Serienfilter 2022

Die üppige US-Serienvorschau für das Jahr 2022

Better Call Saul, 2015–2022, Vince Gilligan, Peter Gould © AMC

Da sich der quasi corona-pandemische Rückstand allmählich auflöst – schon vor der Pandemie selbst –, verspricht 2022 eine Vielzahl US-amerikanischer Serien. Wir schauen also voraus: „Game of Thrones“ bekommt ein Spin-off und „The Lord of the Rings“ zieht seriell ins Wohnzimmer. Netflix hat eine neue koreanische Horrorserie und die stürmische Beziehung zwischen Pamela Anderson und Tommy Lee steht mit „Pam & Tommy“ wieder im Rampenlicht. Unsere weitgehend chronologisch nach voraussichtlichem Erscheinungsdatum geordnete Liste kratzt freilich nur an der Oberfläche des Peak-TV-Berges im Jahr 2022. Ein Serienfilter von Marietta Steinhart und Roman Scheiber.

 

Euphoria, S2 

Während Sex Education die adrettere Seite des sexpositiven Gen-Z-Lebens zeigt, stürzt Euphoria uns in ein existenzielles Loch. Das genreübergreifende Jugenddrama von Sam Levinson hat einen surrealen Stil, ist brutal einfühlsam und geht emotional intelligent an das Erwachsenwerden heran, mit einem von Rapper Drake gewebten Soundteppich. Euphoria ist zu echter Schönheit und Tiefe fähig, nicht zuletzt wegen Zendayas verletzlicher Darstellung von Rue, einer jungen Frau, die in einer Schleife zwischen Sucht, Reha und Depressionen gefangen ist und den Geist von Rent-Boy aus Trainspotting beschwört. (10. Jänner, Sky)

 

The House  

The House ist möglicherweise die gruseligste und seltsamste Netflix-„Serie“ seit längerer Zeit. Die surreale Stop-Motion-Animationsserie für Erwachsene ist eigentlich ein dreiteiliger Film und wird von dem Streamer als „exzentrische dunkle Komödie“ beschrieben. Und dem ersten, herrlich bizarren Teaser nach zu urteilen ist das noch milde ausgedrückt. Alle drei Folgen spielen in demselben eigentümlichen Zuhause. Es gibt tanzende Kakerlaken, Kulte von anthropomorphen Katzen und Mäusen, Horror im Exorzismus-Stil und Filmzitate von Tim Burton, David Lynch oder Wes Andersons Fantastic Mr. Fox. (14. Jänner, Netflix)

 

Ozark, S4/1 

Ich habe dunkle Ringe unter meinen Augen bekommen, als ich alle drei vorherigen Seasons dieser Serie innerhalb einer Woche geschaut habe (und es nicht bereut). Jason Bateman und Laura Linney spielen Martin und Wendy, die von Chicago in eine kleine Stadt in Missouri ziehen, um Geld für ein mexikanisches Drogenkartell zu waschen. Von Beginn an gab es Vergleiche mit Breaking Bad (und sogar unverblümte Zitate wie den Ausflug zum Rapport nach Mexiko); auch die Aufteilung der letzten Staffel in zwei Teile mit je 7 Episoden ist ähnlich. Doch Ozark bleibt sein ganz eigenes, wahnsinniges Ding. Darauf freuen oder jetzt schon beklagen, dass es danach aus ist? Die erste Hälfte der letzten Season beginnt mit einer Episode, die passenderweise Der Anfang vom Ende heißt. (21. Jänner, Netflix)

 

Better Call Saul, S6

Apropos Breaking Bad, apropos Ozark, apropos Serienabschiede: Heisenbergs späterer partner in crime Jimmy McGill aka Saul Goodman hat 2021 ausgelassen (Titelheld Bob Odenkirk erlitt einen Herzinfarkt, Dreharbeiten mussten mehrfach unterbrochen werden), doch für heuer sind definitiv die letzten 13 Episoden des Breaking-Bad-Prequels geplant, Gerüchten zufolge ähnlich BB und Ozark von AMC in zwei Teile gesplittet (das ergäbe 63 Folgen, eine mehr als die Mutterserie). Wir Connaisseure wissen ja, wo es hinführt, aber wir wollen auch wissen wie. Nicht übertrieben: Better Call Saul ist die narrativ feinst gesponnene, intelligenteste und kapitalismuskritischste, kurz: die beste Mainstream-Serie, die Amerika seit Jahren gesehen hat. Chapeau, Showrunner Peter Gould samt Kreativteam! Und beneidet sei, wer das alles noch vor sich hat. (noch im 1. Quartal, Netflix)

