Meister der Ambivalenzen

Regisseur Todd Field im Porträt

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Todd Field in Eyes Wide Shut, 1999, Stanley Kubrick

Todd Field: Sein Werk ist überschaubar, und doch ist der frühere Schauspieler einer der bedeutendsten Filmautoren der Gegenwart.

Drei Spielfilme hat Todd Field gedreht. Jeder wurde für einen oder mehrere Oscars nominiert: In the Bedroom (2001) für Bestes Adaptiertes Drehbuch und Bester Film, Little Children (2006) für Bestes Adaptiertes Drehbuch und Tár (2022) für Bestes Originaldrehbuch, Beste Regie und Bester Film. Dazu kommen weitere sechs Nominierungen, die an die beteiligten Schauspieler:innen gingen: Tom Wilkinson, Sissy Spacek und Marisa Tomei für In the Bedroom, Kate Winslet und Jackie Earle Haley für Little Children, Cate Blanchett für Tár. Sowie zwei Nominierungen für Kamera und Schnitt in Tár.

Nun kann man natürlich von den Oscars halten, was man will. Respektive kann man die Sinnhaftigkeit anzweifeln, das kompetitive Prinzip auf den kreativen Prozess und die durch ihn hervorgebrachten Kunstwerke anzuwenden, um den Vergleich von Äpfeln mit Birnen und Pfirsichen mit Aprikosen zu ermöglichen, damit anschließend der hübschesten Stachelbeere ein Krönchen aufgesetzt werden kann. Wir kommen ja aber um das hässliche Business nicht herum, dem mitunter glanzvolle Schönheit entwächst; und diesem um den eigenen Nabel rotierenden Eitelkeitsbetrieb sind Preise und Auszeichnungen, Plaketten und Statuen nunmal wichtig und ausgerechnet ein Oscar getauftes Goldmännchen am allerwichtigsten. Also folgen wir der unkünstlerischen Logik und stellen fest, dass vierzehn Nominierungen für drei Filme eine ganze Menge sind und hier offenbar einer was kann.

Was Field nicht kann, ist schnell arbeiten, denn die drei Filme entstanden in einem Zeitraum von zwanzig Jahren. Das ist lang. Zwischen Little Children und Tár habe Field, so heißt es, an diversen unrealisierten Projekten gearbeitet, verschiedenen Adaptionen, darunter Cormac McCarthys „Blood Meridian“ und Jonathan Franzens „Purity“. Er selbst äußerte sich im September 2022 gegenüber der New York Times wie folgt: „I set my sights in a very particular way on certain material that was probably very tough to get made.“ Was genau und im Einzelnen dazu geführt hat, dass das Talent eines der größten Filmemachers der Gegenwart satte 15 Jahre lang brach lag, wird also wohl auf ewig in diplomatisch-geheimniskrämerischem Nebel verborgen bleiben.

todd field, little children
Jennifer Connelly, Patrick Wilson in Little Children, 2006, Todd Field

Moment mal, stand da eben „einer der größten Filmemacher der Gegenwart“? Mit gerade mal drei Langfilmen im Körbchen?! Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Sie ahnen es gewiss — Nein, ist es nicht! Denn jeder dieser drei Filme ist auf seine Art ein meisterliches Werk, kompromisslos, scharfkantig, reflektiert; herausragend gespielt, elegant in Szene gesetzt; furchtlos – und vor allem: eigenständig denkend – eine Welt in den Blick nehmend, die nicht schön ist. Somit also der Wahrheit gewidmet.

Und wer ist nun der Mann, der für diese Filme verantwortlich zeichnet?

Geboren wurde William Todd Field am 24. Februar 1964 in Pomona, Kalifornien, aufgewachsen ist er in Portland, Oregon. Statt aufs College zu gehen, geht der gleichermaßen talentierte Musiker nach New York, um Schauspieler zu werden. Er arbeitet am Theater und verdingt sich in Jazz-Clubs; einige Rollen in einigen Fernsehserien helfen über die Runden, die Nebenfigur eines Sängers in Woody Allens Radio Days markiert 1987 sein Leinwanddebüt. Bis 2005 arbeitet er kontinuierlich als Schauspieler; die Internet Movie Database verzeichnet 41 Einträge, darunter Barpianist Nick Nightingale in Eyes Wide Shut (1999, Stanley Kubrick), auf dessen eindringliche Warnungen Dr. Harford mal besser gehört hätte. 1992 beginnt Field eine Ausbildung zum Regisseur; es folgen mehrere Kurzfilme, bis er 2001 mit In the Bedroom das sprichwörtlich fulminante Debüt vorlegt.

Der Film basiert auf einer Kurzgeschichte des 1999 verstorbenen Autors Andre Dubus; an dessen Erzählungen schätzt Field, „dass sie den postmodernen Zynismus des Zeitgenössischen im Licht des Realismus zeitloser moralischer Probleme reflektieren“. Im konkreten Fall bedeutet dies die genaue und aufmerksame Beobachtung dessen, was passiert, wenn Durchschnittsmenschen, die keinerlei Gewalterfahrung haben, mit Gewalt konfrontiert werden. Ein unsentimentaler Blick in die Abgründe der amerikanischen Seele.

