Depp v Heard

Schmutzwäsche, sortiert aber ungereinigt auf Netflix

Depp, Heard, Netflix
Depp v Heard, 2023, Emma Cooper

„Depp v Heard“: Der Netflix-Dreiteiler reproduziert den notorischen Gerichtsfall, statt ihn auseinanderzunehmen. Analyse einer vergeudeten Chance.

Auf jeden emanzipatorischen Impuls folgt ein Backlash. Und der Rückschlag fiel im Fall der Metoo-Bewegung besonders massiv und gewaltvoll aus. Auf die Verleumdungsklage, die Johnny Depp gegen seine Ex-Frau Amber Heard anstrengte, folgte ein Prozess, medial verstärkt durch zahllose TikTok-, Youtube- und Facebook-Kanäle, Memes und in realtime kommentierten Livestreams. Der Vorwurf: Heard habe mit dem in einem von ihr für die Washington Post verfassten Artikel zu findenden Satz „I became a public figure representing domestic abuse, and I felt the full force of our culture’s wrath for women who speak out“ Depps Karriere geschadet.

Am Ende ist es Depp gelungen, wenn man die Zahl der jeweiligen Hashtags (#justiceforjohnnydepp v. #justiceforamberheard – Milliarden v. Millionen), zum Maßstab nimmt, nicht mehr als Täter, sondern als Opfer von Gewalt gesehen zu werden. Der Karriere von Amber Heard hat der Prozess massiv geschadet. Depps neuer Film hat kürzlich die Filmfestspiele in Cannes eröffnet und läuft nun im Kino. Heards Satz war also, falls er zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihres Artikels nicht schon gestimmt haben sollte, prophetisch.

Aus den über 200 Stunden Filmmaterial hat Filmemacherin Emma Cooper eine zweieinhalbstündige Prozess-Doku zusammengeschnitten. Kameras im Gerichtssaal sind bei Verfahren, in denen über häusliche Gewalt verhandelt wird, ungewöhnlich und schon der erste Skandal in diesem ganzen kaputten Zusammenhang. Was man in Depp v Heard sehen kann, zum Beispiel, ist, wie diese Kameras zu Gewaltinstrumenten geworden sind. Die Idee, sie im Saal aufzustellen, soll, so erzählt es der Film, auf Depp zurückgegangen sein. Seine Sätze „She’s begging for total global humiliation. She’s gonna get it“ wurden in der Berichterstattung häufig zitiert.

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Dass die Aussagen einer Frau, die über die Gewalterfahrungen, die sie machen musste, live von einem Online-Mob kommentiert und in Memes zerhackt und lächerlich gemacht werden, ist an sich schon ein komplett wahnsinniger Vorgang. Dass der Versuch, eine öffentliche Person medial zu zerstören, dann auch noch vermutlich entscheidend für das Urteil der Jury gewesen ist, zeigt in welch krasser Weise Social Media wirklichkeitsbildend sein kann. Depp bekam Recht, Amber Heard wurde zu einer Schadensersatzzahlung von 15 Millionen Dollar verurteilt. Heard wiederum bekam zwei Millionen Dollar Schadensersatz zugesprochen, da Depps Anwalt Adam Waldman mit der Behauptung, sie und ihre Freunde hätten das Penthouse seines Klienten verwüstet, Heard verleumdet hätte.

Emma Coopers Film bekommt den Prozess leider nur verschwommen in den Blick. Depp v Heard ist eine dreistündige Shitshow, die die schlimmsten Prozessmomente allerdings ausspart und die den Social-Media-Exzess damals befeuernde Misogynie runterdimmt. Was dann leider den Eindruck erweckt, als hätte der Film Schiss vor der Vernichtungsdynamik, die er zu dokumentieren versucht. Immer wieder zeigt Cooper Symbolbilder von Menschen, die zu düster dräuender Musik auf ihre Handys starren, rubriziert das Social-Media-Geschehen aber eher unter Sensationslust und Sittenverfall. Die Clips sollen irgendwie für sich sprechen.

Ohne Haltung zum Material, (nahezu) ohne Kommentar, ohne eine wirkliche juristische Einschätzung (dass Amber Heards Vorwürfe gegen Depp 2020 nach einer ersten Verleumdungsklage des Schauspielers gegen die Sun von einem Gericht in Großbritannien bestätigt wurden, spielt in der ganzen Debatte kaum eine Rolle) bleibt alles undeutlich. Erkennbar wird in der Montage des Materials aus dem Gerichtssaal und seiner Verwurstung auf TikTok, wie voreingenommen und hämisch das Publikum von Tag eins an war. Woher diese Voreingenommenheit und der kalte Hass, mit dem hier jemand fertiggemacht werden sollte, kommen, was für Dynamiken da gewirkt habe – man kann es nur ahnen. Depp v Heard schweigt sich aus. Das Ganze steht, nicht falsch, als „einer der schlimmsten Fälle von Cybermobbing“ da. Nur wird dieser Fall dann eben nicht auseinandergenommen, sondern reproduziert. Anstatt zum Beispiel den misogynen Mob als misogynen Mob kenntlich werden zu lassen.

Mit der Einschätzung des Prozesses und des Urteils verhält es sich ähnlich, Depp v Heard kommt nicht aus der Deckung. Es liegen inzwischen, ein Jahr nach Prozessende, genügend Texte vor, die darauf hinweisen, dass es für die häusliche Gewalt das perfekte Opfer nicht braucht; eine Rolle, die Heard nicht erfüllen konnte und wohl auch nicht wollte. Dass ein alkohol- und drogenabhängiger, schlagender Ehemann – der zum Beispiel seiner Frau im Flugzeug in den Rücken tritt und ihre Schwester an den Haaren zieht – selbst Gewalt erfährt, also auch mal eine geballert bekommt, wurde als Beweis dafür genommen, dass Depp das eigentliche Opfer gewesen ist. Und damit für die ungebrochen misogyne Fraktion unter den Kommentatoren zum rhetorischen Beleg dafür, dass den Aussagen von Frauen, die Beziehungsgewalt erlebt haben, generell nicht zu trauen wäre.

Dass jenseits des Online-Mobs so viele im Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis Depp, der im Prozess als Schauspieler aus einer Machtposition heraus besser performt hat als Heard aus der Defensive, „sympathischer“ fanden (oder das ganze eben einfach als Shitshow von zwei kaputten Promis abgehakt hat) und diese Sympathie mit einer Klärung der Schuldfrage verwechselt haben, mag auch daran liegen, dass das Wissen über Beziehungsgewalt nicht sehr verbreitet ist; und da schließe ich mich selbst mit ein. Was auch damit zu tun hat, dass vieles hier nicht gewusst werden will. Sollte die Einschätzung des Prozesses sich rückblickend ändern, nicht nur als Symbol für den Backlash gegen Metoo, sondern auch als dessen wesentlicher Moment: Es wird an den Stimmen liegen, die darauf insistieren, dass Machtgefälle bei häuslicher Gewalt eine zentrale Rolle spielen und dass es das perfekte Opfer nicht geben kann. Ein Film wie Depp v Heard trägt dazu wenig bei.

 

Depp v Heard
UK 2023, Regie Emma Cooper
Laufzeit 146 Minuten (3 Episoden)