Realitätskontrolle

Neu im Kino KW 2

Spencer, 2021, Pablo Larraín

Zwei höchst unterschiedliche, ausgezeichnet gespielte und keineswegs bloß „verkörperte“ Frauenfiguren stehen im Zentrum der Kinowoche: in „Pleasure“ bzw. in „Spencer“. Ein selektiver Überblick.

Was hat die Woche zu bieten? Sind bereits die Routinen wieder eingezogen? Oder halten noch die guten Vorsätze das Ruder in der Hand? Wir verbuchen Scream (Scream 5) von Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett (hat schon mal jemand von denen gehört?) – den Reboot eines vergnüglichen Meta-Slashers von Wes Craven aus dem Jahr 1996 (der wiederum einige mehr oder minder entbehrliche Fortsetzungen zeitigte) – unter der Rubrik Guilty Pleasure und verweisen auf die kompetente filmfilter-Kritik.

In Ninja Thybergs Spielfilmdebüt Pleasure geht es im Dienste der Wahrheit explizit und unzimperlich zur Sache. Und die Wahrheit ist, dass das Geschäft der Herstellung von Pornografie mit der Lust, die diese beim Konsumenten erzeugen soll, wenig zu schaffen hat. Dass es sich um ein milliardenschweres, beinhartes Business handelt, in dem Physis verbraucht und Psyche beschädigt wird. Dass Porno eben nicht leicht verdientes Geld bedeutet für Menschen, die gern Sex haben, und dass er erst recht keinen Freiraum eröffnet, in dem eine Frau ihre Sexualität entfalten könnte. Das sind nicht eben neue Erkenntnisse, allerdings werden sie von Thyberg und ihrem sich selbst nicht schonenden Darsteller:innen-Ensemble – darunter zahlreiche Protagonist:innen der kalifornischen Adult-Entertainment-Szene – auf ungewöhnliche Weise zusammengetragen: aus durchweg weiblicher Perspektive nämlich und ohne sich auch nur ein einziges Mal in den Fallstricken des Moralischen zu verheddern. Die Lust am Sex, die dem Pornografischen zugrunde liegt, stellt Thyberg nicht in Frage. Sie prangert vielmehr den verlogenen Umgang damit an sowie die mit dem Internet-Porno-Boom unstrittige Zunahme an demütigenden Darstellungen von und Gewalt an Frauen – in einem ohnehin männerdominierten, hierarchisch und machtbewusst organisierten Wirtschaftszweig, dessen Durchlässigkeit zum kriminellen Sektor außer Zweifel steht. Der vielfach erhellende Effekt von Pleasure ist vor allem Sofia Kappel in der Hauptrolle zu danken, die ungerührt durch den Sumpf watet, wie ein Magnet die Widersprüche des Gewerbes anzieht und gelassen zur Eskalation bringt (hier eine ausführliche Analyse).

Pleasure, 2021, Ninja Thyberg

Apropos herausragende Schauspielerei: Nach Jackie (2016) lässt Pablo Larraín mit Spencer einer weiteren ikonisch gewordenen Frauengestalt des 20. Jahrhunderts auf seine Art Gerechtigkeit widerfahren. Und Kristen Stewart in der Titelrolle setzt einen weiteren Glanzpunkt in ihrer an Glanzpunkten ohnehin nicht armen Karriere. Mit der für sie typischen Mischung aus Selbstsicherheit und Verletzlichkeit holt sie Prinzessin Diana, deren Tod 1997 im Vereinigten Königreich eine Massenhysterie auslöste, aus dem Reich der Projektionen heraus – und stellt sie als Frau und Mutter, die unter himmelschreiend unnormalen Umständen um ihre Normalität ringt, vor uns hin. Dazu schlägt Jonny Greenwoods geradezu genialer Score erstaunlich trittsichere Brücken zwischen Barock und Jazz und sichert Stewarts Perfomance in jeder Hinsicht ab. Tatsächlich ist es eine Befreiung, deren Zeug:innen wir hier werden, tragisch aber ist zu wissen, dass diese nicht weit genug trug.

Mitproduziert wurde Spencer übrigens von Komplizen Film, der Firma von Maren Ade und Janine Jackowski, und gedreht wurde auf den Schlössern Friedrichshof im Taunus sowie Nordkirchen im südlichen Münsterland (hier der Trailer).

Spencer, 2021, Pablo Larraín

Wir schließen mit der Schweizer Dramödie Wanda, mein Wunder. Es geht um einen erkrankten älteren Mann und seine emotional etwas verstopfte Familie, die durch das segensreiche Wirken eine Pflegerin aus Polen wieder zum Leben erweckt wird. Was klingt wie der Ausgangspunkt zu einer Wohlfühlkomödie im Anschluss an Ziemlich beste Freunde, ist unter der Regie von Bettina Oberli eine schwarzhumorige Geschichte mit offenem Ausgang geworden. Wanda, mein Wunder kleistert die Differenzen, Ambivalenzen und Unvereinbarkeiten dieser Familie nämlich nicht mit Allgemein-Menschlichem zu (und ist neben André Jung, dessen Wunder Wanda ist, mit Agnieszka Grochowska in der Titelrolle, Marthe Keller und Birgit Minichmayr ausgezeichnet besetzt).