Matt und Ruth Fowler leben in einer jener Kleinstädte Maines, die dank Stephen King mit einem Fluch beladen zu sein scheinen. Er ist Arzt und sie leitet den Chor der Highschool. Ihr gemeinsamer Sohn Frank verliebt sich in die um einiges ältere Natalie, die in Scheidung von ihrem gewalttätigen Mann Richard lebt. Mit ihr und ihren beiden Söhnen probt Frank das Familienleben. Dabei schätzt er die Situation falsch ein und schließlich wächst sie ihm über den Kopf: Im Laufe einer Auseinandersetzung mit Richard wird er erschossen. Eine Tragödie, ganz recht, aber das, was sich dann abspielt, macht daraus eine Katastrophe und versieht das Ganze mit einer zusätzlichen moralischen Dimension. Ruth Fowler hält es nicht aus, mit dem Mörder ihres Sohnes, der zudem nur des Totschlags angeklagt und auf Kaution freigelassen ist, in derselben Stadt zu leben. Also bringt Matt ihn ihr zuliebe um. Damit stellt sich die Frage nach dem Schuldigen erneut und die Frage nach der Schuld neu.

In the Bedroom läuft auf zwei Ebenen, der psychologischen und der moralischen: so verständlich und nachvollziehbar das Handeln der Figuren auch dargestellt ist, so schnell und unmissverständlich ist auch klar, dass das, was sie tun, schlicht falsch ist. Die Unaufhaltsamkeit, mit der sie in ihr Verhängnis rutschen und (kollektiv) ihre Integrität verlieren, ist nur schwer auszuhalten. Weil jede Figur sorgfältig charakterisiert ist, weil Fields Erfahrung als Schauspieler ganz offenbar seinen Darstellern zugute gekommen ist, weil der Film weder auf Lautstärke noch auf Aktionismus setzt, entsteht nicht nur eine beklemmende Atmosphäre, sondern dräut sekündlich der Untergang. Dazu wartet In the Bedroom mit einem intensiven Realismus auf; das Verhängnis ist eingebettet in Alltagsbeobachtungen, kleine Details, die von Antonio Cavalches Kamera ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden, als könnten sie Stabilität garantieren auf schwankendem Boden.

Nach dem Mord kommt der Mann nach Hause und die Frau steht auf, um ihm Kaffee zu kochen und das Frühstück zu bereiten. Es ist ein friedlicher Morgen, ein lauer Wind weht durch die zarten Gardinen, das Versprechen von Sonnenschein liegt in der Luft, und man spürt genau, dass nie wieder irgendetwas so sein wird wie früher; dass die eigentliche Hölle mit der Abblende beginnt.

Auch Little Children ist die Adaption eines literarischen Werks: des 2004 erschienenen gleichnamigen Romans von Tom Perrotta, mit dem zusammen Field auch das Drehbuch verfasste. Diesmal lässt sich ein allwissender Erzähler vernehmen, der an zentralen Stellen im Voiceover Einschätzungen des Handlungsverlaufs und der inneren Verfasstheit der Figuren vornimmt. Das sorgt für eine gewissen Distanz, aus der heraus das Vorstadt-Drama um Hausfrau und Mutter Sarah und Hausmann und Vater Brad, die mit ihrem Leben eigentlich mehr vor hatten als eben dies, und deren Affäre miteinander daher auch ein wenig dem alltäglichen Ennui geschuldet scheint, etwas von seiner tragödischen Schärfe verliert, ja, an manchen Stellen sogar einen Anflug von Komik entwickelt. Tragikomödie, realitätsnah, könnte man meinen. Dann wieder wirkt es wie Satire, wenn die Suburban-Mummys hysterisch nach ihren Kindern greifen und zurück nachhause flüchten, weil sich Sarah und Brad auf dem Spielplatz küssen. Wie Horror, wenn Ronnie, der Mann mit der psychosexuellen Störung, von den anderen nur „der Kinderschänder“ genannt, zum Schnorcheln ins vollbesetzte Schwimmbad hüpft. Wie Familiendrama, wenn Ronnies Mutter wie eine Löwin gegen die Vorurteile kämpft, die ihren Sohn bedrohen. Wie Melodram, wenn Sarah am Ehebruch und an der Sehnsucht verzweifelt. Wie Psychothriller, wenn Ronnie sich eines weiteren Übergriffs schuldig macht.

Der Schrecken der Vorstadt also und des dort inmitten sich vollziehenden Lebens. Vor allem aber auch diesmal wieder ein Zusammenwirken aus Präzisionsschauspielerei und der wirklichkeitsgetreuen Darstellung eines überschaubaren Soziotops, in dem die psychologischen Profile mit den existenziellen Fragestellungen konvergieren. Was Todd Field in Little Children zeigt, ist das kurze Aufbäumen, in dem der an seinen Träumen festhaltende Mensch sich dem Leben in Unbedeutsamkeit und/oder Unglück entgegen stemmt. Bevor er – von äußeren Umständen, von inneren Zwängen, von Konventionen und Erwartungen, von Mutlosigkeit oder Schwäche – zum Aufgeben gedrängt wird. Und aufgibt…

Die einen sterben daran, die anderen wachsen, die dritten schlafen einfach weiter.

 

Lesen Sie die Fortsetzung dieses Textes in der Rezension von Tár.

 

Little Children ist gegen moderates Entgelt auf Plattformen wie Amazon Prime Video oder Apple TV buchbar.
In the Bedroom ist derzeit nicht legal im Stream verfügbar.
Tár läuft am 2. März in Österreich und Deutschland im Kino an.