„Schulen dieser Welt“: Antworten auf drängende Kinobesuchsfragen liefert aus Berlin: Alexandra Seitz.
Wenn auf der einen Seite die bösen Toten sich erheben (Evil Dead Rise) und auf der anderen Seite ein Wal heranwalzt (The Whale), dann haben drei einfache Lehrerinnen, die in entlegenen Weltgegenden ihrer Tätigkeit nachgehen, natürlich eher schlechte Karten. Drum richten wir unseren strikt subjektiven Blick gleich zu Beginn auf den Dokumentarfilm Schulen dieser Welt von Émilie Thérond, der seinen Wohlfühlfilm-Strategien zum Trotz recht deutlich vor Augen führt, mit welchen Widrigkeiten Menschen zu kämpfen haben, die sich die von allen allerorten (abgesehen von den Taliban in Afghanistan) geforderte Bildung zum persönlichen Auftrag wählen. Sandrine Zongo unterrichtet in einer strohgedeckten Baracke in einem Dorf im Hinterland von Burkina Faso einen Riesenhaufen Kinder, deren Dialekte sie kaum versteht. Taslima Akter ist in Bangladesch mit einem Schulschiff unterwegs (eine Folge des Umstands, dass das Land absäuft) und bemüht sich nach Kräften, ihre Schülerinnen vor Zwangsheiraten zu bewahren; womit sie sich, es lässt sich denken, bei den Eltern denkbar unbeliebt macht. Svetlana Vassileva bewegt ihr mit allerhand anregendem, pädagogischem Schnickschnack ausgerüstetes Schulzelt per Rentier-Schlitten durch Sibirien, um die Nachkommen der dort umher ziehenden Ewenken zu unterrichten und ihnen ein Bewusstsein ihrer eigenen Kultur zu vermitteln. Drei Beispiele nur, aber völlig ausreichend, um zu begreifen, dass jeder Angriff auf Bildungsmöglichkeiten auch ein direkter Angriff auf die Freiheit des Menschen ist. Insofern sei Schulen dieser Welt all jenen ans Herz gelegt, die meinen, sie wüssten schon genug.
Weil wir’s neulich von Seneca hatten, dem alten Lateiner … der berühmte römische Staatsmann Cato der Ältere beschloss seine Reden gerne mit dem Satz: „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam“ (Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss). Den nehmen wir uns jetzt zum Vorbild und den Kinostart von Christian Petzolds neuem Film Roter Himmel zum Anlass, den Berlin-Brief neuerlich mit einem Hinweis zu versehen: Eigentlich hätte Thomas Schubert am Ende der diesjährigen Berlinale mit dem Silbernen Bären für die Beste Schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle nachhause gehen müssen. Schuberts semi-verkrachter Schriftsteller Leon in Petzolds Film ist nämlich schlicht eine Schau: Spaßbremse und Spielverderber, bringt er eine verklemmte Schwere in die sommerliche Luftigkeit des Wochenendes, das vier junge Leute gemeinsam in einem Haus an der Ostsee verbringen. Das so unbeschwert dann doch nicht ist, denn es tobt ein Feuer in den Wäldern, das färbt den Himmel rot. Leon aber nervt mit der Gespreiztheit, mit der er sein Künstlertum wie eine Monstranz vor sich herträgt. Und wenn er sich aus gemeinschaftlichem Badevergnügen ausklinkt mit der Begründung „Die Arbeit lässt es nicht zu“, dann ist nicht nur ein großer Sager geboren. Leon scheint nur um sich selbst zu kreisen, bis Filmemacher Petzold in einer atemberaubend kunstvollen Volte die Erzählperspektive neu definiert und das Scheitern sich zum Triumph wendet, während zugleich die Geschichte aus dem Genre der sanften Komödie entschlossen in jenes der Tragödie hinüberspringt. Denn das Feuer tobt nicht nur in den Kulissen.
