität sind Wangs Spezialität und bilden die DNA der Geschichte.
Bis zur eingangs beschriebenen Episode konzentriert sich die Serie hauptsächlich auf drei Frauen, die nicht aus Hongkong stammen, aber dort leben: Nicole Kidman spielt Margaret, eine Rolle, die inzwischen zum Standard-Repertoire der australischen Schauspielerin gehört: eine reiche Amerikanerin und Mutter, deren bildschöne Seifenblase zerplatzt, als ihr jüngster Sohn eines Nachts spurlos verloren geht. Da ist außerdem ihre Nachbarin und Freundin Hilary, gespielt von der indisch-amerikanischen Schauspielerin Sarayu Blue, die ihrem Ehemann (Jack Huston) vorgaukelt, schwanger werden zu wollen, aber heimlich die Pille nimmt. Und da ist die 24-jährige koreanisch-amerikanische Mercy, herausragend gespielt von der Newcomerin Ji-young Yoo, die unmittelbar in die zentrale Tragödie der Serie verwickelt wird.
Die Einzelheiten dessen, was passiert ist, werden in der ersten Folge geheim gehalten (wer sich die Spannung der ersten beiden Folgen nicht nehmen will, sollte den Trailer meiden). Die ausschließlich von Frauen geschriebene Serie ist nun weniger interessiert daran, das Rätsel des verschwundenen Kindes zu lösen, als vielmehr daran, wie diese Frauen als Mütter, Helferinnen, Töchter, Geliebte und Ehefrauen in verschiedenen Käfigen agieren und mit ihren jeweiligen Rollen in der Gesellschaft kämpfen.
Eine andere wichtige Figur der Serie ist die Stadt selbst. Hongkong wird nicht so sinnlich romantisiert wie in den Filmen des Meisters Wong Kar-Wai, aber die Straßen sind auch hier in Neonlicht und Regen getränkt. In der grundsätzlich eher mattierten Bildsprache blitzen hier und da symbolschwangere Farben auf. Eine sehr schöne Szene zeigt Kidman in einem smaragdgrünen Kleid, wie sie mitten auf einer dunklen, verlassenen Straße steht, bevor die Stadt allmählich zum Leben erwacht.
Kamerafrau Anna Franquesa-Solano fängt mit ihrer neugierigen Linse sowohl die Lebendigkeit der Arbeiterklasse auf den Nachtmärkten Hongkongs als auch den kalten Modernismus der wohlhabenden Expats ein. Es ist eine Welt voller schicker Partys und reicher, weißer Leute, die ihre westlichen Schuldgefühle auf den Dienstmädchen, Chauffeuren und Babysittern abladen, während die Regenschirme und Rechte der Menschen draußen weggeweht werden.
Lulu Wang stellt nicht ein Leid über das andere. Schuld, Verlust und Einsamkeit sind universelle Gefühle, die sich nicht auf eine Klasse beschränken. Sie kommentiert das Sittenbild erstaunlich pointiert mit einem emotional punch, wie die Amerikaner sagen. Erst wenn wir beginnen, die Geschichte mit den Augen derer zu sehen, die weniger haben, wird uns klar, dass die Frauen am Rande dieser Serie womöglich die ganze Zeit über im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit hätten stehen sollen.
Expats
USA 2023–2024, Regie Lulu Wang
Mit Nicole Kidman, Sarayu Blue, Ji-young Yoo
Laufzeit 6 Episoden à 60 bis 80 Minuten