Cruise Control

Tollkühne Männer (und eine Frau) in fliegenden Kisten: „Top Gun: Maverick“ – im Kino

top gun maverick, tom cruise
Top Gun: Maverick, 2022, Joseph Kosinski

Warum wir dieser Fortsetzung gern die Starterlaubnis erteilen: „Top Gun Maverick“ von Joseph Kosinski. Wo Cruise drauf steht, ist auch Cruise drin.

Es begab sich also zu jener Zeit, in der es weder Internet noch Smartphones gab, Männer kernige Kerle waren und Frauen ausladende Föhnfrisuren trugen; Mitte der 1980er Jahre war das und die Welt war auch damals schon nicht in Ordnung: Ronald Reagan, Margaret Thatcher, Franz Josef Strauß; in jener grauen Vorzeit also begab es sich, dass ein mit etwa 1,70 Metern Höhe nicht eben beeindruckend großer Mann zum Weltstar aufstieg, und zwar buchstäblich, in einem Film nämlich, in dem der Tradition des Dogfight gehuldigt wurde, der hohen Kunst des Kurvenkampfes in einem Luftgefecht zwischen zwei oder mehreren Flugzeugen. Der Film hieß, genau, Top Gun, entstanden unter der Regie von Tony Scott, Gott hab ihn selig, und Lt. Pete Mitchell, der Alphamann in seinem Zentrum, trug den Fliegerbeinamen „Maverick“ (engl. Alleingänger) und wurde gespielt von, genau, Tom Cruise. 36 Jahre ist das her, gut dreieinhalb Dekaden, Tom Cruise war 24 Jahre alt; ein junger Hupfer, der mit seinem Markenzeichen, dem Strahlemannlächeln, Alles und Jeden, vor allem aber: Jede, niederstrecken konnte. Wobei diesem Cruise’schen Lächeln damals schon, ja eigentlich von Beginn an, jene Brüchigkeit innewohnte, die seine Darstellungen oberflächenpolierten, männlichen Durchsetzungswillens und Erfolgsdenkens nicht lediglich mit (Selbst-)Zweifeln anreicherte, sondern mit Abgründen durchzog. Erfüllung erfuhr dieser Mann allenfalls in der Konfrontation mit den nackten, harten Fakten existenziellen Unbehaustseins und/oder im Angesicht des Todes in einer Mischung aus Adrenalin- und Endorphinrausch. Alle besseren, nein: herausragenden Arbeiten in Cruisens Filmografie – darunter Interview with the Vampire (Neil Jordan, 1994), Eyes Wide Shut (Stanley Kubrick, 1999), Magnolia (Paul Thomas Anderson, 1999), Collateral (Michael Mann, 2004) – bezeugen dies.

top gun (1986)
Top Gun, 1986, Tony Scott

In ein paar Wochen, am 3. Juli 2022, wird Tom Cruise nun seinen sechzigsten Geburtstag feiern, und weil diese Vorstellung noch nicht absurd genug ist, schenkt er sich und uns die von ihm lange verweigerte und von den Fans hartnäckig gewünschte Fortsetzung oben erwähnten, ja tatsächlich, Kultfilms. Top Gun Maverick, produziert natürlich vom Actionman himself, und in Szene gesetzt von Joseph Kosinski, springt haushoch über die Latte, die der Vorgänger gelegt hat, und landet in einem verblüffend ähnlichen Terrain. Und damit ist nun nicht lediglich gemeint, dass die Chose erneut in jener titelgebenden Elite-Fliegerschule sowie auf einem Flugzeugträger angesiedelt ist, sondern dass sie mit ihrer freudigen Feier von Heldenmut und Maskulinität geradezu erschütternd altmodisch wirkt. Es ist, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Sieht man davon ab, dass es diesmal in der Top Gun-Kampfpiloten-Klasse immerhin EINE Frau gibt (was möglicherweise sogar den tatsächlichen prozentualen Verhältnissen an militärischen Elite-Schulen entspricht). Und auch wenn Maverick mit der on-off-geliebten Bardame Penny (Jennifer Connelly, die zweite Frau an Bord des Bretts) im Bett landet, blitzt etwas gegenwärtige Verfasstheit auf: Zum einen bleiben uns Gestöhne und Gliedmaßengewirr gnädig erspart, und zum anderen sind die Verhältnisse anschließend lustiger- und ungewöhnlicherweise mal umgekehrt: postkoital liegt nämlich die Lady obenrum bekleidet neben dem Mann obenohne, und die beiden plaudern zwanglos lange genug, dass die Erkenntnis dieser textilen Umkehr insbesondere bei der Zuschauerin als durchaus wohltuende Ansage einsickern kann.

Jennifer Connelly

Ansonsten aber Testosteron, eingeölte Sixpacks und Hahnenkämpfe so weit das Auge reicht. Das hat in seinem Zu-spät-Gekommensein – pandemiebedingt war der Start des 2020 fertiggestellten Films viele Male verschoben worden – auch etwas Rührendes an sich. Jedenfalls so lange man sich nicht fragt, ob man(n) derart unreflektiert an die thematisch-emotionale Gemengelage eines Films anknüpfen sollte, dem seinerzeit nicht zu Unrecht Militär-Propaganda vorgeworfen wurde. Einerseits. Andererseits waren damals und sind nun wieder die atemberaubend hanebüchenen Flugmanöver die eigentlichen Schauwerte. Die Stunts in Top Gun Maverick sind allererste Sahne, weil, wo Tom Cruise drauf steht, auch Tom Cruise drin ist. Also keine Drahtseilakte vor Greenscreen und keine CGIs, die einem ein X für ein U vormalen, sondern reale Körper in realen Flugzeugen unter g-Kraft. Da hüpft das Herz einer jeden Liebhaberin des guten alten Action-Handwerks, das sich hier Maschinen bedient, deren Dienstbarkeit in etwa der einer wild gewordenen Rinderherde entspricht. Muss man sich ja auch erstmal trauen.

Und vielleicht ist es eben das, was eine:n mit der nostalgischen Retro-Haltung, die hier zum Ausdruck kommt, versöhnt: Ein schon etwas älterer Herr steigt in einen Kampfjet und beschleunigt auf Überschallgeschwindigkeit. Er pfeift auf Bedenkenträger und Sicherheit, er lässt es krachen. Er muss es krachen lassen, weil er einen Auftrag hat. Er will sein Publikum unterhalten. Er muss an Grenzen gehen. Die Existenz ist eine Herausforderung, die es anzunehmen gilt. Alles andere ist langweilig, und Langeweile kommt nicht in des Cruisers Tüte.

 

Top Gun: Maverick
USA 2022, Regie Joseph Kosinski
Mit Tom Cruise, Jennifer Connelly, Miles Teller, Monica Barbaro, Jon Hamm, Val Kilmer
Laufzeit 141 Minuten