Bis ans Ende der Nacht

Der neue Kunstfilmthriller von Christoph Hochhäusler – im Kino

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Bis ans Ende der Nacht, 2023, Christoph Hochhäusler

„Bis ans Ende der Nacht“: Christoph Hochhäusler legt erneut einen sehenswerten Grenzgang zwischen Genre und Autorenfilm hin, und diesmal auch zwischen queer und hetero. Jetzt auch in AT im Kino.

Die Anmaßung sei es, zu sagen, dass es ein Film werden muss, den es so noch nie gegeben hat, sagt Christoph Hochhäusler. Um dann die Referenzen zwar nicht offenzulegen, aber doch leise anzudeuten. Film Noir natürlich, Otto Premingers Whirlpool, eine Doku über queeres Leben. Bis ans Ende der Nacht ist wie die bisherigen Filme Hochhäuslers aufgespannt zwischen Genre und Autorenfilm. Und der erste Pol ist im deutschen Kino nach wie vor eher unbespielt, weshalb in einigen Kritiken zum Film dann auch irgendwelche Tatort-Folgen zum Abgleich herangezogen wurden, weil wenig anderes vorliegt. Sowas führt natürlich in die Irre.

Die Figuren sind dem Polizeifilm entnommen: der verdeckte Ermittler, der Kriminelle, der für die Bullen arbeitet, um früher aus dem Knast entlassen zu werden, die Vorgesetzte, die Druck von oben nach unten weitergibt, der Drogendealer, der in Konflikt mit einer Gang gerät, die brutaler ist als die eigenen Leute. Hochhäusler aber verschiebt die Hardboiled-Männer und die Femme Fatale mit großer Selbstverständlichkeit ins Queere. Robert Demant (Timocin Ziegler) wirkt wie eine schwule Schimanski-Figur, will tough sein, ist aber in seiner Verliebtheit vor allem hilflos. Verliebt ist er in Lea (Thea Ehre), eine Transfrau, die, als die beiden sich kennengelernt haben, noch als Mann wahrgenommen wurde, von ihm und allen anderen. Beim besoffenen Beieinandersein versteht Robert dann nicht, warum Lea nicht mehr will, dass er ihr an den Schwanz langt und brüllt rum. Die beiden bilden das verdeckte toxische Ermittlerpärchen, und die vielen Unwahrscheinlichkeiten des Drehbuchs von Florian Plumeyer (Alle wollen geliebt werden) kommen nicht aus der Nachlässigkeit, sondern aus dem Erzählen Rainer Werner Fassbinders und damit auch von Douglas Sirk. Die immer wieder bewusst staksigen Dialoge auch. Wer direkten Realismus will, findet hier nicht viel. Trotzdem steckt mehr an emotionaler Wirklichkeit in diesen Bildern als sonst im deutschen Kino.

Ehre, Ziegler, Hochhäusler, Bis ans Ende der Nacht

Der Drogenhändler und ehemalige DJ Victor Arth (Michael Sideris) schert ebenfalls aus den Genre-Stereotypen aus. Ein Gangster, einerseits, andererseits kann er sehr gut zuhören, anderen Männern zumindest, und hält dann auch mal ein vergleichsweise flammendes Plädoyer für Identitätslosigkeit: Das Problem sei doch, dass man allem immer einen Namen geben müsse, einer Beziehung, Mann, Frau (Genre, Berliner Schule, könnte man ergänzen). Die unterkühlten Bilder, die Hochhäusler zusammen mit seinem Kameramann Reinhold Vorschneider (Im Schatten, Wild) konstruiert hat, wirken wie unter Glas und nehmen gerne die Ränder der Räume in den Blick, als wollten sie das Genre-Universum, aus dem sie kommen, öffnen, ohne es zu hinter sich zu lassen. Die Entsprechung findet sich im Plot, in der Fußfessel Leas, die sie irgendwann ablegt.

Die Unterkühltheit schafft eine Distanz, aber keine Coolness. Genau wie Roberts Ausbrüche nichts voranbringen oder gar klären. Robert und Lea kommen nicht zueinander, das liegt einmal an ihren unterschiedlichen Karrierewegen (Bulle, Drogendealerin) und dann aber auch an der von Lea vorgenommenen Chaotisierung der ja von Haus aus starren Geschlechtermatrix, mit der der nun sehr unglücklich verliebte Robert nicht gut klarkommt. Deprimierende Leidenschaft im Film-Noir-Modus: Lea schließt sich ihm Auto ein, aus Angst vor Robert, der wieder mal zornig ist, Gewalt kippt in so etwas wie Lust, die beiden fangen an, die Autoscheibe von innen und außen zu küssen, der Polizist Demant (der das Verlangen im Namen trägt so wie DJ Arth die Kunst) spritzt auf das Glas. Am Schluss schenkt einem Bis ans Ende der Nacht eine Art Happy End, wenn auch nicht für alle.

„Der destruktive Charakter kennt nur eine Parole: Platz schaffen; nur eine Tätigkeit: räumen“, hat Walter Benjamin geschrieben. Destruiert werden die kaputten Männlichkeiten, ob schwul oder hetero (was wir von der Beziehung des Drogendealers erfahren, ist auch wieder zuallererst ein Elend). Es bleibt der Weg abseits, gegen alle Widerstände. „Sein Bedürfnis nach frischer Luft und freiem Raum ist stärker als jeder Hass.“ Bis ans Ende der Nacht ist ein in verschiedenen Hinsichten dunkler und trauriger Film, der trotzdem nicht deprimierend wirkt; weil es eben nicht deprimiert, wenn man Menschen dabei zusieht, wie sie versuchen ins Offene zu kommen.

 

Bis ans Ende der Nacht
Deutschland 2023, Regie Christoph Hochhäusler
Mit Timocin Ziegler, Thea Ehre, Michael Sideris, Ioana Iacob
Laufzeit 120 Minuten