Verblendungszusammenhang

Gelungenes Porträt: „Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ – jetzt als DVD oder VoD

Müller, Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen
Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen, 2022, Claudia Müller

„Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“: Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek in einem einfühlsamen, materialreichen Porträt von Claudia Müller. Anlässlich der Veröffentlichung für den kleinen Bildschirm bringen wir noch einmal die filmfilter-Kritik zum Kinostart.

„Da hab ich meinen guten Namen verloren“, sagt Elfriede Jelinek und meint die Veröffentlichung des Dramas „Burgtheater“ 1985, in dem sie das Mehr-als-nur-Mitläufertum der Wiener Schauspielikonen Paula Wessely und Attila Hörbiger aufs Korn genommen hatte. Von deren austrofaschistischen Verstrickungen wollte im Heimatland des weinseligen Vergessens selbstverständlich niemand etwas wissen und also galt Jelinek fortan als „Nestbeschmutzerin“. Womit sie sich in allerbester Gesellschaft befand, lässt sich „Nestbeschmutzer“ doch auch als eine Art Ehrentitel lesen, der jenen österreichischen Künstler:innen verliehen wird, die mit besonderer Unnachgiebigkeit ihre Finger in die Wunden der Zweiten Republik legen und nach Möglichkeit dann noch Salz hineinstreuen. Die Aktionskünstler der Wiener Gruppe („Ferkel“ und „Schmieranten“ allesamt) gehören dazu, selbstverständlich auch der große Österreich-Beschimpfer Thomas Bernhard – und eben Elfriede Jelinek, der zudem das Unglück widerfahren ist, für ihre Arbeit 2004 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden zu sein. Woraufhin selbst jene, die Austria gerne mal mit Australia verwechseln, Kenntnis nahmen von den Texten einer Frau über ein kleines europäisches Land, das sich hartleibig bleischwer tut mit der Auseinandersetzung mit der eigenen faschistischen Vergangenheit und das jahrzehntelang an der revisionistischen Legende festhielt, „das erste Opfer“ des großen bösen teutschen Nazi-Nachbarn gewesen zu sein. Im „Land der Berge, Land am Strome“ war man dementsprechend wenig amüsiert von der Nobel-Ehre und der Aufschrei entsprechend; Häme und Gezeter führten schließlich sogar dazu, dass Jelinek – die bis dahin Ziel und Sinn ihrer Arbeit unermüdlich, ja geradezu gebetsmühlenartig erläutert hatte und dabei die Kontroverse nicht scheute – sich aus der Öffentlichkeit zurückzog. Mit dem Schreiben hat sie allerdings nicht aufgehört – zum Glück, möchte man meinen, und mehr als einmal das Land zur Besinnung rufen, das seine Genies nicht zu würdigen weiß.

Müller, Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen

All dies und noch so einiges mehr erfährt die Zuschauerin in Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen, einem ebenso materialreichen wie einfühlsamen und vielschichtigen Künstlerinnen-Porträt von Claudia Müller. Jelineks umfangreiches Werk an Lyrik, Prosa, Theater- und Hörspielen, Essays, Libretti, Drehbüchern und Übersetzungen ist ohne den österreichischen Verblendungszusammenhang von Verleugnung und Verdrängung nicht zu denken. Ja, es wohnt ihrem schriftstellerischen Werdegang dahingehend etwas geradezu Zwangsläufiges inne. Elfriede Jelinek wurde 1946 im steirischen Mürzzuschlag in ein katholisch-jüdisches Elternhaus hineingeboren, in dem der religiös-bildungsbürgerliche Wahn ihrer Mutter auf das naturwissenschaftlich-klassenkämpferische (später umnachtete) Bewusstsein ihres Vaters traf. Ein Riss ging also bereits durch Elfriedes Kindheit und an diesem entlang arbeiten sich Jelineks Wahrnehmung und ihr Schaffen auf der Suche nach Aufklärung durchs mannigfaltig feindliche Gebiet. Dass sie nicht schweige zum österreichischen Verschweigen, das sei sie ihrem jüdischen Vater und dessen zahlreichen ermordeten Verwandten schuldig, sagt sie an einer Stelle; und der Untertitel des Films bringt die dabei angewandte Methode auf den Punkt: Die Jelinek‘sche Kunst erwächst aus dem Ausloten des Potenzials der Sprache, die Verhältnisse kritisch zu beschreiben, analytisch zu beleuchten sowie mit Witz/Ironie/Sarkasmus, nicht aber zynisch zu durchdringen. Sprache ist ihr, die von der experimentellen Literatur her kommt (denken Sie hier an Ernst Jandl und H.C. Artmann), „nicht einfach nur ein Vehikel für irgendeinen Sinn“, sondern stellt an sich bereits eine ästhetische Form bereit, die es nunmehr zweckgemäß feinzuziselieren gilt.

Es ist dies eine Forschung an den Grenzen, die Mut braucht, weil sie zu einer dem Ausdruck wie dem Ausgedrückten (Zeichen und Bezeichnetem) immanenten Sprengkraft vordringt – und das solcherart eroberte Neuland schaut nicht immer idyllisch aus. Die freundliche, kluge Meisterin kommt im Film in zahlreichen älteren sowie einem aktuellen Interview aus dem Sommer 2021 ausführlich zu Wort und gewährt bereitwillig und hochreflektiert Einblick in ihren biografischen wie künstlerischen Werdegang. Ihre Texte werden gelesen von hochkarätigen Schauspieler:innen, darunter Sandra Hüller, Stefanie Reinsperger, Sophie Rois und Martin Wuttke. Und auch die viel beschworene „schöne Landschaft“ Österreich findet Eingang, Widerhall und Kontrast: Bilder von der Gedenkstätte in Rechnitz krachen auf Bilder vom Après-Ski in Ischgl. Kurt Waldheims Hände schaufeln und Jörg Haider entspringt jener Finsternis, in der felix Austria den Totentanz mit einem Walzer verwechselt.

 

Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen
Deutschland/Österreich 2022, Regie Claudia Müller
Mit Elfriede Jelinek, Sophie Rois, Stefanie Reinsperger, Sandra Hüller, Martin Wuttke
Laufzeit 96 Minuten