Wer Sex hat, stirbt

Kurzschluss von Horror und Porno: „X“ von Ti West – im Kino

X, Mia Goth
X, 2022, Ti West

Kampf der Alten gegen die Jungen, ironiefrei auf der Meta-Ebene: „X“ ist ein wundervoller zukünftiger Horror-Klassiker.

Moderner, drastischer Horror und Pornographie haben einiges gemeinsam. In beiden Genres stehen die Körper im Mittelpunkt des Geschehens, es geht ums Eindringen und ums Verletzen beziehungsweise die Überschreitung von Körpergrenzen. Und während der Porno ein Problem mit seinem unterschwelligen oder manifesten Gewaltcharakter hat, wurde dem Splatter immer wieder unterstellt, seine exzessiven Bilder malträtierter, platzender Körper seien nur ein schamhafter Ersatz für das pornographische Szenario. Splatter als Deckbild, Gewalt statt Sex. Eine sozusagen negative Verbindung zwischen beiden Genres, die plausibilisiert wurde durch die (in späteren Filmen dann gerne ironisierte) Bestrafungslogik des Slasherfilms: Wer Sex hat, stirbt.

Ti West bringt mit seinem ersten Horrorlangfilm seit dem 2011 erschienenen The Innkeepers beides zusammen: Ein für die geübte Zuschauer:in unübersehbar zum Umbringen zusammengecastetes Grüppchen junger Menschen fährt in den späten Siebzigerjahren ins amerikanische Hinterland, um einen Porno zu drehen. Auf der abgewirtschafteten Farm lebt ein sehr altes Ehepaar, das wirkt, als sei es von Tobe Hooper damals am Set vergessen worden. Man weiß, dass sie alle (bis auf wahrscheinlich eine) sterben werden müssen. Die Frage, die sich fast fünfzig Jahre nach dem von West ausgiebig und bis in die Bildkomposition zitierten The Texas Chain Saw Massacre stellt, ist nicht ob, sondern wann, also in welcher Reihenfolge und in welcher Weise. Auch in der Vorhersehbarkeit liegen Horror und Porno oft nah beieinander.

X, Mia Goth Mirror
Mia Goth

X gelingt auf dem gewaltvollen Weg bis zum Abspann so einiges, der Film macht eigentlich alles richtig. Die Porno-Crew ist lustig, aber nicht dümmlich, keine flachen Figuren, sondern Charaktere, die man ernst nehmen kann. Die Sexszenen und überhaupt die Bilder von der Produktion der Bilder des Films im Film thematisieren immer wieder die Frage nach real und fake – der Sex ist fake, in diesem Fall, aber doch ein großes Versprechen, und real ist die Eifersucht. Außerdem findet man in X ein gutes Dutzend sehr einprägsamer Einstellungen. Unser Favorit: die stille Alligator-Attacke aus der Gottesperspektive. Sollte das ebenfalls ein Bildzitat sein, kenne ich die Quelle nicht. So oder so eine sehr schöne Idee (die wiederum wie so einiges andere hier auch auf Hoopers Film nach Texas Chain Saw Massacre verweist, Eaten Alive).

X wuselt nicht nur in der Verbindung von Porno und Horror ironiefrei auf der Genre-Meta-Ebene rum, sondern auch in dem Sinne, dass er das Schlachten im Slasherfilm als Kampf der Alten gegen die Jungen verstanden wissen will. Lebenslust und Freiheitsdrang treffen hier auf das ungelebte, frustrierte Leben, das nicht sterben und hier eben auch verzweifelt immer weiter Sex haben will. Weil das nicht geht, jedenfalls nicht wirklich, schlägt die Lust in der Genrelogik automatisch um in Gewalt. Bis es so weit ist, lässt Ti West, wie auch schon in seiner ersten Seventies-Hommage House of the Devil, dem Geschehen und seinen Figuren viel Zeit. Das langsame Tempo bringt X in eine größere Nähe zu den Genreklassikern als jede Anspielung im Bild. Und wie auch bei House of the Devil ist das Finale dann vergleichsweise kurz, aber nicht schmerzlos.

Man soll nicht spoilern und kann es also nur andeuten, aber durch eine Casting-Entscheidung wird das Alte hier sehr eng mit dem Jungen verbunden. Sex, Filme machen, Drogen – das wilde, freie Leben, das die Figuren versuchen vor und hinter der Kamera zu realisieren, ist bedroht vom zwangsläufigem Verfall der Körper, und der Überschuss und der Exzess haben viel damit zu tun, dass alle ahnen, wie endlich alles ist; wie unbewusst auch immer. Für derlei existenzielle Sachverhalte findet X robuste, klare und grelle Bilder. Auch in diesem Sinne steht dieser wundervolle kleine Film in einer Reihe mit den Klassikern seines Genres.

 

X
USA 2022, Regie Ti West
Mit Mia Goth, Jenna Ortega, Martin Henderson, Brittany Snow, Owen Campbell
Laufzeit 106 Minuten