Eigene Gesetze

Wer holt den Krankenwagen? „Ambulance“, Geballer von Michael Bay – jetzt im Kino.

Ambulance, 2022, Michael Bay

„Ambulance“ ist ein selbstzweckhaftes Dauer-Action-Spektakel, aber in gewisser Hinsicht auch so etwas wie reines Kino.

Routiniert von Null auf Hundert, mal wieder. Ambulance ballert los, von der ersten Minute an, auch wenn da eigentlich nur Dinge passieren, die unübersehbar niemanden wirklich interessieren. Die Protagonisten werden eingeführt, und es wird erstmal staksig, wie es in Michael Bays Filmen eigentlich immer ungelenk zugeht, wenn jemand so etwas wie Gefühle zeigen soll, die sich nicht nur in ausdauerndem Durcheinanderschreien artikulieren. Will Sharp (Yahya Abdul-Mateen II) hat kein Geld, um seiner Frau die Krebsoperation zu finanzieren. Außerdem ist er ein Ex-Marine und fühlt sich von seinem Land ungerecht behandelt. In der Szene, in der er mit seiner Versicherung telefoniert, gibt es aber schon mehr Schnitte als andere Filmschaffende in anderthalb Stunden unterbringen.

Die Frequenz steigert sich noch, als Will mit seinem Bruder Danny (Jake Gyllenhaal – Will wurde von der Familie Dannys adoptiert) zusammentrifft, der als polizeibekannter mehrfacher Bankräuber und Sohn eines legendären Bankräubers aus nicht geklärten Gründen unbehelligt in einem Autohaus mit diversen Angestellten residiert. Will platzt mitten in den Aufbruch zum 38. Bankraub hinein und fährt nach kurzem Hin und Her einfach mal mit Danny und seiner Crew mit. Die Plausibilität fliegt hier gleich zu Beginn aus dem Fenster, und der Versuch einer glaubwürdigen Figurenpsychologie (Krebs-OP, Versicherung, vom eigenen Land enttäuscht usw.) ist wirklich nur pro forma, irgendwie muss man ja zum endlosen Krachbumm hinführen, ohne dass Zuschauerin und Zuschauer sich allzu verarscht vorkommen würden.

Eiza González

Dann Banküberfall, und natürlich geht alles schief. Alle bis auf die beiden Brüder werden erschossen, man kapert einen Krankenwagen mitsamt angeschossenem Cop und Krankenschwester und kachelt konstant brüllend durch L.A., eine ganze Armee hinter sich, Autos, Hubschrauber, Scharfschützen. Alle produzieren gemeinsam Radau. Das Publikum kann sich zurücklehnen und alles Weitere auf sich einprasseln lassen, zwei Stunden lang.

Berückend an der Action-Inszenierung in Ambulance ist, wie hier mit maximaler Bewegungsintensität, Schnittfrequenz und freidrehender POV-Drohnenkamera, freiwillig oder unfreiwillig, ein letzten Endes statischer Zustand entsteht. Denn der Pegel bleibt, mit ein paar Schwankungen, konstant. Was eben auch dazu führt, dass bald alles gleich ist. Da Michael Bay gar nicht erst versucht, aus seinen Figuren etwas anderes als aufeinander losgehende Körper werden zu lassen, kann die ganze Orgie hier auch an und für sich genossen werden, als das selbstzweckhafte Spektakel, das sie ist. Obwohl, „Orgie“ trifft es nicht. Wie clean, perfektionistisch und steril Ambulance dann doch ist, wird spürbar, wenn der Film versucht, über die Stränge zu schlagen. In einer Szene muss die Krankenschwester Cam (Eiza González) bei voller Fahrt operativ einen Milzriss bei dem halbtoten Polizisten verhindern, der auf der Trage im Krankenwagen mit rumfährt. Will, der natürlich alles in allem ein gutes Herz hat, assistiert, Cam ist per Videoschalte mit drei Chirurgen verbunden, legt beherzt los und verschwindet bis zum Arm im Innern des Polizisten. Es gibt Blutfontänen, Innereien in Nahaufnahme – und trotzdem spürt man als Zuschauer:in genau nix. Das muss man erstmal schaffen: ein Spektakel so zu gestalten, dass die Menschen auf der Leinwand wirklich ausschließlich Trägermasse sind.

Mit den Filmen von Michael Bay verhält es sich in dieser einen Hinsicht ähnlich wie mit dem filmischen Werk Jess Francos: Man sollte alle Filme sehen, dann zeigen sich eigene Gesetze, Obsessionen und wiederkehrende Dynamiken. Es entsteht eine eigene Welt, deren Gestalt ganz wesentlich von den freidrehenden Privatphantasien ihres jeweiligen Schöpfers abhängt. Auch in diesem Michael-Bay-Film wollen zum Beispiel eigentlich alle nur nach Hause, können aber nicht, weil zwischen ihnen und ihrem Zuhause wieder einmal eine ganze Armee steht. Und weil sie vor lauter Testosteron-Ästhetik nur mit Mühen noch geradeaus laufen können.

Alles in allem erfüllt auch dieser Michael-Bay-Film wieder seinen oberflächlich bombastischen, eigentlich aber doch recht bescheidenen Zweck: mit großer Bewegungsenergie und den technisch zurzeit avanciertesten Mitteln alles platt machen. Man ist als Zuschauer nicht wirklich drin, sondern schaut mit einer Mischung aus Ekel und Faszination auf diese Welt, in der hysterische Männer sich gegenseitig ausdauernd totmachen; eine Welt, die wirkt, als sei sie erdacht und gebaut von Filmemachern, die eventuell nicht einmal ahnen, was Gewalt real ist und deren Bilder sich dementsprechend von jedem Referenten gelöst haben. In diesem und nur in diesem Sinne ist Ambulance so etwas wie reines Kino.

 

Ambulance
USA 2022, Regie Michael Bay
Mit Jake Gyllenhaal, Yahya Abdul-Mateen II, Eiza González, Devan Long
Laufzeit 136 Minuten