Way home

Schwingt Spider-Man bei den Oscars vorbei?

Spider-Man: No Way Home, 2021, Jon Watts

Vergangene Woche ging es darum, wie bedeutungslos die großen Hollywood-Preisverleihungen in unserer Kultur geworden sind. Um sich vor der kompletten Irrelevanz zu retten, könnten die Oscars in diesem Jahr Spider-Man: No Way Home allein dafür ehren, dass der Superheld mit den fliegenden Spinnweben das Hollywoodgeschäft in den dunklen Tagen der Corona-Pandemie am Leben erhalten hat. Ist das sinnvoll?

Nun, es könnte den Oscar als Filmpreis wieder in das Bewusstsein der Leute rücken und das Gefühl vermitteln, dass dort, im Olymp, auch Filme geehrt werden, die die Menschen tatsächlich gesehen haben. Andererseits, einen Film nur deshalb zu belohnen, weil er massentauglich ist, verfehlt den Sinn und Zweck dieser altehrwürdigen Preisverleihung, die sich als Wächter der „hohen Filmkunst“ versteht. Die Debatte über die Unterschiede zwischen gefeiertem Kunstkino und Kino-Populismus heizt sich im Vorfeld der Verleihung am 27. März wieder an: Was macht einen „Oscar-würdigen“ Film aus? Sollte Spider-Man: No Way Home eine Chance im Rennen um den Besten Film haben?

Es kommt darauf an, wen man fragt. Der große amerikanische Filmemacher Martin Scorsese hat Marvel-Filme bekanntlich als „Themenparks“ bezeichnet. Ridley Scott nannte sie „boring as fuck“. In einem Interview mit dem Hollywood Reporter beklagte Marvel-Studios-CCO Kevin Feige hingegen eine „Genre-Voreingenommenheit“.

Genrefilme werden tendenziell abgewertet von Kritiker:innen, aber sind sie deshalb keine Kunst? Die Debatte gibt es gewissermaßen seit Anbeginn des Kinos, zuletzt hohe Wellen schlagend 2008, als Christopher Nolans The Dark Knight historische acht Nominierungen erhielt – und eine posthume Trophäe für den besten Schauspieler für Heath Ledger mit nach Hause nahm – aber keine Nominierung in der Kategorie Bester Film. Die folgende Empörung im Internet veränderte die Oscars für immer. Von nun an gab es zehn statt fünf Nominierte. Wenn der Spinnenmann also eine Chance auf Oscar-Gold hat, liegt das zum großen Teil am Erbe von The Dark Knight – sowie an denen, die davon profitiert haben. Black Panther wurde 2019 der erste Superheldenfilm, der von der Academy für den besten Film nominiert wurde. Ein Jahr später wurde Joker für erstaunliche elf Oscars nominiert, darunter Bester Film, Beste Regie für Todd Phillips, und Bester Schauspieler für Joaquin Phoenix (er gewann zwei, darunter den wohlverdienten Preis für Phoenix). Aber Joker wurde nicht als „typischer“ Comic-Film angesehen, da Kritiker ihn als ernsthaften Blick auf psychische Erkrankungen und toxische Männlichkeit betrachteten, während die Wähler der Academy klassische Martin Scorsese-Filme wie Taxi Driver darin wiedersahen.

„Wäre es dieses Jahr wirklich so eine unsägliche Vulgarität, stünde Spider-Man: No Way Home auf der Oscar-Liste?“, fragt ein Kritiker vom Branchenblatt Variety. „Nicht als symbolische Mainstream-Geste, sondern weil es ein Film ist, der dem breiten Publikum wirklich etwas bedeutet hat. (…) Wenn die Oscars eine Zukunft wollen, wäre es eine kluge Strategie, sich nicht mit dem Dolch des Elitismus den Tod von tausend Schnittwunden zuzufügen.“

Dieser Kritiker hat nicht ganz unrecht, aber Preisverleihungen wie die Academy Awards versuchen nur theoretisch, bei der Auswahl ihrer Nominierten den Faktor Popularität beiseite zu legen. Die Schnapsidee, im Jahr 2018 die Kategorie „Best Popular Film“ einzuführen, wurde zum Glück schnell wieder vergessen. Die Oscars würdigen seit jeher kommerziell erfolgreiche Filme. Von Jaws, der 1973 das Blockbuster-Zeitalter einläutete, über Star Wars bis hin zu Titanic, Avatar und den Lord of the Rings-Filmen waren etliche für den Besten Film nominiert.

Interessanterweise wurden bei der allerersten Oscar-Zeremonie im Jahr 1929 die Auszeichnungen „Herausragendes Bild“ und „Einzigartiges und künstlerisches Bild“ vergeben (natürlich an Stummfilme). Erste ging an William Wellmans Kriegsfilm Wings – jetzt von der Academy als „erster“ Gewinner des Besten Films anerkannt – und zweite an Friedrich Wilhelm Murnaus meisterhaften Sunrise, also eine künstlerisch ambitionierte Romanze.

Nach zwei prekären Jahren für die Branche wird das Geld wohl lauter als gewöhnlich sprechen und bei zehn Nominierten könnten geschäftstüchtige Oscar-Wähler und Lobbyisten Platz für Spidey schaffen – und sei es nur wegen der Einschaltquoten. Man stelle sich vor, dass ein humanistischer japanischer Film wie Ryusuke Hamaguchis Drive My Car gegen die Popikone Spider-Man antritt – und gewinnt. Bong Joon-ho hat es mit Parasite vorgemacht.

 

 

 

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