Superhelden Fatigue

Oder ist das schon ein Burnout?

Dakota Johnson, Madame Web
Madame Web, 2024, S.J. Clarkson

Superhelden Fatigue: 2023 war das Jahr der Erschöpfung. Anlässlich „Madame Web“: Befinden wir uns im Endgame?

Ich will mich nicht zu früh freuen, aber wir befinden uns im ersten Quartal des Jahres 2024 und überall sagen Stimmen die letzten Tage des Superheldenfilms voraus. Sogar die New York Times beteiligt sich an der Untergangstreiberei (Ridley Scott und Martin Scorsese werden ihre rege Freude damit haben). Das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Superheldenfilme und diverse Serien im Jahr 2023 in die Identitätskrise schlitterten. Seit mehr als einem Jahrzehnt sind Comicverfilmungen ziemlich verlässliche Geldverdiener in Hollywood. Aber sie scheinen inzwischen eher eine Vergangenheit als eine Zukunft zu haben. Sie sind erschöpft und ihr Publikum ist es auch.

Ungefähr vor einem Jahr erschien Ant-Man and the Wasp: Quantumania und sollte „Phase 5“ des Marvel Cinematic Universe einläuten, galt somit als entscheidendes Kapitel. Doch der Film war ein finanzieller Misserfolg. Im November erreichte das Haus dann die Talsohle: The Marvels ist offiziell jener MCU-Film mit den niedrigsten Einspielergebnissen. Für DC lief es nicht besser. Shazam! Fury of the Gods legte eine Bauchlandung hin. Es ist gut möglich, dass Sie noch nie etwas von Blue Beetle gehört haben. The Flash war ein Flopbuster. Aquaman and the Lost Kingdom – anyone?

Sind wir der Superheldinnen und Superhelden müde geworden? Seit Jahren hören wir in der Branche von der „Superhelden Fatigue“. Sogar DC-Chef James Gunn redet davon. Aber ich würde sagen, zum ersten Mal ist sie wirklich fühlbar. Man kann es an den Zahlen ablesen. Man kann es im Gesicht meines zwölfjährigen Neffen lesen. Man kann es auch in den Kritiken der Kolleginnen und Kollegen lesen. Die New York Times schrieb über The Marvels zutreffenderweise: „Sie haben diesen Film schon 32 Mal gesehen“.

Die 2010er Jahre waren die Blütezeit des Genres. Hollywood-Studios konnten risikoarme, extrem positive Wetten abschließen, und das Publikum strömte in Scharen in die Kinos (darunter auch ich)). Diese Ära, die 2008 mit Jon Favreaus Iron Man begann, gipfelte in Marvels Avengers: Infinity War (2018) und Avengers: Endgame (2019). Diese Filme brachten alle Figuren des MCU zusammen, schlossen eine jahrzehntelange übergreifende Erzählung ab, löschten die Hälfte der Weltbevölkerung aus und stellten sie wieder her. Es wäre ein vollkommenes Ende gewesen. Stattdessen hat Marvel die Produktion erheblich gesteigert und neben einer ganzen Reihe von Tentpole-Filmen auch Superhelden-Serien auf Disney+ gestartet.

Fairerweise muss man sagen, dass nicht alles schlecht war im vergangenen Jahr. Guardians of the Galaxy Vol. 3 war ein herzlicher Abschied. Die zweite Staffel von Loki gab Tom Hiddlestons Trickster eine „glorreiche Bestimmung“. Spider-Man: Across the Spider-Verse übertraf so ziemlich alle Erwartungen. Aber einen solchen Film gibt es nicht oft und mit Madame Web (aktuell im Kino) macht Sony nicht gerade Lust auf mehr Spinnenwelt. Was einst aufregendes kinetisches Kino war, hat sich in leere Multiversen multipliziert. 2025 soll das DC-Universum wieder komplett von Neuem beginnen (WTF?!). Der Batman hat ja viele potente Neuinterpretationen über die Jahrzehnte gesehen, aber ob das für die ganze Mischpoche gelten kann, bleibt skeptisch abzuwarten.

Der Erfolg von Barbenheimer deutet auch darauf hin, dass die Menschen vielleicht etwas anderes wollen. Natürlich stellt sich die Frage, was dieses „Andere“ sein könnte, sollten wir tatsächlich in die Phase des Endspiels eingetreten sein. Könnte sein, dass wir quasi vom Regen in die Traufe kommen: Mit Dutzenden von Kinderspielzeugen in petto befinden sich 14 Mattel-Filme in der aktiven Entwicklung, darunter Barney, Polly Pocket und American Girl.  Natürlich steht die Tür auch für Barbie-Fortsetzungen weit offen. Owen Gleiberman von Variety glaubt, dass ein Anstieg der Videospielfilme nach den Blockbuster-Erfolgen von The Super Mario Bros. Movie und Five Nights at Freddy’s „das Zeitalter von Marvel wie die italienische Renaissance aussehen lassen könnte“.

Alle Modeerscheinungen in der Populärkultur haben ein Ende, sicher, aber sie kehren auch wieder auf die eine oder andere Art zurück. Wie auch die Riesenechsen mit dem atomaren Atem alle paar Jahre aus dem Meer wieder auftauchen, werden die Superhelden nicht auf Dauer verschwinden. Das Genre kann man aufgrund der Superhelden Fatigue nicht gleich für tot erklären. Aber Hollywood wird sich mehr als Video-Adaptionen und Spielzeug-Marketingvehikel einfallen lassen müssen, um die Menschen wieder mehr fürs „Eventkino“ zu begeistern.