Better Call Saul, 2015–2022, Vince Gilligan, Peter Gould

 

Weitere Serien-Abschiede

2022 markiert das Ende einer untoten TV-Ära, auf immerhin 11 Seasons wird es die epische Zombie-Apokalypse The Walking Dead dann gebracht haben (Sommer, AMC/Disney+); Spin-offs und Spielfilme natürlich nicht ausgeschlossen, weil der Serienfilter weiß: So eine dicke Zitrone ist noch lange nicht ausgequetscht.

Bereits gestartet ist die sechste und letzte Season der klassenkämpferisch angehauchten Sci-Fi-Serie The Expanse – mutmaßlich die einzige im TV-Universum, welche die Schwerkraft als physikalisches Phänomen ernst nimmt. Amazon-Boss Bezos himself, so heißt es, soll The Expanse nach drei Seasons vor der Absetzung gerettet und zu Prime Video gelotst haben.

Schluss sein wird 2022 u.a. auch mit Killing Eve und – kleiner Abstecher ins UK – leider auch mit dem formidablen BBC-Gangsterlangstück Peaky Blinders (und seinem Nick-Cave-Intro!), welches Kriegsveteran Cillian Murphy & Co im Nachkriegs-Birmingham vor hundert Jahren nach sechs Saisons zur Ruhe kommen lässt (Netflix, später auf Arte im Free-TV). Aber noch nicht ganz: Laut Showrunner Steven Knight soll 2023 ein Peaky Blinders-Film die äußerst beliebte Saga abschließen.

 

All of Us Are Dead  

Hier ist die offizielle Zusammenfassung für den Serienfilter mit freundlicher Genehmigung von Netflix: „Eine Gruppe von Schülern ist in einer High School gefangen und findet sich in einer schlimmen Situation wieder, als sie vor einer Zombie-Invasion ihrer Schule gerettet werden will.“ Regie bei der 12-teiligen Serie führte Lee Jae-Kyu aka J.Q. Lee, u.a. Regisseur der Filme Intimate StrangersThe Fatal Encounter und The Influence. Das südkoreanische Fernsehen hat aufgrund des weltweiten Erfolgs des Netflix-Originals Squid Game enorm an Popularität gewonnen. Zweifellos hofft der Streamer auf eine ähnliche Reaktion mit dieser Zombie-Serie. (28. Jänner, Netflix)

 

Pam & Tommy 

Von Anfang an war das Internet von Sex, Trollen und Rachepornos übersät. Das 1995er Sextape von Baywatch-Star Pamela Anderson und Mötley Crüe-Schlagzeuger Tommy Lee war das erste seiner Art. Es verbreitete sich online wie ein Flächenbrand, nachdem der verbitterte Elektriker und ehemalige Erotik-Schauspieler Rand Gauthier in das Haus der beiden eingebrochen war und das Band gestohlen hatte. Aber die Folgen, die Pam und Tommy darob erleiden mussten, waren sehr unterschiedlich, weshalb die Serie wahrscheinlich ein Licht auf Slutshaming, Revenge Porn und die Bedeutung der Privatsphäre werfen wird. Die Miniserie wartet mit Lily James und Sebastian Stan in den Hauptrollen sowie mit Seth Rogen, Nick Offerman und Taylor Schilling auf. Der Serienfilter antizipiert verschämtes, aber heftiges Interesse an Pam & Tommy (2. Februar, Disney+)

 

