KI vs. Hollywood

Künstliche Intelligenz, Deep Fake und De-Aging sind gekommen, um zu bleiben.

Salma Hayek, Joan Is Awful
Joan Is Awful, 2023, Ally Pankiw

KI – nun sind wir also offiziell in Baudrillards Ära der Simulation eingetreten. Die Simulation ist jetzt nicht mehr von der Realität zu unterscheiden und ersetzt sie, oder? Die Sorgen der Filmbranche sind jedenfalls ernst zu nehmen.

In der ersten Folge der neuen Staffel von Black Mirror mit dem Titel „Joan is Awful“ spielt Annie Murphy die titelgebende Joan. Was Joan nicht weiß, ist, dass ihr Leben aufgezeichnet und an eine KI-Maschine von Streamberry, einem Netflix-artigen Streamer, übertragen wird. Ihr Tag wird dann jeweils am Abend als höchst realitätsnahe und dramaturgisch auffrisierte TV-Serie ausgestrahlt, in der Joan von Salma Hayek gespielt wird. Aber in dieser Serie (innerhalb der Serie) ist nicht wirklich Salma Hayek zu sehen, stattdessen hat die Schauspielerin nur ihr Aussehen zur Verfügung gestellt. Hayek wird dann wiederum in einer übergeordneten Serie von Cate Blanchett gespielt, aber ich bin mir nicht sicher, ob die echte Blanchett ihre Erlaubnis dazu gegeben hat. Sie sehen, es ist kompliziert!

Joans Serie stammt komplett aus dem Computer und kann daher schnell produziert werden. Das Problem: Sowohl Joan als auch Salma Hayek haben die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht gelesen. Der Vertrag gibt Streamberry die Erlaubnis, mit ihren Abbildern zu tun, was sie wollen. „Sie könnten Salma Hayek dazu bringen, einem Orang-Utan einen zu blasen, wenn sie wollten“, sagt eine Anwältin über die Programmierer. Netflix nimmt sich hier natürlich selbst aufs Korn und schmunzelt die digitale Ersetzung von Schauspielerinnen charmant weg, aber die Black Mirror-Folge „Joan is Awful“ trifft mit aktuell diskutierten Themen wie Deep Fake und Datenschutz voll ins Schwarze.

Hollywood liebt eine gute Geschichte über das Spannungsfeld zwischen Mensch und Maschine, aber mit dem Streik der US-Autorengewerkschaft und (aktualisiert:) ab 14. Juli dem Streik der Schauspieler:innen hat dieses Subgenre der Science-Fiction jetzt die vierte Wand durchbrochen. Menschen rebellieren gegen Roboter, eine Szene wie aus The Matrix. Keanu Reeves hat übrigens eine Klausel in seinen Filmverträgen, die es Studios verbietet, seine Auftritte digital zu bearbeiten. „Keanu Will Never Surrender to the Machines“ lautet der Titel eines Interviews im Wired Magazin. Im Gegensatz übrigens zu Christopher Nolan, der „lernte, sich keine Sorgen mehr zu machen und KI zu lieben“ (Story ebendort).

Die sehr reale Frage, wem Salma Hayek oder Keanu Reeves „gehören“, beschäftigt nicht nur die Hollywoodstars und ihre Vertreter. Es betrifft im Grunde Schauspielergewerkschaften auf der ganzen Welt, die gegen alte Knebelverträge kämpfen. Für einige Experten ist es sogar eine Frage, die jeden betrifft und eine dystopische Zukunft vorwegnimmt – eine, in der Identitäten gekauft, verkauft und beschlagnahmt werden.

Nolan hat gesagt, dass die Kreativindustrie den Kampf gegen die Künstliche Intelligenz längst verloren hat. Der Regisseur hat wahrscheinlich nicht ganz Unrecht. KI ist inzwischen ein fester Bestandteil der Unterhaltungsindustrie. Sie ist in den synthetisierten Stimmen des „von den Toten auferstandenen“ Andy Warhol und Anthony Bourdain zu hören und in visuellen Effekten wie Deep Fakes und De-Aging zu sehen. Aktuelle Beispiele dieser Kunst kann man gerade im Kino und zu Hause bewundern, wenn ein digital verjüngter Harrison Ford in Indiana Jones and the Dial of Destiny noch einmal gegen Nazis oder Samuel L. Jackson in Secret Invasion gegen Aliens kämpft. KI-Deep-Fakes können die digitale Version eines Schauspielers in einem Film oder in einer Werbung beliebig platzieren. Im Mai hat ein Deep Fake von Ryan Reynolds uns einen Tesla verkauft. Es war ein Scherz von einem Fan, der die Aufmerksamkeit von Elon Musk auf sich ziehen wollte, aber ich bin mir nicht sicher, wer zuletzt lacht.

