Fluchtkünstler

Streaming-Tipps KW 5

Station Eleven, 2021-2022, Patrick Somerville

Tödliche Gärtner („Landscapers“ auf Sky), ein verwunschenes Haus („The House“ auf Netflix) und zwei apokalyptische Serien („Station Eleven“ auf Prime Video, „All of Us Are Dead“ auf Netflix): Fluchtkünstler im Sofa Surfer.

Der HBO-Vierteiler Landscapers ist eines der romantischsten und ungewöhnlichsten True-Crime-Stücke, die ich je gesehen habe. Auf seltsame Weise könnte es die größte Liebesgeschichte nach Bonnie und Clyde sein – nur mit einer very british Höflichkeit. Ihre Bilder haben eine im Fernsehen selten surreale Qualität. Der Titel, auf Deutsch „Landschaftsgärtner“, ist ein ziemlich morbides Wortspiel und bezieht sich auf das lange verborgene Geheimnis im Herzen der humoresken Miniserie. Olivia Colman und David Thewlis (eine wirklich perfekte Paarung) spielen Susan und Christopher Edwards, ein entzückendes und geradezu liebenswertes englisches Ehepaar, das 2014 wegen Mordes verurteilt wurde. Die beiden hatten Susans Eltern in ihrem Garten hinterm Haus begraben, wo die Leichen 15 Jahre lang unentdeckt blieben.

Landscapers, 2021, Ed Sinclair

Es ist die Landschaft von Susans Geist und Olivia Colmans Gesicht, die sich als am faszinierendsten erweisen, wenn Susan wieder einmal aus der unerträglichen Realität in eine wahnhafte Fantasiewelt flieht. Sie stellt sich ihren Ehemann gern als einen Gary Cooper ähnlichen Helden in einem Western vor.

Colmans Ehemann Ed Sinclair ist der Autor von Landscapers. Mit Regisseur Will Sharpe hat Sinclair mehrere Szenen so geschrieben und gedreht, als würden wir uns Filmklassiker ansehen, die Susan liebt, wie Fred Zinnemanns High Noon oder François Truffauts Le Dernier Métro. In anderen Momenten durchbricht das fabelhafte Werk die vierte Wand, um uns die Illusion zu nehmen. In Landscapers (ab 10. Februar bei Sky) dreht sich alles um die Täuschungen, die erforderlich sind, um Kunst zu machen, und die Lügen, die notwendig sind, um hässliche Wahrheiten zu ertragen. Und wenn sich die Stimmung unweigerlich verfinstert, kann man nicht anders, als Susan um ihre Fähigkeit zu beneiden, „die Schönheit zu sehen, die im Leben existiert – selbst wenn sie nicht da ist“.

Wie die Kunst zu einer Art Lebensader wird, darum geht es im Grunde auch in Station Eleven (Prime Video). Eine Frau verarbeitet ihr Kindheitstrauma, indem sie den titelgebenden Comic schreibt. Eine andere, gespielt von Mackenzie Davis, flieht sich in Hamlet. Es ist eine Serie über die Welt, bevor und nachdem ein Virus den größten Teil der Menschheit ausgelöscht hat – und darüber, welche Dinge es wert sind, am Leben erhalten zu werden. Es mag eine bizarre Erfahrung sein, während einer tödlichen Pandemie eine Serie über eine tödliche Pandemie zu schauen, aber man kann seltsamen Trost darin finden – wie in einem Stück von Shakespeare. Es erwarten einen nicht die grausamen Spielereien, die dystopische Serien wie The Walking Dead befeuern. Die zehn Episoden von Serienschöpfer Patrick Somerville (The Leftovers), der mit Station Eleven den 2014er Roman von Emily St. John Mandel adaptiert hat, stellen eine fast schon lebensbejahende Postapokalypse dar, in der man leben will. Die unerwartete Schönheit des Endes aller Dinge spiegelt sich auch in der Inszenierung wider, insbesondere in der ersten und dritten Episode unter der Regie von Hiro Murai (Atlanta). Der japanisch-amerikanische Filmemacher ist einer der großen visuellen Stylisten, die derzeit im Fernsehen arbeiten.

