Müllmonate

Hat die Pandemie Hollywoods „dump months“ verändert?

Moonfall, 2022, Roland Emmerich

Es ist schwer, sich an ein neues Jahr zu gewöhnen. Das Wetter ist oft schlecht, die Feiertage sind vorbei und die Alltagsrealität setzt wieder ein. Das bedeutet zumeist auch, dass die Auswahl guter Filme im Kino höchst überschaubar ist.

Zu Beginn des Jahres gleicht die Situation in den Hollywoodstudios jener während der schwindenden Sommertage: Die Bosse lassen die Böden ihrer Fässer auskratzen und veröffentlichen jene glanzlosen Filme, zu deren Veröffentlichung sie vertraglich verpflichtet sind, von denen sie aber nicht erwarten, dass sie gut abschneiden. Aus diesem Grund haben die ersten beiden Monate des Jahres seit langem den Ruf als „Hollywoods ganz eigene Leprakolonie“. Man nennt sie auch „dump months“ – Müllmonate.

In Nordamerika ist die Liste der Neuerscheinungen in dieser Jahreszeit, um es höflich auszudrücken, underwhelming. Es ist wirklich ein Wunder, dass Roland Emmerichs Moonfall überhaupt einen Kinostart bekommen hat anstatt auf einer Streaming-Website begraben zu werden. In seiner Rezension nannte ein Kritiker Moonfall „den dümmsten Film, den er je gesehen hat“ und fügte hinzu: „Mein Gehirn verwandelte sich in Abwasser und tropfte aus meinem Ohr.“ Ein anderer schrieb: „Sie werden tatsächlich hören, wie Ihre Gehirnzellen Seppuku begehen, während Sie es sehen.“

Wie gesagt: Ende August und der September werden traditionell in ähnlicher Weise als „Müllmonate“ betrachtet (jedes Mal, wenn die Schule beginnt, verliert ein neuer Film seine Flügel). Doch dagegen fühlt sich der Jahresanfang, jedenfalls in den USA, oft wie eine wahre Mondlandschaft für das Kino an. Die „Winter-Dump-Saison“ endet normalerweise irgendwann im März, heuer wohl mit dem neuen Batman.

Man kann sich über den unverhohlenen Zynismus der Filmindustrie auch amüsieren, aber als Zuseher:in stirbt man jeden Jahresanfang tausend Tode auf diesem Friedhof für Filme, der uns in der Regel Dinge wie Dolittle, The Bye Bye Man oder The Grudge beschert. Diese Woche erscheint Dog in den US-Kinos, eine Komödie mit Channing Tatum und, nun ja, einem Schäferhund. Man sollte nicht Mein Partner mit der kalten Schnauze erwarten.

Es ist schwer, zu bestimmen, wann der Trend begann. Viele nehmen an, es war Steven Spielbergs Jaws, der bekanntlich im Jahr 1975 die Sommer-Blockbuster-Saison einläutete. Andere machen den Super Bowl im Februar verantwortlich, weil er die Augäpfel der Amerikaner:innen vom Kino weglenkt. Dazu kommt, was das künstlerisch anspruchsvolle Kino betrifft, die in der Branche als „fünfte Jahreszeit“ bekannte Award-Saison. Damit ein Film für die Oscars 2022 in Frage kommt, muss er vor dem 31. Dezember 2021 veröffentlicht worden sein. Oscar-Anwärter, die im Januar oder Februar erscheinen, müssten mehr als ein ganzes Jahr auf ihre Nominierung warten, bis dahin gibt es zu viel „Buzz“ für jüngere Produktionen.

Freilich gab es Ausnahmen, gern als Beispiel zitiert wird Silence of the Lambs. Obwohl schon am 14. Februar 1991 in die Kinos gekommen, blieb der Horrorfilm bis zur Preisverleihung 1992 im Gedächtnis der Academy und streifte fünf Oscars ein.

Außerdem können die Studios von ihrem schwächeren Stoff in den Müllmonaten sogar profitieren. Viertellustige Komödien oder mittelprächig gestrickte Thriller schneiden dann zweifellos besser ab als in anderen Monaten, weil sie nicht mit dem Blockbuster der Woche konkurrieren müssen. Taken z.B. war in dieser Hinsicht ein schöner Unfall, der – bei einem Budget von 25 Millionen Dollar – 145 Millionen einspielte.

In den vergangenen Jahren hat sich die Situation zwar geändert, allerdings scheinen die Pandemie und das Aufblühen der Streamer die Müllhalde nicht allzu dramatisch bereinigt zu haben. Im Zeitalter der Franchises und des Medienmonopols von Disney müssen Studios ihre Veröffentlichungen gleichmäßiger über das Jahr verteilen, damit Marvel (das ja im Schnitt drei Filme pro Jahr veröffentlicht), dem neuen Disney-Live-Action-Spektakel oder Star Wars nicht auf die Zehen tritt. Der „Sommerblockbuster“, wie wir ihn kannten, existiert nicht mehr. Mit ein paar eklatanten Ausnahmen kann Disney jederzeit einen Film herausbringen und mitansehen, wie die Gewinne hereinströmen. Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings brach Anfang September Rekorde, während die Delta-Variante durchs Land fegte. The Marvels ist für den 17. Februar 2023 angekündigt. Ein Streamer wie Netflix kann seine mittelmäßigen Filme einfach neben Oscar-Köder stellen und hoffen, dass jemand anbeißt.

„Dies, kombiniert mit dem durch die Auswirkungen der Pandemie verursachten, gebrochenen Veröffentlichungsplan, hat vielleicht dazu geführt, dass Hollywood davon ausgeht, dass jede Jahreszeit eine erfolgreiche Startrampe für potenzielle Blockbuster sein kann“, schreibt Douglas Laman.

Der jüngste Box-Office-Erfolg von Scream zeigt sicherlich, dass noch Leben im Winter steckt. Dagegen bekräftigen Filme wie Redeeming Love, Jackass Forever oder The Ice Adventures of Buck Wild immer noch die Idee, dass die ersten Monate für die Hollywood-Studios weitgehend als Film-Ghetto herhalten müssen. Wenn wir es positiv sehen: In Zeiten endlosen Inhaltsstroms und dauernder Aufmerksamkeitsablenkung spricht auch etwas für die Ruhe auf der Deponie.