Die Drehbuchautoren in Hollywood streiken bereits seit über zwei Monaten – und das zurecht. Protestschilder wie „ChatGPT hat kein Kindheitstrauma“ warnen Studiomanager, dass Autoren sich nicht durch Maschinen ersetzen lassen wollen. Die mehr als 160.000 Mitglieder der US-Schauspielergewerkschaft stimmen derzeit darüber ab, ob sie ihren eigenen Streik genehmigen sollen, um sich vor dem unregulierten Einsatz von KI zu schützen (Bericht in Deadline).

Die Spannungen wurden auch im Mai deutlich, schrieb der Guardian, als auf KI spezialisierte Technologieunternehmen zu den Sponsoren einer „AI on the Lot“-Konferenz in Hollywood gehörten, die darüber diskutierten, wie Künstliche Intelligenz jeden Aspekt der Filmproduktion verändert. Das in Santa Monica ansässige Unternehmen Flawless hat sich auf die Verwendung von Deep-Fake-Tools konzentriert, um die Mundbewegungen und Gesichtsausdrücke von Schauspielern nach Abschluss der Dreharbeiten zu bearbeiten. Aber KI ist so anpassungsfähig und vielfältig, dass sie nicht nur bei der Filmproduktion, sondern auch bei Filmmarketing, Analysen und Zukunftsplanung hilft. Cinelytic nutzt Künstliche Intelligenz, um Warner Bros. bei der Entscheidung zu helfen, welche Filme in Auftrag gegeben werden sollen: Indem das Programm nämlich die Rentabilität eines Schauspielers ermittelt und berechnet, wie viel Geld ein Film verdienen wird (Geschichte im Hollywood Reporter).

Die KI-Befürworter in Los Angeles preisen die bahnbrechende Technologie als eine demokratisierende Kraft im Film an. Man braucht nicht eine Menge Leute, eine Menge Ausrüstung oder eine Menge komplizierter Software mit teuren Lizenzen. Man würde so viele Kosten sparen. Es soll Schauspielern mehr Flexibilität bieten. Ihr „Zwilling“ könnte gleichzeitig einen Film drehen, während sie um die Welt reisen und Werbung für einen anderen Film machen. Ja, Schauspieler könnten sogar „ewig“ leben, indem sie nach ihrem Tod digital rekonstruiert werden. James Earl Jones hat zum Beispiel bereits zugestimmt, dass die Stimme von Darth Vader künstlich erzeugt werden darf.

Kritiker kontern, dass Studiomanager gewerkschaftlich organisierte Künstler:innen einfach durch Klone ersetzen wollen – ein Prozess, der nur zu mittelmäßiger oder sogar buchstäblich unmenschlicher Kunst führen würde. Es sollte daher niemanden überraschen, dass ausgerechnet Joe und Anthony Russo (die übrigens fest davon überzeugt sind, dass KI bald ganze Filme schreiben wird) die Produzenten von Citadel sind. Mit dieser sehr teuren Amazon-Serie haben die Russos, deren Filmografie vier Marvel-Filme schmücken, ein klischeebeladenes Paradebeispiel vorgelegt: Citadel fühlt sich an wie von einer Maschine geschrieben.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht schwer, sich ein Sequel vorzustellen, in der sich ein Deep Fake von Humphrey Bogart und ein Deep Fake von Ingrid Bergman für ein Happy End in Paris wieder treffen. Aber die entscheidende Frage wird sein: Macht es den Leuten etwas aus, wenn das, was sie sehen, von einer KI gemacht wurde? Wenn bloß ein Rechner auf menschliche Drehbücher und Schauspielleistungen trainiert wurde? Wenn sich kein Unterschied zwischen Realem und Simuliertem mehr erkennen lässt, steht zu befürchten, dass es dem Publikum egal sein wird, ob der Star auf dem Bildschirm einen Puls hat.