Basic Instinct ohne Sex

Der neue Park Chan-wook – ab 02.02. im Kino (AT/DE)

Park, Decision to Leave
Die Frau im Nebel / Heojil kyolshim, 2022, Park Chan-wook

„Die Frau im Nebel“: Park Chan-wooks neues Meisterwerk schreibt die Genre-Logik des Film Noir um.

In den Filmen des Südkoreaners Park Chan-wook mischen sich Genre-Logiken mit den eigenen Themen oder, wenn man es übergriffiger formulieren will, mit den Obsessionen ihres Regisseurs. Sie sind in hohem Maße kontrolliert, jeder Bildzentimeter ist auf alle anderen abgestimmt, es gibt nichts in diesen Filmen – Plot- und Bildkonstruktion, Montage, Performance der Schauspielerinnen und Schauspieler –, was nicht wie das Ergebnis minutiöser Planung und technischer Virtuosität wirkt. Der Eindruck des Perfekten, den Park Chan-wooks Bilder ausstrahlen, kommt genau daher. Filme ohne jede (erkennbare) Improvisation.

Ihre Spannung wiederum beziehen Parks Filme aus einem häufig wiederkehrenden Sujet, und das ist der Kontrollverlust. In diesen Filmen geht es oftmals um Männer, die sich verlieren und nicht mehr so recht wissen, was mit ihnen und der Welt los ist. Und die sich dann, vorübergehend, wiederfinden im Gewaltakt. In Old Boy wusste der Held nicht, wie ihm geschieht, eingesperrt für fünfzehn Jahre in einem Zimmer, um seiner Wut dann mit einem Hammer Ausdruck zu verleihen und am Ende etwas ganz Furchtbares herauszufinden (dazu haben wir einen Streaming-Tipp). In Thirst wird ein Durchschnittsmensch zum Vampir und genießt das neue Leben, das natürlich, wie eigentlich alle Männerschicksale bei Park, zum Scheitern verurteilt ist.

Park, Die Frau im Nebel
Park Hae-il

Konterkariert werden die armen Tröpfe von Frauenfiguren, die vergleichsweise zielgenau agieren, zum Beispiel in Lady Vengeance oder in Die Taschendiebin, in dem zwei Frauen ein Liebespaar bilden und den orientierungslosen, aber eben auch rundum unangenehmen Ehemann der einen verdient fertigmachen.

Park Chan-wooks neuer Film Die Frau im Nebel (OT: Heojil kyolshim) macht an dieser Stelle weiter, schlägt aber sanftere filmische Töne an: Der Polizist Chang (Park Hae-il) verliebt sich in die Mordverdächtige Song (Tang Wei), deren Ehemann beim Bergsteigen zu Tode gekommen ist. Changs Obsessionen allerdings bleiben etwas rätselhaft und undefiniert. Oberflächlich glücklich verheiratet, fährt Chang nachts schlaflos durch die Straßen und wirkt auch sonst eher unrund mit seinem Leben. Ein Mann in stiller Verzweiflung, der sich, vielleicht, Rettung durch eine geheimnisvolle, gefährliche Frau verspricht. Die leider eventuell einen Mord begangen hat.

Die Frau im Nebel ist im Film-Noir-Modus erzählt. Regen, Nebel, Insomnia. Damit sind wir bei der zweiten tragenden Komponente in diesem Filmkosmos, dem Genrefilm. Park Chan-wooks Montagen bilden gerne idiosynkratische Variationen über etablierte Genre-Motive und -Figuren. In diesem Sinne verhält sich Frau im Nebel zum Film Noir wie Thirst zum Vampirfilm: Genre-Logiken bilden das Gerüst für die Eskapaden von Park Chan-wooks Lieblingstypen, den Mann, der in Ausnahmezustände gerät, und die geheimnisvolle, das Geschehen eigentlich kontrollierende Frau. Um die Genre-Logik dann sozusagen umzuschreiben.

Park, Die Frau im Nebel
Tang Wei

Im Falle von Die Frau im Nebel wird die Figur der Femme Fatale entsexualisiert. Die Verschiebung gegenüber dem gängigen Stereotyp könnte – bei einem Film, der immer wieder auf Alfred Hitchcocks Vertigo und auf Basic Instinct verweist – nicht größer sein. Sharon Stone hat im Verhörraum den Ermittlern in einer ikonischen Szene noch gezeigt, dass sie keine Unterwäsche trägt. Während der ersten Verhörszene essen Chang und Song gemeinsam teures Sushi und wischen danach zusammen den Tisch – das verbotene Noir-Paar in Die Frau im Nebel wirkt von Anfang an, als würde es schon jahrelang zusammenleben, in Harmonie und stiller Verbundenheit. Übersetzungsprobleme spielen immer wieder eine Rolle. Song ist Migrantin aus China und spricht nur gebrochen Koreanisch. Die Dialoge in einer zentralen Szene, die in einer üblichen Dramaturgie eigentlich so etwas wie einen emotionalen Höhepunkt bilden müsste, werden durch eine digitale Übersetzungs-App verlangsamt. Die Verbindung der beiden Figuren soll offenbar tiefer liegen, noch vor der Sprache und vor dem Symbolischen. Es geht in diesem Film tatsächlich nicht um Sex, sondern um die viel schwierigere Frage, ob diese Verbundenheit real oder Illusion ist.

Das alles wird eben nicht über das Narrativ einer verschlingenden Sexualität erzählt, sondern als Geschichte einer Liebe, deren Charakter weder den Liebenden, noch Zuschauerin und Zuschauer klar ist. Die filmischen Vorbilder sind nicht zu übersehen: Hitchcock, wie gesagt, und die Noir-Filme von David Lynch. Man wartet ständig auf den Ausbruch von Gewalt und/oder irgendeiner körperlichen Ekstase, beides bleibt aber (weitgehend) aus. Stattdessen sucht der still liebende Ermittler nach der Wahrheit.

Auf dem Weg zum Ende kreiert Park Chan-wook einprägsame Bilder und Sequenzen, in denen Schönheit und Schreckliches sich vermischen: ein Swimming Pool, der sich mit Blut füllt, die Pupille eines Toten im extremen Close-up, über die ein Insekt wandert. Eine Einstellung ist aus der Perspektive eines toten Fisches gefilmt. Chan-wook hat sich die Vorliebe für starke, überinszeniert wirkende Bilder erhalten. Nahezu jede Einstellung ist „stylish“ in diesem Film. Hinter dieser Stilverliebtheit und inszenatorischen Finesse drohen die Geschichte und die Figuren mitunter zu verschwinden. Erst beim wiederholten Sehen wird deutlich: Die Frau im Nebel ist eine Meditation über Liebe und Glück und über die Frage, die der englische Titel des Films, Decision to Leave schon andeutet: ob und wann man jemanden für einen anderen Menschen verlassen kann und soll.

 

Die Frau im Nebel / Decision to Leave
Südkorea 2022, Regie Park Chan-wook
Mit Park Hae-il, Tang Wei, Lee Jung-hyun
Laufzeit 138 Minuten