Severance  

Viele Leute sagen, dass man seine Arbeit nicht mit nach Hause nehmen soll. Die strikten Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben seien entscheidend für das persönliche Glück. In Severance wird diese Idee auf die Spitze getrieben. Es geht um eine Gruppe von Menschen, die sich einer bestimmten Prozedur unterziehen: Man vergisst das Arbeitsleben in der Sekunde, in der man nach Hause kommt. Umgekehrt vergisst man das Privatleben, sobald man in die Arbeit kommt. Es ist die ultimative Balance zwischen Beruf und Privatleben, aber der Serienfilter vermutet: Da ist etwas Schändlicheres im Spiel. Die Serie vereint erneut Regisseur Ben Stiller und Schauspielerin Patricia Arquette, die schon im Fall des Gefängnisausbruchs-Achtteilers Escape at Dannemora zusammengearbeitet haben, und zwar höchst sehenswert. (18. Februar, Apple TV+)

 

The Marvelous Mrs. Maisel, S4 

Die berühmte amerikanische Komikerin Joan Rivers, die als Vorbild für Amy Sherman-Palladinos Serie The Marvelous Mrs. Maisel gilt, sagte einst: „Meine Nummern kommen aus der totalen Tragödie. Mein Publikum ist meine Gruppentherapie.“ Rivers gehörte zu den wenigen Comediennes der Fünfzigerjahre. Sie ebnete den Weg für Künstlerinnen wie Amy Schumer, Tina Fey, Tiffany Haddish – und für die fiktive Figur Midge Maisel, eine jüdische Hausfrau in den frauenfeindlichen Tagen der 1950er auf der Upper West Side, die aus einer Tragödie heraus zur Komikerin wird. Nach langem Warten (wir sprechen von der Prä-Pandemie-Ära) findet die Fortsetzung 1960 statt, als Veränderungen in der Luft liegen. (18. Februar, Prime Video)

 

The Dropout  

Warum nur lieben wir all diese gedehnten Geschichten über Schwerreiche, siehe Succession, siehe The White Lotus? Weil wir sehen wollen, wie sie scheitern? Weil wir uns über ihre Marotten lustig machen wollen? Der Aufstieg und Fall der jüngsten Selfmade-Milliardärin der Welt wird in The Dropout fiktionalisiert. Amanda Seyfried spielt die in Ungnade gefallene Startup-Gründerin Elizabeth Holmes, die jüngst von einem US-Bundesgericht wegen Betrugs verurteilt wurde, weil praktisch jedes Wort, das sie jemals über Theranos, ihr Bluttestunternehmen, gesagt hat, eine Lüge war. Amanda Seyfried passt der schwarze Rollkragenpulli wie angegossen und der Serienfilter nimmt an, sie wird ihre Stimme um ein paar Oktaven senken. (3. März, Hulu/Disney+, verschoben auf 20. April)

The Dropout, 2022, Taylor Dunn, Rebecca Jarvis, Victoria Thompson

 

Bridgerton, S2  

Das heiße Kostümdrama von Shonda Rimes nach den Liebesromanen von Julia Quinn hat uns nach seinem Debüt im Jahr 2020 vor Sehnsucht brennen lassen. Es war der sexy Hit des Jahres und wurde sogar in ein Grammy-nominiertes TikTok-Musical verwandelt. Bridgerton, eine Mischung aus Jane Austen und Gossip Girl, fühlt sich an wie ein Seifenschaumbad. Man lässt sich davon verführen, leert den Kopf damit. Die zweite Saison wurde wegen Covid auf 2022 verschoben. Details zur Handlung sind rar, bekannt ist auch dem Serienfilter bloß, dass der ewige Bachelor Anthony Bridgerton (Jonathan Bailey) um eine neue Frau buhlen wird, die freimütige und feministische Kate Sharma (Simone Ashley). (25. März, Netflix)

 

Landscapers  

Kaum erscheinen die Worte „This is a true story“ in den ersten Momenten von Landscapers, beginnt das „true“ sich auch schon aufzulösen, bis es vollständig verschwindet. Diese Miniserie mag in einem realen Fall verwurzelt sein, aber sie bewegt sich irgendwo zwischen Realität und Traum. Olivia Colman und David Thewlis (eine so perfekte Paarung, dass man sich fragt, warum erst jetzt), spielen Susan und Christopher Edwards, ein britisches Ehepaar, das 2014 verurteilt wurde, Susans Eltern ermordet und in seinem Hinterhof begraben zu haben, wo die Leichen 15 Jahre lang unentdeckt blieben. Der HBO-Vierteiler ist in den USA bereits angelaufen, hat aus Sicht des Serienfilter zurecht überragende Kritiken bekommen und wird im Frühjahr auf Sky Atlantic ausgestrahlt. Er wurde von Colmans Ehemann Ed Sinclair geschrieben und bietet jene Art experimenteller Bilder, die man im Fernsehen selten sieht.

