Filmfesttage

Streaming-Tipps KW 51

Dexter New Blood, 2021, Clyde Phillips

Wir filtern das Weihnachtsfilmprogramm, zwischenbilanzieren kurz „Dexter“ und können eine cinephile Kurzessay-Reihe leider nur bedingt empfehlen.

Keine Lust auf Sissi, Jimmy Stewarts wundervolles Leben oder noch einmal Die Hard? Dann probieren wir es mit etwas Neuem, mit etwas Mutigem. Sky etwa bietet den britischen Märchenfilm Last Train to Christmas, eine von Julian Kemp inszenierte Zeitsprung-Dramödie, welche die Farbwahrnehmung und Handlungslogik ordentlich ausreizt. Michael Sheen gibt Tony Towers, einen regional berühmten Club-Manager. Er sitzt im Titel gebenden Zug mit Freundin Sue (Nathalie Emmanuel, bekannt als Khaleesi-Beraterin in GoT) und diskutiert wie so oft mit seinem jüngeren Bruder (Cary Elwes) herum, der sich wie immer benachteiligt erachtet. Dann wechselt er das Abteil, um etwas zu holen, wechselt dabei aber nicht nur das Abteil, sondern in eine alternative Lebensphase. Fortan springt Tony so lange zwischen Zukunft und Vergangenheit, zwischen Erfolg im pinken Anzug und Scheitern in Sackklamotten, zwischen unterschiedlichen Biografie-Verläufen und phantasievollen Familien-Settings und einfallsreichen Zoff-Szenarien hin- und her, bis Zuschauer:in nicht mehr weiß, wo vorn und hinten oder früher und später ist und sich der Moral der Geschichte ergibt: Alternative Lebensläufe lassen sich nicht per Revisionsbescheid herbeiführen. Achtet man nicht ständig darauf, was man sagt und tut und entscheidet, wird sowieso etwas schief laufen im Leben.

Last Train to Christmas, 2021, Julian Kemp

Wie es auch ohne Risiko geht, beweist Netflix Jahr für Jahr mit, sagen wir einmal untermittelprächtigen Weihnachtsfilmen. Doch mit einem traut man sich etwas, mit dem Killerwolken-Katastrophenfilm Silent Night nämlich, in dem u.a. schöne Menschen wie Keira Knightley einander meucheln (mehr darüber nächste Woche an dieser Stelle). Keine Killerwolke, aber ein Komet bedroht die Menschheit in Don’t Look Up, der nach kurzem Kinoeinsatz in seine Netflix-Bildschirmheimat zurückkehrt. Über die Medien-Polit-Satire von Adam McKay mit den Kassandrarufern J-Law und Leo DiCaprio haben wir ja bereits alles gesagt. Kurz: Die Welt wird nicht wegen eines Himmelskörpers untergehen, sondern aufgrund irdischer Blödheit. Ob die Kinos untergehen werden oder doch nicht, können Sie in unserem Brooklyn Bulletin nachlesen. (Einen verlässlichen Überblick zum linearen TV-Programm der werbefreien Sender in der Nachweihnachtswoche liefert übrigens filmnetz.com.)

Don‘t Look Up, 2021, Adam McKay

Ein paar Worte zu Dexter: New Blood (Sky), denn die Neuauflage um den einst sympathischen Serienkiller läuft ja nun auch schon fünf Episoden lang: Mit der aktuellen Season im Vergleich zu früheren verhält es sich ein wenig so wie mit der neuen Titelsequenz im Vergleich zur alten. Die ursprüngliche war selbstbewusst lang, rituell und cool, die jetzige ist bescheiden kurz, zerhackt und eingefroren. Aber gut, anstatt wie damals seine Polizei-Kollegen im warmen Miami mit Donuts zu versorgen, muss Dexter nun unter falschem Namen im verschneiten Upstate New York freundliche Nasenlöcher machen – bis ihn halt die Mordlust wieder überkommt, eh nicht aus Fadesse, sondern natürlich anhand eines besonders ekligen Exemplars seiner Gattung. Hätte er nur auf Schwester Debra gehört, die seit ihrem Tod am Ende der vorigen Season wie ein zorniges schlechtes Gewissen gebetsmühlenartig auf ihn einschimpft. Dass Dexter sich mit der netten örtlichen Polizistin eingelassen hat, macht die Sache nicht leichter, dass sein verlorener Sohn auftaucht, sogar kompliziert, und dass die Tochter der Polizistin mit seinem Sohn, in dem auch gewisse Neigungen erwachen, naja… man kann es sich leider alles denken. Im Norden wenig Neues, könnte man zusammenfassen, in der Zwischenzeit ist das Konzept der Identifikation mit ambivalenten Helden im Mainstreaming so präsent wie Halloween-Kürbisse zu Allerheiligen.

Voir, 2021, Sasha Stone et al.

Die Zeit zwischen den Jahren ist ideal, sich mit Filmen über Filme zu beschäftigen. Vor knapp zehn Jahren war es The Story of Film (immer noch bei Studiocanal auf Disc, nun z.B. auch im Arthaus+ Channel bei Amazon): ein hochambitioniertes, an Stellen erhellendes und mit vielen aufschlussreichen Interviews gespicktes 15-stündiges Filmseminar. Mit Voir, einer sechsteiligen Reihe ca. 20-minütiger Hommagen an die lebensverändernden Wunder der Filmerfahrung, arbeitet nun Netflix daran weiter, sein ramponiertes Image als Unheilsbringer der Kinokultur zu korrigieren. Wunderbar, eine persönliche Sommerkinogeschichte des Jahres 1975 zu Spielbergs Jaws und dessen Funktionsweise zu sehen; fabelhaft, das Innovative an der Rache-Meditation Lady Vengeance (2005) von Park Chan-wook aufgeschlüsselt zu kriegen; ausgezeichnet, bei der Entstehung eines kantigen weiblichen Animations-Charakters teilhaben zu können (um drei Beispiele herauszugreifen). Das Problem an Voir ist jedoch, dass es viel zu eilig erzählt und demnach brutal schnell montiert ist (um die eingeblendeten Filmausschnitte identifizieren zu können, braucht es die Stopptaste), dass diverse Allerweltsweisheiten und Banalitäten nicht herauslektoriert wurden und die Reihe halt eine USA-zentrierte Sichtweise perpetuiert – als löbliches Gegenbeispiel siehe die oben erwähnte Story of Film, für die damals der gesamte Globus bereist wurde (hier eine ausführliche Beschäftigung damit).

 

Frohe Filmfesttage wünscht

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