Heimeliger Horror

Überraschendes Vergnügen: Teil 5 der „Scream“-Reihe. Jetzt im Kino.

Scream, 2022, Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett

Der neue „Scream“ macht großen Spaß und stupst das Franchise wie nebenbei ins neue Jahrzehnt.

Zumindest dreimal hat der Regisseur Wes Craven maßgeblich dazu beigetragen, das Horrorgenre ins nächste Jahrzehnt rüber zu retten, immer in Zwölfjahresabständen. 1972 mit seinem beklemmend kaputten The Last House on the Left, der eine bis dahin unbekannte Negativität ins Genre einführte (die bis in heutige Torture-Porn-Exzesse ausstrahlt). 1984 mit A Nightmare on Elm Street, der ein Horrorfilmmonster zum ersten Mal seit den Fünfzigerjahren wieder zu einem das Genre überschreitenden Massenphänomen mit flächendeckendem Merchandise werden ließ. Und 1996 mit der finalen Überführung des Slasher ins Postmoderne, mittels selbstreflexiver Scherze (vorbereitet bereits zwei Jahre zuvor mit Freddy’s New Nightmare). Das Schöne an Scream war, dass er auf zwei Ebenen funktionierte; zum einen auf der beim heutigen Wiedersehen gar nicht so aufdringlichen Metaebene (der Film adressiert einen als wissende Zuschauer:in, man checkt die Verweise und kann die Selbstironie schätzen) und zugleich unmittelbar (der Film adressierte einen als Kind, das Angst vorm schwarzen Mann hat). Ein toller Highschool-Film ist Scream (flat auf Sky) außerdem.

Es folgte die unvermeidliche Sequelbildung, die in den Teilen zwei und drei freilich in die Konstruktion mit aufgenommen wurde: Das Genrewissen hilft hier nicht mehr nur dem Publikum bei der Lösung des lustigen Whodunit, sondern auch den Figuren selbst, die von Sequel zu Sequel ausschweifender über das Horrorgenre dozieren. Das war in seiner forcierten Cleverness wieder potenziell arg nervig, und 2000 war dann auch erstmal Schluss – kurz bevor ein Schwall grimmiger, schwarzhumoriger, drastischer Horrorfilme die Leichtigkeit des sogenannten postmodernen Horrors bis auf Weiteres abwürgte. Und auf Last House on the Left zurückwies, und nicht auf Nightmare on Elm Street; viele Wege, die die Geschichte des Horrorgenres genommen hat, führen zurück zu Wes Craven.

Scream 4 nahm 2011 dann auch Bezug auf die damals aktuelle Dominanz im Genre: Am Anfang beklagt sich eine der Figuren über stumpfen Torture Porn und muss kurz darauf sterben. Ansonsten war der Film, was selbstreflexive Kapriolen anging, eher dezent. Und auch sonst sehr fad. Was nun wiederum das Erscheinen des fünften Teils der Serie, der im Original schlicht Scream heißt, überraschend werden lässt. Schließlich war Scream 4 nicht nur filmisch, sondern auch kommerziell eher unergiebig. Und Wes Craven ist seit bald sieben Jahren tot.

Noch überraschender: Der neue Scream macht großen Spaß, stupst das Franchise wie nebenbei ins neue Jahrzehnt und hat mit dem  traditionell schwierigen finalen Plot Twist auch keine größeren Probleme als die Vorgänger. Vielleicht ist ja, wer Mitte der Neunziger gerade alt genug für das Original war, inzwischen auch in einem nostalgiefähigen Alter. Könnte ja sein, die Wiederauflage von Matrix deutet es an, dass nach der Achtziger-Retro-Welle jetzt das nächste Jahrzehnt vom zeitgenössischen Genrekino wieder hochgewürgt wird.

Jedenfalls verbreitet der Cast hier eine Atmosphäre wohliger Vertrautheit, Neve Campbell, Courteney Cox und David Arquette sind wieder mit dabei. Die Verweisdichte hat wieder zugenommen, der Duschmord aus Psycho wird anzitiert, und der Horrortrend, dem das traditionsbewusste Slashergenre als old school gegenübergestellt wird, ist der Schwung an politisch bewusstem Horror seit den Zehnerjahren. Jordan Peele wird von einer Filmfigur als bester Horror-Regisseur der Gegenwart gewürdigt, und der Lieblingsfilm einer anderen ist The Babadook. Zwischen den Gesprächen über Genreregeln, Horrortrends und die Stab-Filmreihe, die erneut als Film im Film (und für die Mordserie strukturbildendes Moment) mitläuft, gelingen den beiden Regisseuren Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett ein paar sehr schöne Slasher-Sequenzen, die fernab von allem Meta-Gedöns funktionieren (vor allem eine Terrorszene im Krankenhaus und die traditionelle finale Party).

Neve Campbell, Courteney Cox in Scream

Beim Sehen fällt sehr auf, und da ist man dann wieder bei der Nostalgie: Man fühlt sich als in den Achtzigerjahren Geborener in diesem Kosmos mit seinen klaren Regeln, bekannten Charakteren und vorhersehbaren Inszenierungstechniken, die um ihre Vorhersehbarkeit wissen, rundum wohl; achten Sie mal darauf, wie demonstrativ in diesem Film Schrank- und andere Türen geöffnet und wieder geschlossen werden, und wann einer mit einem Messer dahintersteht und wann nicht. Da kann auch ein Irrer mit Edvard-Munch-Maske, der die Figuren im Viertelstundentakt zerhackt, nicht viel dran ändern. Wie überhaupt ein Aspekt des Horrorfilms in den Texten zum Genre, das ja unter anderem von der Suggestion von Krassheit und Transgression lebt, nur selten zur Sprache kommt: wie heimelig und gemütlich das alles in seiner Vertrautheit immer wieder ist.

 

Scream
USA 2022, Regie Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett
Mit Melissa Barrera, Jenna Ortega, Neve Campbell, Courteney Cox, David Arquette
Laufzeit 115 Minuten