 

The Lord of the Rings  

Amazon scheute bekanntlich keine Kosten, um uns zurück nach Mittelerde zu bringen, und legte allein für die erste Ausgabe seiner Herr-der-Ringe-Adaption fast eine Milliarde US-Dollar hin. Die Serienversion spielt im Zweiten Zeitalter, tausende Jahre vor den Ereignissen von The Hobbit und The Lord of the Rings, wir werden also eine Vielzahl neuer Figuren treffen. Alle anderen Details werden strikt unter Verschluss gehalten. Immerhin: „Ich will mein Game of Thrones“, hat Jeff Bezos so ziemlich ultra-exklusiv dem Serienfilter verraten. Wir werden ja sehen, ob er es kriegt. Und wir werden sehen, ob es wieder alle sehen wollen. (2. September, Prime Video)

The Lord of the Rings, 2022–, Patrick McKay, John D. Payne © Amazon

 

House of the Dragon 

Apropos: Fast jeder Streamer hat sich um das nächste Game of Thrones bemüht. Weitgehend erfolglos, wie wir wissen. Unterdessen hat HBO ein Spin-off kreiert. House of the Dragon spielt ein paar hundert Jahre vor der Mutterserie und durchdringt die Geschichte des Hauses Targaryen, der blonden und größtenteils verrückten Sippe, welche schließlich Daenerys zeugte, bekanntlich die Mutter der Drachen. In jener Zeit regieren die Targaryens Westeros (u.a. Matt Smith und Emma D’Arcy), selbstverständlich mit heftigen familiären Reibungen. Der Teaser verspricht machthungrige Anführer und die schuppigen Titelkreaturen, wir vom Serienfilter versprechen: Ein Social Media Shitstorm ist garantiert. Noch kein konkreter Starttermin.

 

Ferner flimmern 2022 über die Bildschirme: ein Kuriositätenkabinett, Marvel(ous) Disney Stuff, eine echte und eine Killerkrone und, jössas, HBOs erste Videospieladaption.

Die vergangenen sechs Jahre rissen ein Loch so groß wie ein Schloss in Downton Abbey-Form in unsere Herzen; Serienschöpfer Julian Fellowes gedenkt, es mit The Gilded Age (HBO/Sky) zu füllen; The Crown (Netflix), mit einer neuen Königin Elizabeth in Imelda Staunton, führt uns in der fünften und vorletzten Staffel in den Zerfall der Ehe von Diana (Elizabeth Debicki) und Charles (jetzt Dominic West). Eve und Villanelle werden einander in der letzten Season von Killing Eve (BBC America/Starzplay) entweder umbringen oder zusammen alt werden.

Betreffend Guillermo del Toros Anthologie-Serie Cabinet of Curiosities (Netflix) wird nicht nur vom Serienfilter erwartet, dass diese mit traditionellen Horrorvorstellungen spielt. Disney+ hat bald mehrere neue Serien, die von Marvel stammen, am Start – darunter She-HulkMs. Marvel (die Kanadierin Iman Vellani spielt Marvels erste muslimische Hauptfigur), Moon Knight und Secret Invasion. Ewan McGregor schlüpft erneut in die Rolle des von George Lucas erdachten und als Spielfigur bereits bis zum Abwinken ausgeschlachteten Krieger-Mönchs Obi-Wan Kenobi.

HBO hat übrigens, wie dem Serienfilter leider nicht exklusiv zu Ohren kam, sein erstes Videospiel adaptiert: In The Last of Us versucht ein Schmuggler (Pedro Pascal), ein Teenager-Mädchen durch ein postapokalyptisches Amerika zu führen. Die dritte Staffel von The Boys (Prime Video) liefert hoffentlich wieder scharfsinnige, absurd lustige und grausame Gesellschaftskommentare; Disney+ schließlich feuert mit Pistol ein Miniserien-Biopic über eine britische Punkrockband ab, nämlich über die Sex Pistols (Regie: Danny Boyle).

 

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