Fast alles geht gut

Neu im Kino KW 15

Tout s'est bien passé, 2021, François Ozon

Kinderhorror aus Norwegen, der neue Ozon und wieder ein schmerzfrei konsumierbarer Wortmann. Gutgelaunte georgische Poesie als Highlight der Woche, dazu Franz.

Der letzte große Kinderhorrorfilm für Erwachsene war Let the Right One In, und das ist auch schon wieder ein paar Jahre her, 2008 war das. Ein wundervoller, tiefschwarzer Film. The Innocents spielt in derselben Liga – ein melancholischer und beklemmend spannender Horror, der Kinder, wie auch Let the Right One In, als Monster und Unschuldige zugleich zeigt. Die Schwestern Ida (Rakel Lenora Fløttum) und Anna (Alva Brynsmo Ramstad) ziehen mit ihren Eltern in einen Neubaukomplex. Ida ist neun Jahre alt und muss sich um Anna kümmern. Anna ist Autistin. Gleich in der Eröffnungssequenz zeigt uns Regisseur und Autor Eskil Vogt mit Kamera und Schnitt, wie er den Filmtitel verstanden wissen will. Ida kneift Anna in den Arm, fest, und schaut, wie sie reagiert. Noch ist offen, wie der Moment zu verstehen ist, als kindlicher oder als gefährlicher Sadismus; oder auch als Neugierde. Mit den neuen Freunden in der Siedlung eskaliert es wenig später schnell. Zuerst wird eine Katze getötet, dann fliegt ein Junge über das Geländer der Autobahnbrücke. Die Kinder in diesem Film jedenfalls sollen erst einmal unschuldig sein, bei allem Schrecklichen, was sie tun, und das ist nicht wenig. Eine der Fragen, die dieser Film stellt, ist, wie lange diese Einschätzung bei Zuschauerin und Zuschauer hält. Auf dieser Ebene ist The Innocents eine filmische Meditation über kindliche Unschuld. Während des Sehens aber ist das hier zuallererst einmal atmosphärisch intensives, ruhig gefilmtes Spannungskino. Die filmfilter-Rezension finden Sie hier.

Im neuen Film von François Ozon Alles ist gutgegangen / Tout s’est bien passé begleitet eine Tochter, Emmanuèle (gespielt von der äußerlich nicht alternden Sophie Marceau), ihren Vater beim Sterben. Nur dass André (André Dussollier) in diesem Fall den Tod herbeiwünscht, nach einem Schlaganfall, der ihn halbseitig lähmt und abhängig von anderen hat werden lassen. Den Wunsch zu sterben richtet er, der auch im Vollbesitz seiner Kräfte nicht unanstrengend war, ausgerechnet an seine Tochter. Alles ist gutgegangen basiert auf dem autobiografischen Buch von Emmanuèle Bernheim. Nach der Premiere in Cannes waren die Kritiken eher gemischt, was nicht unbedingt was heißen muss. Dass die Filme von Ozon im direkten Vergleich miteinander qualitativ sehr variieren, ist nichts Neues. Aber offensichtlich auch kein Problem für Ozon: „Ich halte Zuverlässigkeit für überschätzt. Ich möchte nicht immer die gleichen Spiele spielen und nicht immer die gleichen Filme drehen. Ich folge meinen Instinkten.“

In gewisser Weise immer die gleichen Filme macht hingegen Sönke Wortmann. Sein neues Werk Eingeschlossene Gesellschaft spielt im Lehrerzimmer, das pädagogische Personal ist eine schon unverschämt stereotype Anballung von Klischees. Ein Vater will den einen fehlenden Punkt zum Abi für seinen Sohn einfordern, es gibt Konflikte, alles ist lustig gemeint und wo die Witze so gar nicht sitzen, wird ein wenig grimassiert. Der Kollege vom Tagesspiegel brachte die Erfolgsformel und das Problem des Werkes von Regisseur Wortmann auf den Punkt: „Wortmann produziert derzeit einen sagenhaften Ausstoß an vermeintlich provokanten, aber verlässlich schmerzfrei konsumierbaren Gesellschaftskomödien.“

Leichter macht es einem da Geschichten vom Franz, die Verfilmung des Kinderbuchreihenklassikers von Christine Nöstlinger. Kurz gesagt: einer der besten deutschsprachigen Kinderfilme der vergangenen Jahre. Unsere Kritik finden Sie hier.

Abschließend ein weiteres Highlight, nämlich Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen? von Alexandre Koberidze, das seit seiner Premiere bei der Berlinale 2021 allerorten verdientermaßen Lobeshymnen erklingen lässt und zum Kinostart in Deutschland vorige Woche bereits von Kollegin Seitz für den filmfilter beschrieben wurde, nämlich so:

Der allwissende Erzähler räumt am Ende ein, dass seine wilde Fabel über Giorgi und Lisa – die sich auf den ersten Blick verlieben und einander auf den zweiten nicht wiedererkennen, weil zwischenzeitlich ein Fluch ihre Gestalt verändert hat – wahrscheinlich total unwahrscheinlich ist. Und er kann es sich auch nicht so recht erklären, wieso überhaupt einer auf die Idee kommt, ein derartiges Thema zu wählen. Doch deswegen ist dies ein Film, der die Welt besser macht: Er bringt Poesie, Nächstenliebe und gute Laune in sie hinein; in ihm wird ein Film gedreht, dessen Titel lautet „Straßenhunde werden vom Wind gestreichelt“; es gibt eine Zeitlupensequenz, in der Kinder gemeinsam Fußballspielen (denn es ist Fußballweltmeisterschaft); er hat immer Lust auf eine Abschweifung und einen Schabernack; er schaut in die Gesichter und erkennt, dass es auf die Worte nicht ankommt; er hascht nach dem Leben und manchmal, ja manchmal erwischt er es sogar. Koberidze feiert mit seinem Film den magischen Raum des Kinos – im vollen Bewusstsein, dass es ein Fluchtraum ist. Feiern wir mit! Danach ist immer noch Zeit genug zum Heulen.