Problemfilme

Neu im Kino KW 11

Petite maman, 2021, Céline Sciamma

Neues von Céline Sciamma, ein wahres Kino-Ereignis von Audrey Diwan, und der neue Moretti läuft auch noch; zu dieser früher „Problemfilme“ genannten Abteilung zweimal kindlicher Eskapismus. Von Benjamin Moldenhauer und Roman Scheiber.

Wir beginnen mit Céline Sciamma: Die Regisseurin hatte 2019 mit Porträt einer jungen Frau in Flammen einen der intensivsten Filme des Jahres vorgelegt. Dem gingen drei Filme voraus, die zusammen einen Jugend-Trilogie bildeten (Water Lilies, Tomboy und Mädchenbande). Mit Petite Maman – Als wir Kinder waren wendet Sciamma sich nun, der deutsche Titel deutet es an, der Kindheit als Sujet zu. Nelly (Joséphine Sanz) fährt nach dem Tod ihrer Großmutter in das Haus, in dem ihre Mutter Marion aufgewachsen ist. Die Mutter muss weg, in die Klinik, mit Depressionen. Beim Spielen im Wald trifft sie ein Mädchen, das genau so heißt, Marion (Gabrielle Sanz, Zwillingsschwester von Joséphine). Sciamma ist wieder sehr nah an ihren Figuren, ohne ihnen – oder der Zuschauer:in – zu nahe zu treten. Ein Film über Kindheit, das Erwachsensein und über die Traurigkeit, die, wie Marion erklärt, nicht von den Kindern erfunden worden ist. (hier unsere ausführliche Besprechung).

Zwischendurch zweimal blanker Eskapismus. Der flott geschnittene Animationsfilm Die Gangster Gang versammelt ein nicht ganz kinderfilmtypisches Tier-Ensemble u.a. aus Wolf, Schlange, Piranha und Vogelspinne in einer Gangsterbande, dazu kommt noch ein philanthropisches Meerschweinchen. Regisseur Pierre Perifel, vorher Teil der Animationsteams von Für immer Shrek, Kung Fu Panda und Monsters vs. Aliens, gibt hier sein Regiedebüt. Womit die Richtung schon grob vorgegeben wäre: ein formvollendetes Kinderfilmspektakel.

Um einiges rührseliger geht es in Der Wolf und der Löwe von Regisseur Gilles de Maistre zu. Die Plot-Zusammenfassung liest sich, als hätte hier jemand versucht, den Erfolg des Vorgängerfilms Mia und der weiße Löwe zu wiederholen: Ein Löwen- und ein Wolfsjunges freunden sich an, umhegt von der jungen Pianistin Alma (Molly Kunz). Das Löwenjunge wird von seinen Besitzern gesucht, die es in den Zirkus bringen wollen, aber eigentlich ist das auch egal. Schließlich geht es in Der Wolf und der Löwe um nicht viel mehr als um schöne Bilder von süßen Tieren. Was ja nicht die schlimmste Form der Banalität ist.

Das Ereignis schlechthin in den österreichischen Kinos dieser Woche heißt L’Événement (eben Das Ereignis) und ist die höchst dramatische, höchst spannende, an Stellen verstörend realitätsnahe, an Stellen atemlose, berührende und insgesamt ziemlich zeitlose Verfilmung des gleichnamigen, autobiografischen Romans von Annie Ernaux, welche zurecht den Goldenen Löwen von Venedig holte und die vorige Viennale eröffnete – mehr dazu von Alexandra Seitz.

 

Immer noch im Kino:

Für den Bereich Familie ist der Regisseur Nanni Moretti Experte, spätestens seit Das Zimmer meines Sohnes, in dem mit empathischer Wärme und zugleich Unerbittlichkeit von der Zerstörung erzählt wird, die der Tod des Kindes für die Eltern bedeuten kann. In seinem neuen Film Drei Etagen verwebt Moretti – zum ersten Mal auf der Basis einer literarischen Vorlage, des Romans „Über uns“ des israelischen Schriftstellers Eshkol Nevo – die Geschichten dreier Familien. Drei sehr unterschiedliche Schicksale, die die Figuren jeweils ergreifen: der vom Sohn verursachte Autounfall, der die Eltern mit Loyalitätsfragen konfrontiert, ein Missbrauchsverdacht und eine Demenz als selbsterfüllende Prophezeiung; emotionale Zurückhaltung ist die Sache von Nanni Moretti, der wieder eine Hauptrolle spielt, auch in diesem Film nicht.

Schließlich verweisen wir auf noch einmal auf das sehenswerte neue Kapitel von Paul Schraders Lebensroman „Einsamer zerquälter Mann“, nämlich The Card Counter mit Oscar Isaac in der Titelrolle, neuerlich als lebender Druckkochtopf.

Und wie bereits gesagt: Wer nur einmal, wer wenigstens einmal in diesem Monat trotz aller Virenschleuder-Nichtmaßnahmen (aka „durchlaufen lassen“) ins Kino gehen möchte, der oder die sollte wenigstens in diesen Film gehen.