El Conde

Hämoglobinreiche Horrorsatire – auf Netflix

El Conde, Larraín, Luchsinger
El Conde, 2023, Pablo Larraín © Netflix

„El Conde“: Pablo Larraín stellt sich Augusto Pinochet als blutsaugenden Vampir vor und das ist herrlich schwarzhumorig.

Wir alle glauben, dass Augusto Pinochet, der Chile 17 Jahre lang diktatorisch regierte, im Jahr 2006 gestorben ist. Doch der chilenische Regisseur Pablo Larraín und der großartige 87-jährige Jaime Vadell, der in El Conde den titelgebenden Grafen spielt, stellen ihn sich als einen 250 Jahre alten Vampir vor. Pinochet frisst chilenische Herzen, indes er seinen Tod nur vorgetäuscht hat. Als wir ihn treffen, ist er alt und müde. Neben seinem Bett steht eine Urinente. Auf einem Plattenspieler knistert der Radetzkymarsch, das erste der klassischen Musikstücke und schönen Streicherkompositionen von Juan Pablo Ávalo und Marisol García, die den Film untermalen.

Natürlich hat unser lieber Graf Menschenblut aus allen Teilen der Welt geschmeckt“, erzählt uns eine Frauenstimme (Stella Gonet) mit britischem Akzent aus dem Off wie in einem Grimm-Märchen. Ihre Identität wird bis zum Schluss geheim gehalten und unter keinen Umständen darf sie an dieser Stelle preisgegeben werden! „Am liebsten hat er englisches Blut“, sagt sie über Pinochet, aber bedauerlicherweise hat der Graf auch Kostproben vom Blut Südamerikas genommen, es ist bitter, sagt er, mit einer Hundenote.“ Nachts schwebt er wie ein geflügelter Dracula in seiner Kommandantenuniform und einem langen Umhang in herrlich verträumten Szenen über Santiago. Er steigt hinab, um seinen Opfern ihre schlagenden Herzen herauszuschneiden, lagert ihre Organe in seinem Keller und gibt sie später in den Mixer für seine Blut-Smoothies. Larraín hat sich mit dem legendären Kameramann Ed Lachman (Carol) zusammengetan und der Amerikaner hat das Ganze wie einen alten, deutschen Stummfilm in wunderschönem, gruseligem Schwarzweiß gefilmt, ohne dabei vor der Schönheit oder Absurdität zurückzuschrecken, die ein unheilvoller Superman mit Vampirzähnen mit sich bringt.

Aber nachdem Pinochet mehr als zwei Jahrhunderte auf dieser Welt sein Unwesen getrieben, das Blut von Marie Antoinettes Guillotine geleckt und einen Militärputsch in Chile unternommen hat, hat der alte Mann beschlossen, ein für alle Mal zu sterben. Er schämt sich nicht für die vielen Leichen. Im Gegenteil: Er ist gelangweilt. Seine intrigante Ehefrau (eine herausragende Gloria Münchmeyer) hat eine Affäre mit seinem Vampir-Butler (ein genauso hervorragender Alfredo Castro), dem einstigen Hauptfolterer in Pinochets Regime. Seine fünf Kinder tauchen auf, alle sterblich, in der Hoffnung, dass sie endlich ihr Erbe antreten können. Da entfacht eine junge, hübsche Buchhalterin (Paula Luchsinger) zum Ärger der Familie neuen Lebenswillen in dem alten Mörder. Carmen, die vielleicht charismatischste Figur des Films, ist auch eine Nonne, und sieht absichtlich so aus wie Maria Falconetti in Carl Theodor Dreyers Klassiker Die Passion der Jungfrau von Orléans.

Der Rest von El Conde wird am besten selbst erlebt. Pablo Larraín, ein Kind der Pinochet-Jahre, kennt das historische Terrain gut. Lange bevor der Chilene mit Filmen wie Spencer (2021) und Jackie (2016) im Westen berühmt wurde, hat er die Kultur unter Pinochets Diktatur in einer weniger bekannten Filmtrilogie (Tony Manero, Post Mortem und No) erforscht. Er weiß, dass man manchmal über Monster/Menschen lachen muss – auch wenn einem am Ende seines Films das Lachen im Hals stecken bleibt. Ein verdienter Gewinner des besten Drehbuchs bei den jüngsten Filmfestspielen von Venedig.

 

El Conde
Chile 2023, Regie Pablo Larraín
Mit Jaime Vadell, Paula Luchsinger, Alfredo Castro, Gloria Münchmeyer
Laufzeit 110 Minuten