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XL-Streaming-Tipps KW 32: Prime-Video/Mubi-Special

a league of their own, jacobson
A League of Their Own, 2022–, Will Graham, Abbi Jacobson

Es gibt immer noch kein Weinen im Serien-Remake des Sportfilm-Kultklassikers „A League of Their Own“, aber dafür zwei der besten Filme des vergangenen Jahres auf Prime Video, und MUBI zeigt zwei herrlich dysfunktionale Familien. Wir verweisen auf insgesamt sieben Titel für verregnete Sommertage.

Penny Marshalls gutherzige Baseball-Comedy A League of Their Own, bei uns besser bekannt als Eine Klasse für sich (1992), war ziemlich ikonisch. Ein auf Frauen ausgerichteter Sportfilm, der sich nicht um eine Frau und ihr Liebesglück drehte, war Anfang der 1990er Jahre immer noch ziemlich selten. Stattdessen ging es um ein paar Amerikanerinnen, die in den 1940ern, in einer Zeit, in der sie auf Küche und Kindererziehung beschränkt waren, Profi-Baseball spielten, während die Männer in Übersee kämpften. Einige von uns erinnern sich vielleicht noch an die sagenhafte Szene mit Tom Hanks, in der er eine Spielerin, die in Tränen ausbricht, mit den legendären Sätzen anbellt: „There’s no crying in Baseball!”

Es gibt eine andere Szene in dem Film, an die sich vielleicht weniger Menschen erinnern werden können, die aber viel mächtiger ist. Eine schwarze Frau, die am Spielfeldrand sitzt, hebt einen Foulball auf und wirft ihn mit Wucht an eine Spielerin zurück. Die Story dieser Frau endete an dieser Stelle, wird nun aber von der Serie A League of Their Own (Prime Video) wieder aufgegriffen: Chanté Adams spielt Maxine, die zum Tryout kommt. Sie wird weggeschickt, weil sie schwarz ist, aber anders als im Film geht ihre Geschichte weiter. Sie versucht, in ein schwarzes Team zu kommen – aber das gelingt nicht, weil sie eine Frau ist. Und weil sie queer ist, fühlt sie sich nirgends zugehörig.

Die neue League, kreiert von Abbi Jacobson (bekannt aus der Comedy-Serie Broad City) und Will Graham ist kein klassisches Remake, sondern eine couragierte, bunte Neuinterpretation. Sie beschäftigt sich mit Dingen, die im Original nur angedeutet wurden: mit schwarzen Frauen und mit lesbischer Liebe – auch letztere ein Aspekt, der im Originalfilm nie berührt wurde, da er für das Hollywood der frühen 1990er wohl zu gewagt war.

Alle Figuren der Serien-Auflage von A League of Their Own sind neu, aber viele fühlen sich einer bestimmten Rolle des Originals nahe. Abbi Jacobson spielt die verheiratete Carson, die deutlich der Figur von Geena Davis nachempfunden ist und sich in eine Mitspielerin (D’Arcy Carden) verliebt, die wiederum Madonnas Rolle als Mae ähnelt. Die neuen Frauen müssen sich vor ihren Vorgängerinnen nicht verstecken. Nick Offerman spielt den Trainer, und es gibt immer noch kein Weinen im Baseball, aber Tom Hanks’ Jimmy Dugan wird schmerzlich vermisst.

In den kommenden Tagen erscheinen außerdem zwei der – meiner Meinung nach – besten Filme des Jahres 2021 auf Prime Video. Für all jene, die eine Zugabe wollen, Spektakel und Schatten suchen, ist Annette (ab 16. August) ein Wunder wie kein anderes. Das englischsprachige Debüt von Kultregisseur Leos Carax, mit einem Libretto der Kultband Sparks, ist eine spektakuläre Rockoper, mit einem viel gefeierten musikalischen Cunnilingus, mondbeleuchteten Schiffswracks und der bezaubernd gruseligen, titelgebenden Puppe. Es ist ein dunkelherziger Film, mit Tiermetaphern, die Carax so liebt, mit Furzwitzen und einer Tragödie zwischen den zwei Hauptliebenden, gespielt von Marion Cotillard und Adam Driver (hier unsere plastische Kritik zum Kinostart).

