China und das Kino

„Eine Sekunde“ von Zhang Yimou – jetzt im Kino (DE)

zhang, eine sekunde
Eine Sekunde, 2020, Zhang Yimou

Liebe ohne Verklärung: Zhang Yimous „Eine Sekunde“ ist eine Hommage ans Kino vor dem Hintergrund der Kulturrevolution.

Filme, die zuerst als eine Liebeserklärung ans Kino und erst dann als Melodramen, Komödien und was sonst noch gedacht sind, gibt es in der Geschichte des Mediums einige. Cinema Pardiso ist vielleicht der idealtypische: eine Hommage an das Kino, das verbunden wird mit Kindheit, Coming-of-Age, der ersten großen Liebe und am Ende des Films dann als ein maximal mit Nostalgie aufgeladener Ort erscheint. Auch in Zhang Yimous Eine Sekunde bildet ein Kinosaal das Zentrum der Geschichte. Hier ist er allerdings nicht in einem kleinen Dorf, in dem der junge Protagonist das Leben und die Liebe kennenlernt, sondern in der Wüste.

Durch die wandert der aus einem Straflager geflohene Zhang (Zhang Yi) und schon bald wird klar, dass er weniger auf der Flucht als auf der Suche ist. Er trifft das Waisenmädchen Liu (Liu Haocun), das vor Zhangs Augen eine Filmrolle stiehlt, hinter der offenbar auch er her ist. Die beiden beginnen, miteinander um das Zelluloid zu kämpfen. Zhang will eine bestimmte Wochenschau finden, die Wochenschau Nr. 22, weil in ihr Bilder seiner Tochter zu sehen sein sollen, die seit seiner Verhaftung nichts mehr von ihm wissen will. Der Ton, den Eine Sekunde vor allem in der ersten Hälfte anschlägt, ist zugleich heiter und ernst.

Die erste Hommage an das eigene Medium sind die wunderschönen Wüstenbilder, in denen das erste Drittel des Films vor allem spielt. Zhang Yimou hat ein fast unheimliches Gespür für wuchtige Naturästhetik, die aber nichts gewaltvoll Überwältigendes hat. Das funktioniert tatsächlich voll und ganz nur auf einer möglichst großen Leinwand.

zhang yimou, eine sekunde

Film selbst spielt aber auch im Plot eine zentrale Rolle. Neben der Vorführung bildschöpferischer Kraft ist das die zweite Ebene, auf der Eine Sekunde vom Kino erzählt: Das Kino als ein Medium, das menschliche Nähe verspricht und ein Surrogat menschlicher Nähe bietet. Auch die Herstellung von Kollektivität ist möglich: Vor der Leinwand im Saal des kleinen Dorfes, in dem der Filmvorführer (Fan Wei) als so etwas wie ein kleiner Volksheld und zugleich Dorfsheriff wirkt, versammeln sich die begeisterten Zuschauer:innen und bilden eine aufgewühlte Masse.

Das Kino wird allerdings nicht romantisiert, Eine Sekunde erinnert immer wieder an den schnöden Nutzwert des Materials. Der traurige Held der Geschichte sucht ein Bild seiner Tochter, das Waisenmädchen Liu braucht schlicht das Zelluloid, um für ihren Bruder einen Lampenschirm zu bauen, damit der sich beim Lesen nicht die Augen verdirbt. Überhaupt spielt das Speichermaterial eine zentrale Rolle. Die Wochenschau Nr. 22 fällt beim Transport von der Kutsche, und die schönsten Szenen des Films sind die, in denen die Dorfgemeinschaft mit einfachsten Mitteln gemeinsam und unter Anleitung des Filmvorführers eine spontane Filmrestauration organisiert. Am Ende werden die Filmstreifen trockengefächert, und die Vorführung kann beginnen.

Das alles spielt sich vor dem Hintergrund der chinesischen Kulturrevolution ab, und das Bild, das Zhang Yimou von staatlicher Repression zeichnet, ist nicht eben schmeichelhaft. Das mag auch der zentrale Grund für die immer wieder verschobene Premiere des Films gewesen sein. Die Vorführung auf der Berlinale 2019 wurde kurzfristig abgesagt, angeblich wegen technischer Probleme während der Postproduktion. Eine Sekunde erschien dann erst nach Nachdrehs und Kürzungen. Ob das China der Siebzigerjahre auch in der ersten Fassung nur Hintergrund für eine Geschichte über das Kino gewesen ist, lässt sich nun nicht mehr rekonstruieren. Zu sehen jedenfalls ist nun ein Film, der das Kino liebt, ohne es zu verklären.

 

Yi miao zhong / Eine Sekunde
China 2019, Regie Zhang Yimou
Mit Zhang Yi, Liu Haocun, Fan Wei
Laufzeit 103 Minuten