Stop the race!

Die Award Season ist eröffnet und Cate Blanchett spricht offen über deren Trivialität. Sie hat natürlich Recht.

Field, Blanchett, Tár
Tár, 2022, Todd Field © Focus Features

Award Season has begun: Cate Blanchett gewann am Sonntag bei den Critics Choice Awards die Trophäe in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ für ihre Rolle als fiktive Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker in Todd Fields fantastischem MeToo-Drama Tár. Ihre Reaktion auf der Bühne?„Warum stoppen wir nicht das im Fernsehen übertragene Pferderennen!“ (Die filmfilter-Kritik zum Kinostart ist übrigens schon seit Wochen beauftragt.) Der Begriff „beste Schauspielerin“ sei ein sehr „willkürlicher, wenn man bedenkt, wie viele außergewöhnliche Leistungen von Frauen im vergangenen Jahr erbracht wurden. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir einfach diese ganze verdammte Struktur ändern.“

Die Frau hat Chuzpe. In einer Welt, die so selbstbesessen ist wie die eines durchschnittlichen Hollywood-Schauspielers, sollte das begrüßt werden. Natürlich liegt eine gewisse Ironie darin, Preisverleihungen zu kritisieren, während man einen Preis entgegen nimmt. Obendrein hat die australische Schauspielerin bereits zwei Oscars zu Hause stehen (und für Tár womöglich bald einen dritten, die Wetten stehen gut für sie im Internet), aber sie hat nicht Unrecht. Im Grunde kritisiert sie nicht die Preise per se, sondern die absurden TV-Spektakel, die daraus gemacht werden. Mir persönlich gefiele es auch, wenn sich die Art und Weise verändern würde, wie und nach welchen Maßstäben wir künstlerische Exzellenz zu messen versuchen.

Hollywoods „Pferderennen“ sind allerdings nach zwei Jahren voller Absagen, Verschiebungen und Online-Veranstaltungen wieder voll im Gange und die Einsätze sind besonders hoch für die Top-Pferde The Fabelmans, The Banshees of Inisherin und Everything Everywhere All at Once.

Sogar die in Ungnade gefallenen Golden Globes scheinen sich von ihrer Imagekrise erholt zu haben. Im vergangenen Jahr wurden sie nicht einmal im TV übertragen, aber Hollywood liebt ein gutes Comeback (oder auch ein letztes Hurra?). Die US-Kritiken für die Show waren größtenteils herzlich. Der New Yorker lobte sie als „sprudelnd und unterhaltsam“.

Natürlich mussten die Kontroversen der jüngsten Vergangenheit, die Rassismusvorwürfe und Korruptionsskandale, direkt angegangen werden, was der Moderator Jerrod Carmichael in seinem nachdenklichen, bissigen Eröffnungsmonolog auch tat. Er war eingeladen worden, so der Comedian trocken, „weil ich schwarz bin“. Keiner machte sich hier etwas vor. Der Schatten der Vergangenheit war wie weggeworfen und die Dämme waren gebrochen. Der entzückende Schauspieler Ke Huy Quan, der für seine Nebenrolle in Everything Everywhere All at Once gewann, bedankte sich unter Tränen bei Steven Spielberg, der ihn als Kind in Indiana Jones and the Temple of Doom (1984) gecastet hatte.

White Lotus-Schöpfer Mike White schluchzte offen über alles, was die süße Jennifer Coolidge über ihn und ihr eigenes Comeback sagte. Die Probleme der Hollywood Foreign Press Association (HFPA) konnten zugunsten der einfachen Freuden der Menschen beiseite geschoben werden. Ja, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj versicherte Hollywood in einer Videobotschaft gar, dass es keinen Dritten Weltkrieg geben werde!

Entschuldigen Sie den Sarkasmus. Aber hinter all den stark alkoholisierten Witzen, politischen Statements und sentimentalen Dankesreden lauert eben auch eine gewisse Wahrheit: Inzwischen hat fast jeder akzeptiert, dass diese Veranstaltung nicht existieren muss. Die Zuschauerzahl war mit 6,3 Millionen die niedrigste, seit der US-Sender NBC im Jahr 1996 mit der Ausstrahlung der Preisverleihung begann. Es geht das Gerücht um, dass es die letzten waren – zumindest auf NBC. Also vielleicht bekommt Cate Blanchett (und diese Autorin), was sie sich wünscht – zumindest was die TV-Übertragung der Globes betrifft. Ein guter Spieler weiß, wann er aufhören muss.

Nach zwei Jahren des Umbruchs und der Überarbeitung scheint sich nicht viel verändert zu haben. Warum sonst würde House of the Dragon den Preis für das beste Fernsehdrama in einem Jahr mit Severance gewinnen (Der filmfilter schrieb mehrmals über Severance, z.B. hier.) Ich bin mir auch nicht sicher, ob Steven Spielberg immer noch der spannendste Filmemacher ist, den Hollywood zu bieten hat. Sein halbautobiografisches Familiendrama The Fabelmans gewann den Globe für das beste Drama und den Preis für die beste Regie. Die Geschichte über seine Liebe zum Filmemachen, die bei uns im März ins Kino kommt, ist natürlich erstklassiges Oscar-Futter. Sie ist aber auch, naja, langweilig.

Die interessanteren Regisseure, jedenfalls in diesem Jahr, sind Daniel Kwan und Daniel Scheinert. Deren Everything Everywhere All at Once mit Michelle Yeoh ging als großer Sieger bei den Critics Choice Awards hervor. Doch Spielberg, der Seismograf des Massengeschmacks, sieht wie der klare Favorit auf den Oscar in der Kategorie „Beste Regie“ aus – (es wäre sein dritter; auf einem beliebten Wettportal hat er die größten Chancen mit einer Quote von 1.70). Es fühlt sich fast wie eine ausgemachte Sache an, auch wenn Martin McDonaghs The Banshees of Inisherin über zwei zankende Iren (hier unsere minder begeisterte Kritik) sich zu einem Liebling dieser Saison entwickelt hat.

Alle drei genannten Filme sind im Rennen für den besten Film am 12. März (die Nominierungen für die 95. Oscars werden am 24. Jänner bekannt gegeben). Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass diese Gala unterhaltsamer wird als das letztjährige Watschen-Gate – außer Jennifer Coolidge wird eingeladen. Sie wird nicht nominiert werden, aber das Rennen um das Comeback des Jahres hat die Schauspielerin bereits gewonnen.