Lässige Hunde

Streaming-Tipp KW 5: „Reservation Dogs“

Waititi, Reservation Dogs
Reservation Dogs, 2021–, Sterlin Harjo, Taika Waititi

„Reservation Dogs“, Season 2: Die großartige Dramedy nach einer Idee von Taika Waititi räumt auf mit Indianer-Klischees (bei Disney+).

Bevor er seinen durchgeknallten 2017er Thor-Film drehte und die Mockumentary What We Do in the Shadows (hierzulande besser bekannt unter dem Titel 5 Zimmer Küche Sarg, 2014) über eine Vampir-WG mitgestaltete, war Taika Waititi als fantasievoller Erzähler mitfühlender Coming-of-Age-Geschichten bekannt. Seine frühen Spielfilme Boy (2010) und Hunt for the Wilderpeople (2016) zeichneten warmherzige und witzige Porträts junger Menschen. Seine Nazi-Satire Jojo Rabbit (2019) handelte von einem Zehnjährigen, der sich mit einem imaginären Adolf Hitler anfreundet.

Ein Großteil dessen, was diese Filme ausmacht, charmante Satire, magischer Realismus, exzentrische Figuren, ernste Untertöne und eine finstere Situationskomik, macht auch Reservation Dogs aus – auch wenn die FX-Serie nicht von Waititi allein stammt. Der Neuseeländer hat sich den amerikanischen Filmemacher Sterlin Harjo (dessen dritter Spielfilm Mekko lief auch auf deutschen Festivals) als Mitschöpfer und Showrunner an die Seite geholt. Harjo stammt selbst aus Oklahoma und gehört zum indigenen Volk der Seminolen, wie überhaupt der Großteil des Ensembles und der Autor:innen der Serie zu verschiedenen indigenen Völkern Amerikas gehört. Als Reservation Dogs 2021 in den USA herauskam, wurde die Serie deshalb zu Recht als Meilenstein gefeiert. Viel zu lange und zu häufig waren Indianer auf der Leinwand bloß als sexy Squaws, „edle Wilde“ oder gnomische Geister dargestellt worden. (Als Karl May seine Abenteuerromane über Winnetou und Old Shatterhand schrieb, war er übrigens noch nie zuvor in Amerika gewesen.)

Die vier titelgebenden, quasi-kriminellen „Hunde“ im abgewrackten Reservat werden von durchweg hervorragend begabten Youngsters gespielt. Reservation Dogs ist ihr Spitzname und zugleich natürlich eine Anspielung auf Quentin Tarantinos Reservoir Dogs. Die schwarzen Anzüge aus dem Film werden direkt zitiert, aber hier hören die Vergleiche auch schon auf, denn die Serie steht eher in der Tradition des US-Indie-Kinos von Richard Linklater. Hier wird viel in zartem Tempo herumgeschlendert, auf Müllhalden und durch verlassene Straßen. Die Bilder sehen ein bisschen verwaschen aus.

D’Pharaoh Woon-A-Tai, Devery Jacobs, Lane Factor und Paulina Alexis spielen die vier indigenen Teenager Bear, Elora Danan, Cheese und Willie Jack. In der ersten Staffel stahlen sie einen Truck mit Chips, um sich ihre Flucht, raus aus ihrem Kaff in Oklahoma, nach Kalifornien zu finanzieren. Gleichzeitig schwebte immer auch der Tod eines Freundes über ihnen, der sich vor Beginn der ersten Folge suizidierte. Die zweite Staffel (streambar auf Disney+) handelt nun davon, was es braucht, um nach Hause zu kommen und seinen Frieden zu machen, auch wenn eine solche Möglichkeit bestenfalls sinnlos und schlimmstenfalls unmöglich erscheint.

Die neuen zehn etwa halbstündigen Folgen tauchen mehr denn je in den emotionalen Unterbauch dieser Welt ein, beschäftigen sich mit Verlust, Sucht und Rassismus, und doch verlieren die Schöpfer Sterlin Harjo und Taika Waititi dabei nie ihren Sinn für Humor. In der zweiten Episode wenden sich Willie Jack und Cheese an ihren Onkel Brownie (Gary Farmer), um Hilfe bei der Aufhebung eines Fluchs zu bekommen. Der stottert dann durch eine Zeremonie, die seiner Meinung nach „mit einem alten Lied“ enden muss: nämlich mit „Free Fallin‘“ von Tom Petty. An anderer Stelle konsumiert der Polizist im Reservat (großartig: Zahn McClarnon, bekannt aus Westworld) versehentlich ein halluzinogenes Getränk und stellt während seines Drogentrips eine „White-Supremacy“-Geheimorganisation im Wald. Bear spricht immer noch mit seinem Urahnen (Dallas Goldtooth), einem indigenen Krieger Amerikas, der wie eine Art Parodie auf die Indianer aus alten Western-Filmen wirkt: stolz auf dem Pferd mit nacktem Oberkörper und Federn im langen Haar.

Reservation Dogs sprengt derlei Stereotypen und beschwört eine Kultur herauf, in der uralte Stammesflüche neben Lachern über Klischees existieren und das Vermächtnis von Tom Petty Seite an Seite mit Hip-Hop und Verweisen auf John Carpenter steht. Es ist eine vertraute Coming-of-Age-Geschichte, aber eine sehr sehenswerte: Sie gibt Einblicke in die Realität der modernen amerikanischen Ureinwohner und geht über die alte Erzählung von Opfern und Elend hinaus. Eine dezidierte Empfehlung des filmfilter.

Passend zum Kinostart von Park Chan-wooks Film-Noir-Paraphrase Die Frau im Nebel (hier unsere Kritik) verweisen wir als Streaming-Bonustipp abschließend auf jenen Film, der Park international berühmt machte (oder berüchtigt, wenn man so will) und längst zum Kultfilm avanciert ist: Oldboy läuft, wie z.B. auch Durst, derzeit bei Mubi und anderen Streamern.