Kino-Apokalypse? Nicht so schnell …

Teil 1: Ridley Scott und die Millennials

Cine Center Wien während des Lockdowns, November 2021

Ridley Scott, die Millennials und die Kino-Apokalypse.

„Das Kino ist tot“ ist weder eine kluge noch eine sehr originelle Aussage. Außerdem klingt es übermäßig nach Untergangstreiberei. Es ist fast schon langweilig, dass die Leute immer wieder reißerische Nachrufe auf das Kino schreiben, so zuletzt der amerikanische Journalist Richard Rushfield.

Keine Frage, die Kinos kämpfen um Augäpfel. Der Beginn der Pandemie fühlte sich an wie der Anfang vom Ende. In Österreich waren die Projektoren vorübergehend wieder aus. Niemand weiß, wann und wie die Sache enden wird. Da mischt sich natürlich eine gewisse Traurigkeit hinzu. Berechtigt war und ist die Frage: Was ist, wenn wir uns jetzt daran gewöhnt haben, Filme auf unserem Sofa anzusehen, und keine Lust mehr auf klebrige Fußböden und große Menschen mit breiten Schultern in der Reihe vor uns haben?

Netflix hat ein Imperium aufgebaut, in der Überzeugung, dass die Leute sich zu Hause dem Algorithmus ergeben. Studios und Lichtspielhäuser haben ihre eigenen Streamer entwickelt und viele Filme kommen jetzt gar nicht mehr ins Kino – sondern erscheinen direkt online.

Ridley Scott schiebt unterdessen den Kinotod seines neuen Films The Last Duel nicht der Pandemie oder den Streamern, sondern den Millennials in die Schuhe (zu denen übrigens auch ich zähle). Der Regisseur war kürzlich in den Nachrichten und beschwerte sich (wieder) darüber, wie schrecklich Superheldenfilme sind (er findet sie „fucking boring as shit“). The Last Duel hat weltweit ein wenig mehr als ein Drittel seines Budgets von 100 Millionen US-Dollar wieder eingespielt. Es ist einer der größten Flops in seiner Karriere.

The Last Duel, 2021, Ridley Scott

„Ich denke, was wir heute haben“, sagte Scott, „ist ein Publikum, das mit diesen verdammten Handys aufgewachsen ist. Die Millennials wollen nie etwas lernen, es sei denn, man sagt es auf dem Handy.“

Ich kann mit dem Vorwurf leben. Aber vermutlich gibt es viele Gründe, warum die Leute seinen Film nicht gesehen haben, und die wenigsten davon haben mit Handys zu tun. Ridley Scott hat viele hervorragende Filme gemacht. Thelma & Louise, Alien, Blade Runner … aber The Last Duel gehört nicht in diese Reihe. Vielleicht starb der Film den schnellen Kassentod wegen der bleichblonden Perücke von Ben Affleck? Vielleicht wollten die Menschen einfach keine Vergewaltigung aus verschiedenen Blickwinkeln sehen. Vielleicht lag es auch an der Pandemie, von der sich die Filmindustrie nicht vollständig erholt hat. Vielleicht war der Werbe-Job von Disney doch nicht so „fantastisch“ wie der Regisseur glaubt. Oder vielleicht wollten die Menschen einfach lieber den neuen Bond sehen, der mit mehr als 880 Million US-Dollar zum umsatzstärksten Hollywood-Film des Jahres wurde.

Den Kinos ging es schlecht, schon lange vor der Pandemie. Sie hat einen Trend beschleunigt, den es schon gab. Der kleine Bildschirm wird definitiv größer, ob es uns gefällt oder nicht – und er ist auch gar nicht mehr so klein. Das Fernsehen ist nicht mehr der winzige Stiefbruder des Kinos. Meine eigenen Sympathien mögen bei den Cineasten liegen (auch ich stand am Tag, als die Kinos wieder eröffnet wurden, maskiert ganz vorne mit dabei), aber eine „Früher war alles besser“-Mentalität ist ungefähr so daneben wie das Kino lebendig begraben zu wollen. Es war nicht immer alles herrlich. Und das Spiel des Kapitalismus dominierte schon damals.

Der Kurator des Österreichischen Filmmuseums, Jurij Meden, hat eine schöne Kollektion von Essays herausgebracht mit dem Titel „Scratches and Glitches“, in der er schreibt: „Wir dürfen nicht vergessen, dass die liebgewonnene – und vermeintlich einzige – Möglichkeit Kino auf der großen Leinwand, möglicherweise im Originalformat, zu erleben, selbst nichts anderes ist als in erster Linie eine utilitaristische ökonomische Erfindung. Die Erfindung derer, die dachten, dass es ein viel lukrativeres Unterfangen ist, einer Vielzahl denselben Filmstreifen zu zeigen – im Gegensatz zu einem einzigen Augenpaar.“

(Fortsetzung folgt in der nächstwöchigen Ausgabe des Brooklyn Bulletin.)