Eskapismus

Neu im Kino KW 12

Der Schneeleopard, 2021, Marie Amiguet, Vincent Munier

Eskapismus und andere Betäubungen. Ein seltenes Tier mit breiter Brust und großen Pranken. Und der neue Film von Mike Mills.

Angesichts der Lage in der Ukraine ist die Versuchung groß, den Kopf in den Sand zu stecken und die Realität zu verweigern. Wer sich darüber hinaus noch drogenlos betäuben will, möge die von Michael Bay durch Los Angeles gesteuerte Ambulance besteigen und sich hinterher aber auch bitte nicht beschweren, wenn Hören und Sehen vergangen sind und jegliches Denkvermögen fluchtartig das Hirnkastl verlassen hat. Der MegaGiga-Bankraub geht also schief, woraufhin eine MegaGiga-Verfolgungsjagd mit MegaGiga-Schießerei stattfindet. Es rummst gehörig im Gebäude, wenn Bay die Action auf die Leinwand haut als wäre er Jackson Pollock; nur leider bleibt nicht viel, äh, vielmehr nichts hängen. Außer vielleicht die auch nicht eben neue Erkenntnis, dass so ein richtiges Actionbrett zwar eine feine Sache ist, noch mehr Spaß aber macht, wenn auch noch etwas Sinn im Spiel ist. Was ein Schauspieler vom Kaliber Jake Gyllenhaals in diesem Unfug zu suchen hat, erschließt sich (zumindest mir) nicht, vermutlich war ein Anfall von Regression schuld; Sie wissen schon, kleine Jungs, die mit Plastikpistolen Räuber und Gendarm spielen, Riesengaudi und so.

Riesengaudi sicher auch, so können wir allerdings nur mutmaßen, in Alireza Golafshans JGA: Jasmin. Gina. Anna., der von den Turbulenzen im Rahmen eines Junggesellinnenabschieds handelt; für manche dürfte dies Grund genug sein, um diese deutsche Komödie einen großzügig bemessenen Bogen zu beschreiben. (Immerhin: Luise Heyer spielt mit.)

Wenden wir uns stattdessen gen Tibet, wo zwei Herren in mittleren Jahren in ausgesprochen abgeschiedener Gegend dem dort (noch) ansässigen Schneeleoparden auflauern; der eine, weil er Naturfotograf ist, der andere, weil neugierig; außerdem möchte er ein Buch über das Unterfangen schreiben. Unterhaltungen finden ausschließlich im Flüsterton statt, es ist ziemlich kalt und manchmal bemerken die, die da so ausgiebig in die Gegend schauen, dass sie im Gegenzug gleichermaßen beobachtet werden. Manche der Prospekte der prachtvollen Landschaft sind wie Suchbilder: Sieht man genau hin, erkennt man das Tier darin, das den Blick erwidert oder nicht und sich jedenfalls so seine Gedanken macht. Wo andere sogenannte Naturfilme mit pathetischem Gesülze nerven, nimmt sich La Panthère des neiges / Der Schneeleopard von Marie Amiguet und Vincent Munier dezent zurück – und wurde dafür kürzlich mit dem César für den Besten Dokumentarfilm ausgezeichnet. An der Stelle von Überwältigung vermittels optischer Attraktionen steht hier die Tiefenentspannung vermittels einer Schulung des Blicks – und die Musik stammt von Nick Cave und Warren Ellis. Nichts wie hin!

Mike Mills lässt zwischen seinen Filmen ja immer ziemlich viel Zeit verstreichen, legt dann aber jedes Mal ein Werk vor, auf das zu warten sich gelohnt hat. So auch diesmal mit C’Mon C’Mon / Come on, Come on – jedenfalls findet das der überwiegende Teil der Kolleg:innenschaft und ist voll des Lobes. „Poetisch“ sei dieses Roadmovie in Schwarzweiß, auch das Unwort „leichtfüßig“ wurde bereits gesichtet, und wer nun an „sentimentales Geschwurbel“ denkt, landet näher dran, an der Wahrheit. Naja, jedenfalls bekommt die Geschichte um den alleinstehenden Radiojournalisten Johnny, der sich während einer familiären Krise um seinen neunjährigen Neffen Jesse kümmern muss, immer mal wieder leichte Schlagseite in Richtung Rührseligkeit. Was sehr wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass die Idee zum Film sich einem Gespräch verdankt, das Mills mit seinem neunjährigen Sohn führte, und dessen bahnbrechende Erkenntnis darin bestand, dass die Erwachsenen den Kindern besser zuhören und sie ernster nehmen sollen. Ja, eh. Helikopter-Eltern werden diesen Film lieben. Anderen wird vielleicht auffallen, dass das große Problem von C’Mon C’Mon ausgerechnet die Figur des kleinen Jungen ist, der als Mini-Philosoph nicht überzeugt, sondern altklug nervt. Da kann Joaquin Phoenix in der Rolle Johnnys noch so engagiert gute Miene zum bösen Spiel machen.