Nicht alles Gold was glänzt

Golden Globes und Oscars verlieren immer mehr an Bedeutung.

„Wenn ein Baum im Wald einen Golden Globe gewinnt, aber nicht im Fernsehen übertragen wird, hält er dann immer noch eine peinliche Rede?“ scherzte Conan O’Brien auf Twitter vergangenen Freitag. Der Spruch brachte das geradezu philosophische Rätsel der 79. Golden Globes auf den Punkt. Von der Öffentlichkeit skeptisch beäugt oder ganz ignoriert, gingen sie am Sonntag Abend Ortszeit im Beverly Hills Hotel in Los Angeles über die Bühne. Wenn es nun mittlerweile zum guten Ton gehört, Preise zurück zu geben, weil sie wie ein Stigma anmuten, stellt sich die berechtigte Frage, ob wir denn überhaupt welche brauchen (Tom Cruise offenbar nicht mehr, er retournierte aus Protest seine drei Globes).

Große Gewinner sind im Bereich Kinofilm Jane Campions grübelnder, großartiger Western The Power of The Dog und Steven Spielbergs schönes West Side Story-Remake mit je drei Auszeichnungen. Die HBO-Serien Succession und Hacks gewannen die besten Serienpreise. Kein schlechtes Zeugnis. Aber es gab kein Publikum, keine Fernsehübertragung, keine tränenreichen Dankesreden, keinen roten Teppich, keine Promis, keine Party. Die Show wurde nicht einmal live gestreamt. Die Gewinner wurden nüchtern auf Social Media verlautbart.

Die Hollywood Foreign Press Association (HFPA), die seit 1944 die Golden Globes vergibt, war vor zwei Jahren (völlig zu Recht, wenngleich viel zu spät) in Ungnade gefallen. Die Organisation sei zu exklusiv, zu rassistisch, zu bestechlich, zu inkompetent. Gipfel: Rund dreißig Mitglieder wurden von den Produzenten von Emily in Paris nach Paris geflogen, wo sie in einem Hotel für je 1.400 US-Dollar pro Nacht untergebracht waren. Die klischeestrotzende Netflix-Serie wurde für zwei Globes nominiert, während z.B. Michaela Coels hervorragende Serie I May Destroy You völlig ignoriert wurde. Eher kein Zufall, denn kein einziges der damals 87 Mitglieder war schwarz. Die Gruppe hat inzwischen ihre Reihen diversifiziert, 21 neue Mitglieder aufgenommen und neue Compliance-Regeln verabschiedet. A little late.

Da war ein kurzer Auftritt von Arnold Schwarzenegger am Sonntagabend fast schon verzweifelt peinlich. Um das angekratzte Image der Organisation zu retten, pries der Schauspieler die Großzügigkeit und Offenheit der HFPA und betonte, dass die Gruppe einst ihm, einem jungen österreichischen Bodybuilder mit änderungswürdigem Nachnamen, einen Award zugesprochen hatte – für seine Rolle in Stay Hungry (1976) .

Ganz abgesehen von der Kontroverse, die von der L.A. Times angekurbelt wurde, hatten die Golden Globes lange vor der Pandemie ein Reputations- und Einschaltquotenproblem. Ricky Gervais nannte sie „wertlos“, als er sie im Jahr 2016 moderierte: „Es ist ein bisschen Metall, das einige nette, alte, verwirrte Journalisten Ihnen persönlich geben wollen, damit sie ein Selfie mit Ihnen machen können, okay?“

Hoffentlich ist dies das letzte Jahr, in dem wir die Golden Globes ernsthaft diskutieren. Was sind sie, wenn nicht irrelevant? Jedes Jahr, als noch Galas möglich waren, gelang es einer kleinen, dubiosen Gruppe von Auslandsjournalist:innen, ein elitäres, antiquiertes Pseudo-Ereignis zu inszenieren. Alle klopften sich auf die Schultern, die Gewinner verbeugten sich vor der Echokammer/Kollegenschaft, und am nächsten Morgen jammerten alle in den Medien darüber, wie langweilig es war (inklusive dieser Autorin). Während die Welt prekärer wird, fühlt sich der schillernde, selbstbeglückende Geist von Preisverleihungen immer bizarrer an.

Das gilt im Übrigen auch für die Oscars, die am 27. März stattfinden sollen. Keiner weiß, wie die Veranstaltung aussehen wird. Kernfrage: Wer wird zusehen wollen? Ich kann mich gut an lange Nächte mit Augenringen erinnern, in denen ich aufgeblieben bin, um die Oscars live im Fernsehen zu verfolgen. War auch einige Jahre vor Ort, um Bericht zu erstatten. Obwohl ich jetzt näher an der passenden Zeitzone lebe, sehe ich mir stattdessen lieber einen guten Film an.

Die Oscar-Zuschauerzahlen sind seit Jahren im freien Fall. In ihren besten Zeiten zog die Gala 55 Millionen Zuschauer an. Während die Zahlen von 2020, als letztlich Parasite gewann, als neues Allzeittief (23,6 Millionen) in die TV-Geschichte eingingen, brachen sie schon im nächsten Jahr um weitere 60 Prozent ein: Im April 2021 wollten nur mehr 10,4 Millionen Zuschauer live dabei sein, als die Goldmännchen ausgehändigt wurden.

Die Oscars verstehen sich als Wächter der „hohen“ Kunst, in einer Zeit, in der ein Actionspektakel voller Maschinen-Fetische (F9: The Fast Saga) sowie ein Superhelden-Franchise (Spider-Man: No Way Home), zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Filmen der Welt zählen. Freilich: Oscars spiegeln nicht in erster Linie die hohe Filmkunst wider (das können Festivals viel besser), es ging bei der Gala immer schon mehr um Voyeurismus, um Pomp, um Politik, um Einschaltquoten. Darüber hinaus wissen wir alle, wie subjektiv Preisverleihungen sind.

Preise sollten eine Wertschätzung für künstlerische Anstrengungen sein. Die Anerkennung ist für viele ein Grund, sich einen „kleineren“ Film anzuschauen. Der Entfall pompöser Preisverleihungen hätte wohl wenig Wirkung auf die Erinnerung und Relevanz kultureller Produkte. Wenn wir sie als veraltete Schiedsrichter für künstlerische Verdienste nicht loswerden können, dann müssen sie sich wieder mit den Menschen verbinden. Wenn sich die Viruswolke eines Tages endlich hebt, werden sich unsere Sehgewohnheiten geändert haben. Vielleicht ist das auch gut so. Vielleicht definieren wir dann auch den Erfolg eines Films anders. Die Errungenschaften einer Frau hinter der Kamera zum Beispiel, wie Jane Campion, bleiben auch ohne Blitzgewitter, High Heels und Glamour dieselben bewunderungswürdigen Errungenschaften.

Stellt euch vor, es ist Preisverleihung in einem schicken Hotel in Beverly Hills und niemand geht hin.