Love Lies Bleeding

Souveräne, romantisch-verschwitzte Genre-Eskalation – im Kino

Glass, Stewart, O'Brian, Love Lies Bleeding, 2024
Love Lies Bleeding, 2024, Rose Glass

„Love Lies Bleeding“: ein Film, der heterosexuelle Männer in Trauer darüber stürzen kann, dass sie in diesem Leben nicht mehr lesbisch werden können.

In dem Wikipedia-Eintrag zu Love Lies Bleeding findet sich schon einmal eine sehr gute Genreverortung: „a neo-noir romantic thriller dark comedy film“. Nimmt man noch die Ausgangsidee der Regisseurin Rose Glass und die Vorbereitung am Set dazu, bekommt man eine recht gute Vorstellung davon, was einen erwartet: Sie habe, erzählt Glass im Interview mit dem Magazin „Little White Lies“ einen „verschwitzten Film“ machen wollen, der in der US-Bodybuilder-Szene spielt. Und ihrem Team habe sie zur Vorbereitung Crash von David Cronenberg und Paul Verhoevens Showgirls gezeigt. Wir haben also einen recht eklektischen Genremix, der schwarzen Humor, ein eher düsterliches Weltbild, verschwitzte Körper und Body Horror zusammenschraubt und alles das von einem Cast spielen oder besser ausagieren lässt, der affektiv konstant an der Kante unterwegs ist.

Das Ganze noch einmal in Form einer Plotzusammenfassung: Jackie (Katy O’Brian) macht auf dem Weg zu einem Bodybuilding-Contest in Las Vegas Stopp in der Wüste von New Mexico. Im örtlichen Bodybuilding-Center lernt sie Lou (Kristen Stewart) kennen, die die Mitgliedschaftsausweise laminiert und die verstopften Klos wieder zum Laufen bringt. Die beiden landen schnell miteinander im Bett, ziehen zusammen und setzen in den Sexszenen, aber auch sonst, in einer Frühstücksszene, die Leinwand in Brand. Love Lies Bleeding ist nicht nur ein romantischer Neo-Noir mit Thriller- schwarzhumorigen Comedy-Elementen, sondern auch queer bis über beide Ohren. Ein Film nicht zuletzt, der auch männliche, heterosexuelle Zuschauer in Trauer darüber stürzen kann, dass sie in diesem Leben nicht mehr lesbisch werden können.

Glass, O'Brian, Love Lies Bleeding

Jackie fängt an Muskelaufbaupräparate zu spritzen. Lous Schwager (David Franco), ein Vohkuhila-Sleazebag, wie man ihn auch ansonsten im Achtziger-Jahre-Retro-Kino nur selten findet, schlägt immer wieder Lous Schwester (Jena Malone) zusammen. Als er sie ins Krankenhaus prügelt, geht es los mit der in Love Lies Bleeding an den Leinwandkörpern durchexerzierten Eskalation. Jackies Affektkontrolle geht über Bord, und sie zertrümmert den Kopf des Schwagers ihrer Freundin auf dem Wohnzimmerboden, zur Freude aller Zuschauer:innen, die wissen, was häusliche Gewalt bedeutet. Der Schwager ist also kaputt, wird von Jackie und Katy in eine Schlucht in der Wüste gekippt und verbrannt. In der Folge gibt es Probleme mit dem FBI, der korrupten Polizei des Ortes und vor allem mit Lous Gangstervater (Ed Harris), der die Ermordung seines Schwiegersohns nicht so gelungen findet.

Die Bilder von Love Lies Bleeding sind überhitzt und strahlen eine formvollendet inszenierte Dauerintensität aus. Die Tonalität der punktuell sehr drastischen Gewaltsequenzen erinnert an die Exzesse in David Lynchs Wild at Heart. Von David Cronenbergs Body Horror leiht Rose Glass sich mindestens zwei What-the-fuck-Momente. Der erste ist noch als muskelaufbaupräparatinduzierte Halluzination gekennzeichnet. Mit dem zweiten springt Love Lies Bleeding mit Anlauf ins Fantastische und schreitet dann mit buchstäblich großen Schritten in Richtung seines grimmigen Happy Ends. Aber auch in den Momenten, in denen der Film sich selbst lustvoll aus der Kurve trägt, wirkt er nie selbstzweckhaft oder wie verliebt in die eigene Krassheit. Dazu sind die Genrebezüge und Registerwechsel viel zu souverän gebaut.

Kristen Stewart hat in einem mit offensiven Porträtfotos bebilderten „Rolling Stone“-Interview verkündet, sie wolle alsbald „the gayest fucking thing you’ve ever seen in your life“ tun, und ob das Projekt in ihren Augen mit Love Lies Bleeding schon abgeschlossen ist, bleibt unklar. Aber ein Riesenschritt in diese Richtung wäre der Film in jedem Fall. Nicht zuletzt ist Love Lies Bleeding eine unverhohlene Hommage an die destruktiven Potenziale von Queerness. Was hier zerstört wird, wird vorher immer als zerstörungswürdig gekennzeichnet.

Er soll sich nicht verlieben, empfiehlt Jackie im fortwährenden Ausnahmezustand ihrem Stiefbruder, es sei zu schmerzhaft. Am Ende votiert Love Lies Bleeding dann aber doch, trotz allem Schmerz, für die Liebe. Für die allerdings erst mal mit der Knarre oder einem beherzten Tritt aus dem Weg geräumt werden muss: patriarchale Überväter, manipulative Nebenbuhlerinnen, toxische Familienmänner, die ihre Frauen verprügeln. Love Lies Bleeding ist am Ende vor allem ein ungemein romantischer Film. Und ein unfassbar verschwitzter außerdem.

 

Love Lies Bleeding
USA 2024, Regie Rose Glass
Mit Kristen Stewart, Katy O'Brian, Ed Harris
Laufzeit 104 Minuten