Nichts für Feingeister

Gut gegen böse, brutal vergoldet: „Sisu“ von Jalmari Helander – im Kino

Helander, Sisu
Sisu, 2022, Jalmari Helander

„Sisu“ kehrt einen finnischen Volksmythos gegen die Nazis, indem er ein schnörkelloses „alternate history“-Schlachtfest inszeniert. In Österreich und Deutschland im Kino.

Wenn es nicht so verharmlosend klänge, dann könnte man den Helden von Sisu ein „Stehaufmännchen“ nennen. Aber ein „Männchen“ ist dieser Kerl nunmal ganz gewiss nicht. Ein Kerl mit Nehmerqualitäten ist er allerdings durchaus. Und er kann nicht nur beträchtlich einstecken, er teilt auch ebenso gewaltig aus. Sisu eben. Dieser Begriff bezeichnet ein ethnologisches Merkmal respektive kulturelles Konstrukt, das den finnischen Volkscharakter beschreiben soll. Also etwa in der Preisklasse von „bayrische Gemütlichkeit“, „preußische Disziplin“ und „rheinischer Frohsinn“. Nur sind dergleichen Generalisierungen bekanntermaßen ja mit Vorsicht zu genießen. Anders gesagt, wären tatsächlich alle finnischen Frauen und Männer so drauf wie der zähe Haudegen, der in Sisu den Nazis heimleuchtet, müsste sich der Rest der Welt warm anziehen. „Sisu“ bedeutet: Zähigkeit, Kampfgeist, Durchhaltevermögen (vor allem) in scheinbar aussichtslosen Situationen. Unschwer zu erkennen, dass zum Gelingen dieses Konzeptes eine gewisse Sturheit gehört, sowie Hybris, ist doch der finnische, von Sisu beseelte Mensch offenbar nicht dazu bereit, sich seinem Schicksal zu ergeben. Oder, wie es eine der Figuren im Film ausdrückt, als sie das zur Nazi-Nemesis mutierte Stehaufmännchen zu charakterisieren versucht: „He is not immortal, he just refuses to die.“ Ha! Nehmt dies, Ihr Schergen Hitlers!

Tommila, Helander, Sisu
Jorma Tommila

Es begab sich also gegen Ende des Zweiten Weltkrieges hoch oben in der Einöde Lapplands das Folgende: Ex-Soldat Aatami Korpi (Jorma Tommila), eine lebende Legende, hat auf der Goldsuche Glück gehabt und zwei mit Nuggets prall gefüllte Satteltaschen im Gepäck, als er auf eine schon etwas abgehalfterte Einheit der deutschen Wehrmacht trifft, die sich unter Führung von SS-Obersturmbannführer Bruno Helldorf (Aksel Hennie) auf dem Rückzug befindet. Das Gold sehen und das Gold rauben sind eins, denn die Nazis kennen weder die lebende Legende noch haben sie von Sisu eine Ahnung und zum dritten wiegen sie sich aufgrund ihrer beträchtlichen Überzahl in Sicherheit. Der Alte aber, Aatami, der da gerade um seine Rente gebracht wurde und der Sisu erfunden haben könnte, belehrt die Krauts sodann eines Besseren. Er erteilt ihnen eine Lektion, die sie nicht vergessen werden. Er zeigt ihnen, wo der Hammer hängt. Er gibt nicht klein bei und schon gar nicht gibt er auf. Also fließt eine Menge Blut und es werden eine Menge hässlicher Wunden geschlagen; Fäuste fliegen, Kugeln pfeifen, Zeug explodiert. Brutal geht es zu, unbarmherzig und exzessiv. Sisu eben.

Und mehr passiert eigentlich nicht. Jalmari Helanders nach eigenem Drehbuch inszenierter Sisu ist eine gradlinige, schnörkellose Angelegenheit. Kein Wort zuviel, keine Sperenzchen, voll auf die Zwölf. Und noch einmal und wieder und neuerlich und weil’s so schön war … Das muss man natürlich mögen. Wer Splatter, Gore und Hardcore-Action nichts abgewinnen kann, sitzt hier absehbar im falschen Film. Alle anderen seien herzlich eingeladen, denn dergleichen klare Ansagen – Nur ein toter Nazi ist ein guter Nazi! – gehören wertgeschätzt. Zumal Helander kein billiges B-Picture gedreht hat, sondern seine grauslige Mär in bemerkenswerte Bilder fasst; das Schlachtfest ist wunderbar anzusehen: Die Herbstsonne legt Glanzlichter auf die vernarbten, schmutzigen Körper der vom ewigen Kampf ermüdeten Krieger. In Braun- und Ockertönen schimmert das mit kargem Grün durchfleckte Land. Die Nacht bringt Finsternis in metallischem Blau, doch noch lang keine ewige Ruhe. Dazu ein Score, der einem Western alle Ehre machen würde und damit die Mythen-zeugende Kraft des ehrwürdigen Genres aufruft: Also streitet die Legende des unverwüstlichen Widerstandsgeistes mit der Inkarnation des Bösen schlechthin um das seit jeher die Gier der Menschen beflügelnde Edelmetall und lässt sich Sisu als eine fundamentale Auseinandersetzung grundsätzlicher Kräfte lesen. Oder auch nicht. Es bleibt dann immer noch ein teuflisch gemeiner Genrefilm, der stur den Pfad den Gewalt entlang brettert, bis nur noch Einer steht. Sisu eben.

 

Sisu
FI/UK 2022 Regie Jalmari Helander
Mit Jorma Tommila, Aksel Hennie, Jack Doolan, Mimosa Willamo, Onni Tommila
Laufzeit 91 Minuten