Ein filmisches Spektakel, das auf eine Weise sexy und schelmisch ist, wie es die meisten Filmemacher:innen einfach nicht mehr zu wagen scheinen, ist Paul Verhoevens Benedetta (ab 15. August) – der vielleicht provokanteste Film des vergangenen Jahres. Schon klar, es wurde viel über die „lesbischen Nonnen-Sexszenen“ geredet, aber in dem historischen Drama mit Virginie Efira und Charlotte Rampling geht es um mehr: z.B. um das fröhliche Ignorieren beklemmender Dogmen und die Frage, ob es darauf ankommt, dass die Kommunion zwischen den Schenkeln zweier Frauen überreicht wird.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Höhlenunglück in Thailand von 2018, bei dem letztlich dreizehn Buben gerettet wurden, in den Händen von Ron Howard landen würde. Die Filmografie des Hollywood-Regisseurs umfasst mehr als nur ein paar Überlebensgeschichten mit Happy-End-Würzung. Entgegen aller Erwartungen ist sein Survival-Drama Thirteen Lives (ebenfalls bei Prime Video) kein prototypischer Blockbuster. Wie bei Apollo 13 haben wir die Unglückszahl gleich im Titel, aber Howard hat Spektakel-Ingredienzen weitgehend vermieden, ohne dass der Film an Spannung einbüßt.

Unterdessen zeigt Mubi zwei Familien, die beide auf ihre eigene Art unheimlich selbstzerstörerisch sind. Der amerikanische Dramatiker Stephen Karam hat sein preisgekröntes Theaterstück The Humans aus dem Jahr 2016 für das Kino adaptiert und dabei eine eigene Bildsprache entwickelt. Es handelt sich um ein Familientreffen an Thanksgiving, aber mehr als alles andere ist es eine Spukhausgeschichte, die der englische Kameramann Lol Crawley auch als solche gefilmt hat. Das Ganze spielt in einer neuen, aber ranzigen Wohnung im New Yorker Chinatown, wo der Schimmel in den Ecken gedeiht und die undichten Rohre Rost ansetzen. Die schummrige Wohnung ist nicht nur Schauplatz dieses Kammerspiels, sondern ein Lebewesen, dass knarrt, verfault und atmet. Im Laufe des Films bröckeln die Traumata und Geheimnisse der Mitglieder der Familie Blake (gespielt von Richard Jenkins, Jayne Houdyshell, Amy Schumer, Beanie Feldstein, June Squibb und Steven Yeun) wie der Putz von den Wänden. Die Metapher mag nicht subtil sein, effektiv ist sie allemal.

Die Blake-Familie ist freilich nicht die seltsamste, die wir je gesehen haben. Diese Ehre geht womöglich an die griechische Sippe in Yorgos Lanthimos’ viel besprochenem Meisterwerk Dogtooth (2009). Der Vater (ein furchteinflößender Christos Stergioglou) versucht seine drei Kinder ohne Einmischung der Außenwelt zu erziehen und zwingt sie in ein unterdrücktes Dasein. Das ist so grausam wie es klingt, aber der Film ist mit einem trockenen Sinn für Humor gesäuert. Zu den gelernten Lektionen gehören: Katzen sind räuberische Killer und die Flugzeuge am Himmel sind Spielzeuge. Um die sexuellen Wünsche des Sohnes zu befriedigen, bringt der Vater eine Frau nach Hause. Wer Dogtooth / Kynodontas noch nicht kennt, sollte sich auf ein horrend interessantes Sozialexperiment gefasst machen. Und um es gelinde auszudrücken: dieses geht ordentlich schief (hier der Trailer bei Mubi).

Und wer drei wie im Flug vergehende Stunden Zeit hat für einen vielfach preisgekrönten, sehnsüchtigen Film über Verlust, Liebe und menschliche Verbundenheit, dem sei das japanische Drama Drive My Car (ebenfalls bei Mubi) ans Herz gelegt. Anton Tschechows „Onkel Wanja“ bildet den literarischen Unterbauch von Ryūsuke Hamaguchis schöner Filmadaption von Haruki Murakamis gleichnamiger Kurzgeschichte. Darin findet ein Mann (Hidetoshi Nishijima) in der Gesellschaft einer jungen Frau (Tôko Miura), die ihn in seinem roten Saab chauffiert, Trost. Ein Meisterwerk in der Beobachtung kleiner Momente (hier unsere Kritik).