Und übrigens hätte Petzold von mir aus auch gerne den Goldenen Bären …
Ebenso wie auf einen Film von Christian Petzold darf man auch immer auf einen von Sam Mendes gespannt sein. American Beauty, Road to Perdition, Revolutionary Road sind große Werke, selbst wenn sie, zugegeben, schon etwas länger zurückliegen. Und 1917, Mendes voriger Film, hatte weit mehr zu bieten als lediglich das Gimmick der vorgeblich einen Einstellung, in der er gedreht worden war. Nun also Empire of Light (läuft diese Woche auch in AT im Kino an), angesiedelt in den frühen 1980er Jahren in einem alten Kino in einem englischen Küstenort. Schon wirbeln vor dem geistigen Auge die Staubwolken jenes nostalgischen Charmes auf, der dem analogen Zeitalter und dem Zelluloid-Streifen, der durch den Projektor rattert, mittlerweile anhaftet. Schon will einen die Wehmut ergreifen angesichts vergangener Gemächlichkeit, da fällt einem gerade noch rechtzeitig ein, dass alte Zeiten nicht automatisch gute sind beziehungsweise waren – wie Mendes hier denn auch gründlich beweist. Allerdings verzettelt er sich bei dieser Gelegenheit nicht minder gründlich in den Verästelungen seines Drehbuchs, das er erstmals zur Gänze allein verantwortet. Offenbar hat er sich von keinem seiner Einfälle trennen mögen, weswegen sich nun allzuviele Themen und Motive gegenseitig im Licht stehen. Dergestalt, dass am Ende das titelgebende Lichtspieltheater – ein Art-déco-Schmuckstück komplett mit Ballsaal und unwiderstehlich heruntergerockter Aura – das wunderbare Ensemble (darunter Olivia Colman, Toby Jones und Colin Firth) einfach in den Schatten stellt. Und das war das.
Auch einer, dessen Werke, wenngleich erst seit Kürzerem, garantierte Aufmerksamkeit erregen: Ari Aster, der mit Hereditary und Midsommar doch etwas mehr als nur Talent für den etwas anderen Horror bewiesen hat. Dementsprechend neugierig erwarteten alle und noch ein paar mehr Beau Is Afraid, in dem Joaquin Phoenix ohne Tadel den titelgebenden armen Tropf spielt, der unterwegs zur Beerdigung seiner Mutter durch die Hölle geht. Nach faszinierendem Beginn jedoch setzt alsbald Ernüchterung ein. Geschlagene drei Stunden lang hetzt Aster seinen Beau durch traumatische Abgründe und psychotische Untiefen, pflastert dessen Weg mit paranoidem und hysterischem Personal. Je länger es zugeht wie im Irrenhaus, umso weniger Sinn ergeben die Ereignisse, die als Albträume, Erinnerungen, Vorahnungen, Geschichten-in-Geschichten sowie möglicherweise tatsächliches Geschehen präsentiert werden. Das mag im Einzelnen faszinierend sein, am Ende bleibt die Ratlosigkeit: Was ging da vor sich? Vor allem aber: Was ging da schief? Wie es aussieht, hatte Aster das gleiche Problem wie Mendes und verfing sich im Dickicht seiner Narration. Immerhin gelingt ihm der Beweis, dass Film zur Therapie einer konfusen Psyche nur bedingt taugt. Weil das fantasieliebende Medium allzu gerne die Seiten wechselt und weiteres Chaos stiftet, wo Ordnung not täte.
An weiteren Seltsamkeiten besteht zudem kein Mangel. Brendan Cronenberg beweist mit Infinity Pool – der außerordentlich grausamen Demontage, nein, Kastration eines ohnehin bereits schwachen Mannes – ein weiteres Mal, dass der Apfel nicht weit vom Stamm gefallen ist; das ist einerseits nicht verwunderlich, andererseits dann doch beunruhigend. Jalmari Helander fügt mit Sisu dem verdienstvollen Mini-Subgenre des Massaker-an-Nazis-in-Fennoskandinavien ein besonders dreck- und blutverschmiertes Exempel hinzu. Und in Ann Orens Piaffe wächst einer Geräuschemacherin, die eine Pferdedressur vertont, aus Solidarität(?) ein Pferdeschwanz aus dem Steiß, was in der Folge zu ziemlich sinnlichen Eskapaden führt, im Ganzen aber auch wiederum eher wenig Sinn ergibt. Das mit dem Sinn, das ist eben so eine Sache; Schriftsteller Leon kann ein Lied davon singen; apropos, erwähnte ich bereits die fehlende Bärenvergabe an …?