MaXXXine

Die „X“-Trilogie ist komplett – im Kino

West, Goth, Maxxxine
MaXXXine, 2024, Ti West

„MaXXXine“: Mia Goth brilliert als Hollywood-Starlet in der Retro-Meta-Spielerei von Ti West.

Auf hochhackigen Schuhen stakst sie ins lagerhallenähnliche Studio und nimmt auf einem Klappstühlchen Platz, das in einiger Entfernung von jenem langen Tisch aufgestellt ist, an dem die Verantwortlichen sitzen. Ausgesetzt den abschätzigen Blicken und dem abschließenden Urteil von Regisseurin und Casting Director und wer bei einem Vorsprechen sonst noch alles etwas zu sagen haben mag. Maxine Minx heißt die junge Frau, die da ihr Glück versucht, ein perfekter Porno-Name, nicht unbedingt der Name einer aufstrebenden Schauspielerin, die ernst genommen werden will. Was Maxine selbstverständlich nicht anficht, denn auf dem Weg nach oben kann man sich nicht anfechten lassen, erst recht nicht von der verächtlichen Überheblichkeit der selbsterklärten Wächter von Sitte und Anstand.

Wobei, Maxine spricht hier – zu Beginn von Ti Wests MaXXXine – für eine Rolle im Sequel eines Horrorfilms vor, also auch nicht eben die hohe Filmkunst; eines Films immerhin, der für mächtig Furore gesorgt und Regisseurin Elizabeth Binder einen gewissen notorischen Ruf beschert hat. Seit bekannt wurde, dass Binders Blut- und Gekröse-Orgie eine splatterige Fortsetzung finden soll, folgen ihr Demonstrant:innen, die auf mitgebrachten Schildern Amoral, Sündenfall und Gewaltverherrlichung anprangern, auf Schritt und Tritt. Binder ficht das freilich nicht an. Wie es sie im Übrigen auch nicht anficht, mit Maxine Minx ein nicht minder notorisches Porno-Starlet in den Cast aufzunehmen, dem die Männer ein ums andere Mal versichern: „I love your work.“ Da haben sich zwei gefunden, könnte man meinen.

Goth, West, MaXXXine

Die Handlung von MaXXXine ist 1985 in Los Angeles angesiedelt, sechs Jahre nach dem „Texas Pornhouse Massacre“, das Ti West in X (2022) in Szene gesetzt hat. Wir erinnern uns mit einigem Schrecken an die Geschichte von den hoffnungsfrohen jungen Filmleuten, die in der alten Scheune der heruntergekommenen Farm des greisen Paares Howard und Pearl einen Porno drehen wollen und ein schlimmes Ende nehmen. Also alle bis auf Maxine, last woman standing, die Pearl den Garaus macht und mit knapper Not davon kommt. Pearl, das lässt sich im Übrigen dem gleichnamigen Film entnehmen, den West im selben Jahr noch folgen lässt und in dem er die Vorgeschichte dieser Figur erzählt, hat nicht alle beieinander. Man könnte auch sagen, sie hat schwer einen an der Waffel; was daran liegt, dass sie ihre hochfliegenden Lebensträume in der entlegenen Öde, in der sie gelandet ist, erstickt sieht. Ungeliebt und unentfaltet in einer bäuerlichen Existenz gefangen, von Prüderie und religiöser Inbrunst umzingelt, bleibt ihr letztlich nur der Irrsinn.

Pearl und Maxine werden verkörpert von der 1993 in London geborenen Mia Goth, Ko-Drehbuchautorin von Pearl, Mitproduzentin von MaXXXine und eine der risikofreudigsten Schauspielerinnen ihrer Generation. Goth läuft immer dann zur Höchstform auf, wenn sie es mit Charakteren zu tun bekommt, die ihrer psychischen Stabilität verlustig gehen, ohne sich dies einzugestehen. Dann lösen sich die Nähte und die Figur geht in Fetzen, während sie zugleich so tut, als ob nichts wäre: das Auge im Wirbelsturm des Wahns, der sie umgibt oder den sie entfacht – mitunter ist das nicht zu entscheiden.

Das gilt im Übrigen auch für den in Rede stehenden Film selbst, dessen Narration West mit unermüdlichen Format- und Medienwechseln – Video, 16mm, 35mm, Super-8 u.a. in Vollbild und CinemaScope usw. – in der Schwebe hält. Und immer wieder stellt sich so die bange Frage, auf welcher Ebene wir uns jeweils wohl gerade befinden mögen: Film im Film? Rückblende? Zitat? Ironisches Zitat? Trugbild oder Hirngespinst oder Albtraum? Während solcherart die vermeintliche Sicherheit der Wahrnehmung in die Fragmente eines rasend sich drehenden Kaleidoskops zerfällt, schnitzt MaXXXine einen manieristischen Schnörkel nach dem anderen an die Genres, derer er sich bedient.

Ob West seinen Film in den zahlreich aufgespannten Fallstricken tödlich stürzen lässt oder MaXXXine in diesen ein virtuoses Tänzchen vollführt – die Entscheidung darüber darf tatsächlich jede:r für sich selbst treffen. Wie sie ausfällt, wird nicht zuletzt davon abhängen, wieviel Unaufgelöstes und Widersprüchliches, frei flottierend Unbotmäßiges man in einer Retro-Meta-Spielerei zu tolerieren bereit ist. Ich sage: Immer her damit, und gern mit voller Kelle aufgetan! Wider den Zwang zum Sinn und hinein in Maxine Minx‘ erstaunliche Bewusstseinsfarben!

 

MaXXXine
USA 2024, Regie Ti West
Mit Mia Goth, Elizabeth Debicki, Michelle Monaghan, Bobby Cannavale, Kevin Bacon
Laufzeit 103 Minuten