Mit Liebe und Unerbittlichkeit

Der neue, wieder einmal schrecklich intensive Film von Claire Denis – im Kino

Denis, Lindon, Binoche, Avec amour et acharnement
Mit Liebe und Entschlossenheit, 2022, Claire Denis

„Mit Liebe und Unerbittlichkeit / Avec amour et acharnement“: Nichts muss einem fremd sein von dem, was diese Ménage-à-trois auf der Leinwand treibt.

Zu Anfang ein paar Sätze, die ich vor ein paar Jahren woanders über die Filme von Claire Denis geschrieben habe, und die in meinen Ohren immer noch halbwegs stimmig und richtig klingen: „Das Kino lebt von dem Versprechen, Dinge über das Leben nicht nur zu behaupten und mitzuteilen, sondern sie spürbar werden zu lassen. Im Falle der Filme von Claire Denis ist die Körperlichkeit der Bilder das Medium dieses Wissens, ungleich stärker als bei den meisten anderen Filmemacherinnen und -machern. Im Zentrum ihres Kinos stehen nicht Plots, die von A nach B erzählt werden, sondern die Körper der Figuren, die miteinander und mit der Welt um sie herum interagieren – pragmatisch, diszipliniert, grenzüberschreitend, lust- und gewaltvoll, aber nur sehr selten glücklich.“

Des Weiteren zur ersten Annäherung ein paar Sätze zum deutschen Titel dieses wieder einmal schrecklich intensiven Films, Mit Liebe und Entschlossenheit, der führt gleich einmal auf die falsche Spur. Der französische Titel, Avec amour et acharnement, ließe sich besser mit Mit Liebe und Unerbittlichkeit übersetzen (meint der Google-Translator), und das wiederum ist dann auch ein schönes Begriffspaar zur Beschreibung des Kinos von Claire Denis im Gesamten. Die Filme von Denis wissen um „Schönheit und Scheiße des Menschengeschlechts“ (Wiglaf Droste) und nehmen beides sozusagen unverwandt in den Blick. Ein Blick, der nicht zärtlich ist, sondern Gewalt zulässt und auch braucht, um das zeigen zu können, was er zeigen will. Aber liebend darin, dass er alles annimmt und zulässt und nicht richtet.

Denis, Binoche, Avec amour et acharnement

Schönheit und Scheiße im Falle von Mit Liebe und Unerbittlichkeit (nennen wir den Film von jetzt an besser so): Seit zehn Jahren leben Jean (Vincent Lindon) und Sara (Juliette Binoche) zusammen. Jean ist der Mann nach François (Grégoire Colin), der an Sara damals irgendwie das Interesse verloren hat. Nun taucht er wieder auf und will nochmal, und Sara zieht es heftig zurück und zu ihm hin. Warum, erfährt man nicht, wie immer bei Denis sind die Figuren zuerst als Körper präsent, nicht als Subjekte mit einer Psychologie, die sich genrekonform auffächern ließe. Jean ist ruhig und verschlossen und spricht nicht über seine Gefühle. Sondern wartet ab, bis passiert, was passieren muss und lässt dann alles raus und eskaliert. Sara will über Gefühle reden, lügt aber ausdauernd, wenn es darum geht, was gerade mit ihr passiert. François bezieht Lust aus der Destruktion: mit überlegenem Lächeln zerstören, was da ist, in dem Fall die Beziehung eines seiner ehemals besten Freunde und einer früheren Liebe. Ein formvollendeter Narzisst, so viel Küchenpsychologie dann doch, der sich schmollend ins Badezimmer verzieht, nachdem er Sara erfolglos zum Analverkehr drängeln wollte.