Ein Dreiteiler, in dem die Fantasie eine nicht mindere Rolle spielt, ist möglicherweise der gruseligste, den Netflix seit langem herausgebracht hat. The House ist ein Animationsfilm, der in drei halbstündige Kapitel unterteilt ist, die alle am titelgebenden Ort spielen, aber in unterschiedlichen Epochen. Es gibt tanzende Krabbeltiere, Kulte von anthropomorphen Mäusen und Filmzitate von Tim Burton bis Terry Gilliam.

Zwei der drei Horrorgeschichten sehen aus, als könnten sie in derselben Welt spielen wie Wes Andersons Fantastic Mr. Fox, aber The House bewegt sich noch viel weiter in das surreale Stop-Motion-Territorium des tschechischen Künstlers Jan Švankmajer und der Quay Brothers. Der visuelle Stil des Films ist trügerisch lieblich, denn die Geschichten sind alles andere als das. Besonders das erste Kapitel, eine viktorianische Geisterhausgeschichte, unter der Regie von Marc James Roels & Emma De Swaef, ist zunächst ein täuschend idyllisches Szenario: Die Helden sind weiche Filzfiguren mit runden Köpfen, rosigen Wangen und perlend kleinen Gesichtszügen.

Das melancholische Drehbuch für alle drei Teile stammt von dem irischen Dramatiker Enda Walsh, bekannt für den Film Hunger (2008) unter der Regie von Steve McQueen mit Michael Fassbender in der Hauptrolle. Was Walshs drei Kurzfilme verbindet, ist ein schleichendes Gefühl der Angst und das Festhalten an Träumen. Es ist eine Chance für eine Familie, der Armut zu entkommen, für eine Maus, das große Geld zu machen, und für eine Katze, das Luftschloss ihrer Träume zu bauen. Alle drei sind so sehr in ihre Fantasien verwickelt, dass sie die grundlegendste Wahrheit vergessen: Ein Haus ist nicht unbedingt ein Zuhause.

Und wer noch nicht genug von Pandemie-Erzählungen hat, bekommt hiermit eine neue, binge-würdige Zombie-Serie ans Herz gelegt. Ich habe innerhalb von etwa zwölf Stunden mehr rohes Fleisch gesehen und mehr Knochenbrechen gehört als mir lieb ist; aber es ist bewegend zu sehen, wie dieses Ensemble von südkoreanischen Jungschauspielern um seine Menschlichkeit kämpft, während sie vor knurrenden Untoten flieht. Die Serie All of Us Are Dead, die auf dem Webtoon Now at Our School basiert, weist ausreichend Blutfontänen und Battle Royale-Momente auf, konzentriert sich aber besonders in ihren späteren Folgen auf die sozialen Ungleichheiten und jugendlichen Hormone, die durch den Ausbruch eines von Menschen gemachten Virus aufgedeckt werden. Immerhin spielt der Zwölfteiler hauptsächlich im wahrscheinlich darwinistischsten aller Soziotope: in der High School.

Die Schüler:innen beziehen sich bereits zu Beginn auf Yeon Sang-hos Train to Busan, den südkoreanischen Zombie-Hit aus dem Jahr 2016, in dem sie im Grunde jetzt gelandet sind. In gewisser Weise ist All of Us Are Dead, das von Lee JQ, Chun Sung-il und Kim Nam-su kreiert wurde, die perfekte Verbindung der koreanischen New Wave, die vor zwei Jahrzehnten begann, und dem K-Pop-Phänomen. Und da die Popularität von Squid Game der ganzen Welt das Geheimnis offengelegt hat, dass Südkorea erfolgreiche Filme und Serien produzieren kann, werden wir sicher noch mehr davon sehen. Das Ende von All of Us Are Dead ist übrigens bereits mit Blick auf eine zweite Season geschrieben worden. Der Netflix-Algorithmus wird einem inzwischen #Alive, Kingdom und Hellbound empfehlen.

Schließlich sei noch ein filmisches Kontrastprogramm zum apokalyptischen Serienwahnsinn empfohlen: Das historische Beziehungsdrama Ammonite mit den herausragend nuancierten Hauptdarstellerinnen Kate Winslet und Saoirse Ronan haben wir als Starkes Stück ausgekoppelt.