Knight out

Streaming-Tipps KW 13

Moon Knight, 2022, Jeremy Slater

Ein grüner Ritter (Prime Video), ein Mond-Ritter (Disney+) und ein – nicht immer – ritterlicher Vater (Netflix).

Filme über König Artus gibt es viele, mit Kokosnüssen und Jungfrauen in Not, aber noch nie gab es eine so surreale und philosophische Adaption wie The Green Knight von David Lowery (ab sofort flat auf Amazon Prime Video) – und ich meine das als großes Lob. Der texanische Filmpoet hat aus einem uralten Rittergedicht ein faszinierendes Filmgemälde gemacht, über das man neu rätseln kann. Eine abstrakte, gruselige, unvergessliche Kopfreise darüber, wie man seine Ehre behält, ohne seinen Kopf zu verlieren. Es ist eine faszinierende Kreuzung zwischen Andrei Tarkowskis Andrej Rubljow, John Boormans Excalibur und Ingmar Bergmans Das Siebente Siegel.

Lowerys Kamera folgt Dev Patels Gawain über neblige Berge und durch moosbewachsene Wälder. Sogar mit Leichen übersäte Schlachtfelder haben eine unheimliche Schönheit. Die warmen Töne von Gawains goldenem Umhang dringen durch die kühlen Töne der Dunkelheit. Dann brechen bedrohliche Rottöne hervor: eine Blutlache, ein Rotfuchs. Der Kameramann Andrew Droz Palermo erzeugt eine so fassbare Textur, dass man mit den Fingern über den Bildschirm streichen und sie fühlen könnte, das Kettenhemd, die Baumrinde, das Fuchsfell.

Die Geschichte ist simpel: Gawain wird herausgefordert, dem Grünen Ritter, einer imposanten Halb-Mann-Halb-Baum-Kreatur, einen Schlag zu versetzen, aber der Ritter darf diesen Schlag ein Jahr später erwidern. Als Gawain den Ritter herzhaft enthauptet, hebt der Ritter seinen Kopf wieder auf und geht gackernd davon. Also wird Gawain ein Jahr später dem großen Ende der Dinge entgegen marschieren. Es ist eine Metapher für uns alle, unser Greifen nach Bedeutung, während wir auf die einzige Gewissheit zusteuern, die im Leben existiert. Auf diese Weise ist der neue Film von David Lowery die natürliche Verlängerung seines fabelhaften Fantasyfilms A Ghost Story (2017).

The Green Knight ist offen für mehr als nur eine Interpretation (J. R. R. Tolkien quälte sich jahrzehntelang mit seiner Bedeutung) und es ist sicher kein einfacher Film. Eine Montage am Ende kristallisiert auf ungewöhnlich wundersame Weise ein gut gelebtes Leben. „Ist das alles im Leben?“ will der Ritter wissen. Es gibt keine einfachen Antworten, aber Lowery stellt die richtigen Fragen.

Um einen anderen Ritter geht es in einer neuen Marvel-Serie. In vielerlei Hinsicht ist Moon Knight (exklusiv flat auf Disney+) mehr als man sich erhoffen durfte, seit WandaVision vor rund einem Jahr bei Disneys Streamer anlief. Wie Elizabeth Olsens Wanda ringt der Held im Herzen von Moon Knight um seine psychische Gesundheit. Er leidet an einer „dissoziativen Identitätsstörung“ und es ist das erste Mal seit seiner Netflix-Ära, dass Marvel einen völlig neuen Helden im Fernsehen vorstellt. In den ersten vier von insgesamt sechs Folgen ist er zumeist der Engländer Steven Grant, ein unbeholfener Angestellter eines Londoner Museums-Shops; sein Alter Ego ist der Amerikaner Marc Spector, der sich wiederum in den Selbstjustiz-affinen Moon Knight verwandelt, der für den ägyptischen Gott der Rache arbeitet, eine Sensenmann-ähnliche Kreatur mit Vogeltotenkopf.

Während Steven und Marc versuchen, einen scheinheiligen Schurken (Ethan Hawke) daran zu hindern, eine gefährliche andere ägyptische Gottheit wiederzubeleben, tauschen sie widerwillig die Kontrolle über den Körper von Oscar Isaac, der beide wie gewohnt exzellent spielt, mal mit britischem, mal mit amerikanischem Akzent.

Als Superhelden-Serie, in der es um psychische Erkrankungen geht, ist der Standardvergleichspunkt unweigerlich Noah Hawleys fantastisches X-Men-Spin-off Legion (ebenfalls bei Disney+). Legion ist eine der besten Serien auf diesem Terrain, ein avantgardistisch-subversiver Fiebertraum, der die Grenzen des Genres gesprengt hat. Wie David Haller in Legion vor ihm, läuft Steven Grant/Marc Spector mit einer alternativen Realität im Kopf herum. Moon Knight ist jedoch vergleichsweise konventionell. Bereits beschrieben wurde die Miniserie als eine Mischung aus The Mummy und Indiana Jones und dieses Label ist nicht falsch, aber ich würde gern auch The Mask in den Mix werfen, denn Moon Knight hat einen Slapstick-artigen Sinn für Humor. Die vierte Folge ist eher seelenverwandt mit 12 Monkeys. Ab da wird es wirklich interessant. Moon Knight ist teils Komödie, teils Action-Abenteuer, mit einem Hauch von Romantik und Horror, was es im besten Sinne seltsam macht. Nur vielleicht nicht seltsam genug.

Apropos. Toni Erdmann, der seit seinem Erscheinen 2016 zurecht eine Vielzahl an Filmpreisen gewonnen hat, ist nun endlich auch auf Netflix zu sehen. Zu behaupten, dieser Film sei seltsam, erfasst nicht einmal ansatzweise die Textur der liebenswürdigen Komödie von Maren Ade, weil sie sowohl von reinem Realismus als auch von absoluter Absurdität durchdrungen ist. Zugespitzt: ein Film rund um Emanzipation, Furzkissen und das Abspritzen auf Petits Fours. Toni Erdmann handelt von einem Vater und seiner Tochter, die sich in ihren jeweiligen Menschenkostümen verlieren und einen Punkt erreichen, an dem sie vielleicht vergessen haben, wer sie einmal waren und wer sie sind. Darüber hinaus geht es um die Flüchtigkeit von Momenten, und darum, was es überhaupt bedeutet, glücklich zu sein – inklusive einer legendären Nacktparty. Peter Simonischek und Sandra Hüller bleiben unvergesslich. Er mit seiner Perücke und seinen falschen Zähnen und sie, die seine Possen zuerst mit Fassung und dann mit einem spektakulären Meltdown beantwortet. Es ist ein fein kalibriertes Stück, das seine epische Länge von 162 Minuten vollständig verdient und weit über den „Plainsong“ von The Cure im Abspann hinaus nachhallt. Jetzt gibt es keine Ausrede mehr, dieses Meisterwerk nicht gesehen zu haben.