Von Ménages à trois wird im französischen Kino eventuell öfter erzählt als anderswo. Denis presst dem klassischen Sujet mit Leichtigkeit noch einmal eine ungewohnte Tonalität ab, indem sie die Dynamik dieser Beziehung nicht vorführt und moralisch für uns auswertet (wenig interessiert in den Filmen von Claire Denis so wenig wie Moral), sondern sie gleichsam in Zuschauerin und Zuschauer hinein verlegt. Mit den Mitteln des Körperkinos, das so gebaut ist, dass Verbindungen zwischen den Leinwandkörpern und den Körpern vor der Leinwand entstehen. In der ersten Hälfte von Mit Liebe und Unerbittlichkeit werden die drei Figuren auf ihre jeweiligen Schienen gesetzt und marschieren dann in die Richtung los, in die sie eben müssen. Die eben unerbittliche Ausweglosigkeit wird verstärkt durch die Drone-förmige Musik von Claire Denis’ Hausband Tindersticks und die die Räume sukzessive verkleinernde Kameraführung von Éric Gautier (der auch den ebenfalls 2022 entstandenen Denis-Film Stars at Noon gefilmt hat; mit ihrer Stammkamerafrau Agnès Godard hat Denis seit Meine schöne innere Sonne nicht mehr zusammengearbeitet).

Colin, Binoche, Mit Liebe und Entschlossenheit

Ab der Mitte etwa, wenn es mit der Affäre richtig losgeht, ändert sich der Rhythmus der Bilder und damit auch die Eingebundenheit von Betrachterin und Betrachter. Alles läuft auf eine unvermeidliche Eskalation zu, und als es so weit ist, zeigt sich der wirklich singuläre Blick auf die Menschen vor der Kamera in den Filmen Claire Denis konzentriert: eine Unparteilichkeit, die eine Form von Liebe ist, und die Claire Denis selbst noch in einem Kannibalenfilm wie Trouble Every Day herstellen und erhalten kann.

(Spoilerwarnung: Von hier an sollte man den Film schon gesehen haben.)

Im Falle von Mit Liebe und Unerbittlichkeit: Jean hat endlich Sicherheit und Beweise, legt die Sprachlosigkeit ab und den Zorn der Gerechten an. Sara hört nicht auf damit abzustreiten und, als es sich nicht mehr abwenden lässt, irgendwelche Banalitäten von sich zu geben, und man ist in dieser kurzen Zeitspanne auf Seiten des Mannes (und wundert sich, weil man das in diesen Filmen ansonsten eben nicht ist, auf einer Seite; sondern immer auf allen zugleich, im selben Maß in der Schönheit und der Scheiße). Die Körper lösen das dann auf: die gepresst-lustvolle Gewalttätigkeit des Mannes mitsamt Möbelweitwurf im gemeinsamen Wohnzimmer wird abgelöst durch einen Ausbruch der Frau, einen Schrei: Sie sei noch nie, wirklich noch nie in ihrem Leben frei gewesen. Und der Schrei überschreibt den Zorn nicht, sondern stellt beides nebeneinander, gleichberechtigt, beides ist im Raum präsent und geht da auch nicht mehr weg.

Deswegen muss dieser Raum geschlossen werden, weil sich das nicht mehr auflösen lässt, und die Beziehung kommt zu einem Ende. Der eine geht zu etwas zurück, die andere geht ins Offene. Mit Liebe und Unerbittlichkeit ist ein gnadenloser Film, in dem man alle und alles gleichermaßen verstehen kann. Mit Liebe und Unerbittlichkeit zu erzählen und zu filmen läuft im Kino von Claire Denis auf das Wissen hinaus, dass einem, so einfach ist es dann mit einem Mal vielleicht doch, wirklich nichts von dem, was man zu sehen und zu spüren bekommt, fremd ist oder sein müsste. (Hier geht’s zum Trailer.)

 

Mit Liebe und Entschlossenheit / Avec amour et acharnement
Frankreich 2022, Regie Claire Denis
Mit Juliette Binoche, Vincent Lindon, Grégoire Colin
Laufzeit 116 Minuten