Sisi reloaded

Die von Vicky Krieps dargestellte Kaiserin würde niemand Sisi nennen – „Corsage“ im Kino

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Corsage, 2022, Marie Kreutzer

Marie Kreutzers „Corsage“ – mit der wunderbaren Vicky Krieps als Kaiserin Elisabeth – dekonstruiert den Sisi-Mythos und strickt ihn zugleich weiter. Ein heißer Tipp für einen kühlen Kinoabend.

24. Dezember 1877: Kaiserin Elisabeth feiert ihren 40. Geburtstag. Naja, was heißt schon „feiern“ im gegebenen Kontext; fortan steht die grausige Vier vornedran, dort, wo zuvor die auch nicht eben ungruselige Drei zumindest noch die Nähe zu Trost und Sicherheit der Zwei vortäuschen konnte. Jetzt aber hilft nichts mehr, kein Jammern und kein Klagen, kein Zeter und kein Mordio: Elisabeth, auch bekannt als Sisi, ist Vierzig und damit alt! Ausgerechnet sie, um deren jugendliche Schönheit ein derartiges Gewese gemacht wurde und wird, dass Österreich, und insbesondere Wien, sich bis heute nicht davon erholt (hat).

Es gibt Ernst Marischkas Sissi-Filme, die Romy Schneider zum Verhängnis wurden, es gibt die Sisi-Taler, die allen zum Verhängnis werden, die zu viele davon essen, es gibt die Sisi-Souvenirs, die den Tourist:innen zum Verhängnis werden, die ins Sisi-Museum gehen, es gibt unzählige Bücher, zahllose Theater- und Musikstücke sowie mehr als nur viele Legenden über Sisi. Und es gibt die Wahrheit, aber die weiß keiner.

Corsage von Marie Kreutzer ist demnach auch nicht der Versuch, eine konkrete Frau namens Elisabeth Amalie Eugenie von Wittelsbach aus einem Projektionsdschungel der Worte und Bilder zu befreien, um diese dann zurückzuführen zu einem wie auch immer gearteten authentischen Charakter- und Persönlichkeitskern. Corsage ist vielmehr der Versuch, das Korsett zu packen, das diese Frau einsperrt, es ein wenig und vielleicht sogar noch ein bisschen mehr zu lockern, um solcherart Platz zu schaffen für ein paar Ecken und Kanten, Falten und Wülste, Rau-, Roh- und Ruppigkeiten. Auf dass die zwischen Kitsch und Tragödie aufgespannte Figur aus der imperialen Überformung herausgelöst und in eine dem menschlichen Maß angenäherte Gestalt transferiert werde.

Vicky Krieps ist genau die richtige für diesen Job. Denn Vicky Krieps ist ein schauspielerisches Raubtier; sie kann furchteinflößend und mitleiderregend sogar gleichzeitig sein – und also schnappt sich Krieps diese Kaiserin, diese Sisi, diese Bayernprinzessin mit dem rapunzellangen Haar und dem herausfordernden Blick, und macht sie sich zu eigen als eine hochmütige und verwöhnte, eigensinnige und unberechenbare, durchaus auch grausame, aber eben zugleich sehr verzweifelte Frau, die in einer Funktion feststeckt und keinen Rat mehr weiß. Es ist kein feingeistiger Ennui, der diese Elisabeth plagt, es ist die pure Ödnis. Das Protokoll treibt alle Lebendigkeit aus ihrem Dasein, allerorten lauert der Skandal, sogar die kleine Tochter pocht auf Sittsamkeit. Wer würde da nicht wahnsinnig? Oder doch zumindest exzentrisch.

Krieps’ darstellerisches Konzept verortet die sattsam bekannten Eigenheiten der Sisi (das Turn- und das Hunger-Regime, die Flucht aus der Repräsentation) nun aber nicht als heroische Widerstandsgesten gegen ein verknöchertes Adelssystem, also quasi rebellisch-revolutionär, sondern innerhalb einer Psyche, die allmählich nachgibt. Die, zunehmend geschwächt, nicht mehr standhalten kann. Einmal springt sie nach einem Gespräch mit Franz Joseph – der jeden Abend fein säuberlich seine kaiserlichen Insignien, nämlich die Backenbart-Prothesen, in die dafür vorgesehene Schatulle legt – kurzerhand aus dem Fenster.

In Krieps Elisabeth steckt eine unberechenbare Bösartigkeit und niemand käme auf die Idee, diese Frau mit dem Kosenamen „Sisi“ zu benennen. Nicht einmal heimlich oder in Gedanken. Insofern ist das, was Kreutzer und Krieps mit Corsage gelingt, durchaus ein Befreiungsschlag. Aber doch auch die Weiterarbeit am Mythos, nur eben diesmal unter dem Vorzeichen der (Selbst)Ermächtigung und am Ende sogar noch (gerade besonders angesagt) der Genderfluidität.

Die Musealisierung seiner Heldin (die bereits zu Lebzeiten einsetzte, als sich die Kaiserin zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückzog) trägt der Film stolz mit sich, wenn in den historischen Sets – gedreht wurde unter anderem an Originalschauplätzen in der Wiener Hofburg – unvermutet sichtbar werdende Stahltüren von Brandschutzbestimmungen künden oder Plexiglasscheiben die kostbare Wandbespannung eines Raumes schützen oder Kassenhäuschen und Garderoben samt zugehörigem Personal im Hintergrund unauffällig zu bleiben suchen. Die Zeitlosigkeit, die damit signalisiert wird, ist allerdings zugleich auch ein Gefängnis, in dem diese Frau der Betrachtung ausgesetzt und endlos hin und her gewendet wird. Sie darf nicht sterben und die Mär nicht enden – der Sisi-Porno muss weiter gehen!

 

Corsage
AT/DE/FR/LU 2022, Regie Marie Kreutzer
Mit Vicky Krieps, Katharina Lorenz, Florian Teichtmeister, Jeanne Werner, Manuel Rubey
Laufzeit 112 Minuten