Hundstage

Neu im Kino KW 20

Dog, Reid Carolin
Dog, 2022, Reid Carolin, Channing Tatum

Ein traumatisierter Schäferhund, ein X-rated Horror-Movie, ein Fuchs im Bau und Stasi dann doch lieber ohne Komödie.

Gemeinsam mit seinem regelmäßigen Kollaborateur, Produzent und Drehbuchautor Reid Carolin, gibt der grundsympathische und allseits geschätzte Schauspieler und Produzent Channing Tatum sein Regiedebüt: Dog handelt, der Titel verrät es, von einem Hund. Und wer kann einem Hund schon widerstehen? Abgesehen vielleicht von einem Katzenfan. Unsere Titelheldin Lulu also, aus dem Geschlecht der Malinois (d.i. eine Varietät des belgischen Schäferhundes), hat bei der Armee getreulich Dienst getan, bis ein Kriegstrauma sie endlich doch eingeholt hat. Nun ist sie schlachtreif-untauglich und schwer durchgedreht. Ähnlich dem Army Ranger Jackson Briggs, der Lulu als eine Art Bewährungsprobe zur Beerdigung ihres Hundeführers quer durch die Staaten kutschieren soll, um danach wieder an die Front zu dürfen. Dass das der Wunsch eines Mannes ist, der seine sieben Zwetschgen nicht mehr beieinander hat, weiß Briggs noch nicht, lernt es aber im Zuge der Begegnung mit Lulu. Dog ist ein Roadmovie mit Mann und Hund, mit mehr Herz als Können inszeniert, dem es jedoch nicht nur gelingt, sensibel von der Militär-immanenten Verhärtung und Zurichtung zu erzählen, sondern auch eine alles entscheidende Frage zu stellen, ohne mit ihr bleischwer unterzugehen: Was im Leben hat eigentlich wirklich Sinn? (Und wieso ist es so schwer zu erkennen?) Leicht hingegen zu erkennen ist: Alle lieben Channing Tatum, und Channing Tatum liebt seinen Hund. Punkt.

Ein Satz mit X? Das war wohl nix! Wieso um diesen Film ein derartiges Gewese veranstaltet wird, erschließt sich mir nicht. Möglicherweise liegt es am Aufhänger, dass nämlich eine Gruppe junger Leute ausgerechnet auf einer Farm in der texanischen Provinz (Bible Belt!) einen Porno (!) drehen will. Dass das nicht gut gehen kann, liegt auf der Hand. Zumal X (gemeint ist das X-Rating, mit dem sexuell explizite Filme gekennzeichnet werden) in den späten Siebzigern angesiedelt und also Retro ist und an „die gute, alte Zeit“ des Hardcore-(nein, eben nicht Porno!, sondern)-Splatterfilms anzuknüpfen sucht. Dementsprechend blutig explizit geht es in der Folge zur Sache und den Bach hinunter; wobei an der Unzimperlichkeit, mit der Ti West – der mit The House of the Devil (2009) und The Innkeepers (2011) ja bereits hervorragende Horrorarbeit geleistet hat – Guts & Gore in Szene setzt, rein gar nichts auszusetzen ist. Eher daran, was ihm zum Thema Sex im Alter einfällt. Wieso macht das Wiedererwachen ihres sexuellen Begehrens zwei Greise zu blutrünstigen Monstern? Wieso wird mir die Lust des welken, alten Körpers als eklig, ja geradezu widernatürlich vorgeführt? Und liegt nicht gerade in diesem billigen, aufgelegten Trick das eigentlich Abstoßende und Horrende dieses Films? (Anders sieht den Film Kollege Moldenhauer und erklärt X zum Fantastischen Film.)

Nicht von einem rotfelligen Raubtier im heimischen Erdloch erzählt Fuchs im Bau von Arman T. Riahi, vielmehr von einem Lehrer selbigen Namens in einer Jugendstrafvollzugsanstalt. Hannes Fuchs soll Elisabeth Berger ablösen, die so ihre eigenen, recht speziellen Methoden hat, wenn sie in der Gefängnisschule die jungen Delinquent:innen unterrichtet. Methoden, die dem Abteilungskommandanten lange schon ein Dorn im Auge sind, und überhaupt will die Berger eigentlich gar nicht gehen. Fuchs im Bau hat eine Menge auf dem Zettel: Trauma, Verlust, Trauer; autoritäre Strukturen auf dem Prüfstand und Strategien der Resozialisierung; sexuelle Orientierung und (noch) unscharfe Geschlechtsidentität, Selbsthass, Vorurteile, körperliche (Un)Versehrtheit; Aggression und Gewalt und der Umgang damit. Ein Haufen schwieriger Sachverhalte und krisenhafter Ereignisse, noch dazu auf engem, reglementiertem Raum, die Riahi, der mit Fuchs im Bau ein eigenes Drehbuch verfilmt, dennoch jederzeit in sicherem Griff behält, um sie sodann mit überraschend leichter Hand zu ent-wickeln und zu lösen. Dabei spiegelt sich die Souveränität des erzählerischen Gestus auch darin wider, dass Riahi die Begriffe „Gefangenschaft“ und „Freisein“ auf vielerlei Ebenen ineinander blendet und solcherart sowohl als Metapher wie als Fakt sichtbar macht. Der Unterricht im Gefängnis bietet den Schüler:innen Freiraum; der Lehrer, der kommen und gehen kann, ist dennoch gefangen; äußere Freiheit ist nichts ohne innere Befreiung – die nicht zu haben ist ohne die Akzeptanz der Grauzonen, des Ungefügten und Widerspenstigen, des eigenen Selbst.

Aus der Abteilung „Deutsch-deutsche Missverhältnisse“ bekommen wir es in dieser Woche mit gleich zwei Exempeln zu tun: Stasikomödie von Leander Haußmann und Bettina von Lutz Pehnert. Qual der Wahl? Oder gar Double Feature? Die Sache ist simpel: Wer glaubt, dass „Stasi“ und „Komödie“ nicht zusammenpassen, hat recht. Stasikomödie ist ein fürchterlich missratener Film, der, vergeblich, witzige Funken zu schlagen versucht aus dem konspirativen Treiben im kleinbürgerlichen Überwachungsstaat. Haußmann muss sich vielmehr auch diesmal, wie schon bei den beiden Vorgängerfilmen der hiermit abgeschlossenen „DDR-Trilogie“ – Sonnenallee (1999) und NVA (2005) – den Vorwurf der Verharmlosung gefallen lassen.

Wer wirklich daran interessiert ist, etwas über die Schwierigkeiten des Lebens von Menschen mit Rückgrat in der DDR zu erfahren, ist mit Bettina, Pehnerts Porträt der mutig-widerspenstigen Liedermacherin Bettina Wegner, weitaus besser beraten. Und insofern die große alte Lady, Wegner ist 74, tatsächlich etwas zu sagen hat, braucht es auch keine weiteren Talking Heads, die, wie in so vielen Dokumentationen von der Stange, von außen Glaubwürdigkeit bezeugen. Das gelingt der Wegner in diesem auch als historisches Dokument wirksamen Film, der rund um eine Konzertprobe sowie ein ausführliches aktuelles Interview montiert und mit viel aufschlussreichem Material ausgestattet ist, ganz allein.

(Übrigens läuft auch One of These Days an, unsere Kritik ist tendenziell positiv.)