Oskars Kleid

Neu im Kino KW 51/52 (AT)

Tabak, Oskars Kleid
Oskars Kleid, 2022, Hüseyin Tabak

Oskars Kleid, Eselsohren, Edgar Allan Poe, Whitney Houston, Ennio Morricone, der letzte Wunsch eines gestiefelten Katers und noch ein paar Starts zu Silvester: Das Kinojahr endet schön und gut und bunt. Von Benjamin Moldenhauer und Roman Scheiber.

Ein Kritiker-Liebling der vergangenen Festival-Saison war EO, Jerzy Skolimowskis Neuinterpretation (nicht Remake) von Robert Bressons Meisterwerk Zum Beispiel Balthazar. Die Passionsgeschichte eines Tiers als unspezifische Metapher, mit denen Zuschauerin und Zuschauer eigene Emotionen verbinden können. Wundervoll gefilmt, nicht zuletzt. Unsere Kritik zu EO finden Sie hier.

Gesellschaftliche Zwänge ergreifen auch Denken und Fühlen des von der Mutter seines Sohnes getrennten Vaters Ben (Florian David Fitz). Ben nämlich kommt nicht damit zurecht, dass Oskar (Laurì) gerne Kleider trägt und gar kein Sohn ist, sondern eine Tochter, Lili. Hüseyin Tabak, der bereits mit Filmen wie Deine Schönheit ist nichts wert und Gipsy Queen einen sehr empathischen Blick für Außenseiterfiguren an den Tag gelegt hat, erzählt in Oskars Kleid von Irritation, Abwehr und einer Verwandlung – einer Verwandlung nicht nur des Kindes, sondern auch des Vaters. Und das alles in einem heiteren, gelösten Ton, der der Gender-Debatte viel von ihrer Schwere nimmt.

Klassisches Thriller-Material mit einigen Verweisen und Anspielungen fährt Der denkwürdige Fall des Mr. Poe auf (schöner Originaltitel: The Pale Blue Eye). Christian Bale untersucht im dunkel-verschneiten Staat New York einen angeblichen Selbstmord, der sich bald als Ritualmord entpuppt. Unterstützt wird der Ermittler von einem jungen Kadetten, Edgar Allan Poe… Regisseur Scott Cooper (Out of the Furnace, Hostiles, beide ebenfalls mit Bale in der Hauptrolle, Antlers) zeichnet erneut ein sehr finsteres, in diesem Fall gothic anmutendes Bild der USA. Nach exklusiv anmutenden Vorführungen im Wiener Gartenbau, in Stockerau bzw. Neunkirchen erscheint erscheint die Romanadaption nach den Weihnachtsferien auf ihrer Produktionsplattform Netflix.

Zweimal Musik: Das Biopic Whitney Houston: I Wanna Dance With Somebody erzählt Aufstieg (eine unglaublich hohe Zahl verkaufter Alben und Singles, „I Will Always Love You“) und Fall (Ehe mit Bobby Brown, Drogen) der Titelheldin als tragische Heldinnengeschichte.

Ruhiger geht es in dem Dokumentarfilm Ennio Morricone – Der Maestro zu. Der wohl produktivste Soundtrack-Komponist, dessen Werk ohne nennenswerte Ausreißer nach unten monolithenhaft in der Landschaft steht, ist hier bei der Arbeit und in vielen Interviews zu sehen. Begleitet von durchweg Bewunderung erkennen lassenden Zeitgenossen wie Bernardo Bertolucci, Oliver Stone, Quentin Tarantino, Hans Zimmer. Und Bruce Springsteen.

Der Kinderfilm der Woche ist zugleich auch einer der unterhaltsamsten Filme, die in diesem Jahr noch in die Kinos kommen. Der gestiefelte Kater 2: Der letzte Wunsch / Puss in Boots: The Last Wish schließt an den bislang unerklärlicherweise sequel-los gebliebenen ersten Teil aus dem Jahr 2011 an. Der erschien zur Hochzeit des alle Alterklassen abholenden Kinderfilms der Pixar-Schule, als Shrek-Spin-off, welches das ursprüngliche Franchise in Sachen Tempo, Wortwitz und vor allem Animationskunst noch übertraf. Und auch das Sequel sieht – geht man nach dem Trailer – wieder äußerst vielversprechend aus.

Ein Ausblick noch auf die letzte Dezemberkinowoche: Was man von hier aus sehen kann setzt ganz auf wehmütige Skurrilität. Ein Bild der deutschen Provinz, die hier als Ort des magischen Realismus gefasst wird: Aberglaube, wahrsagerische Träume vom Tod, Amélie-artige Figuren, die meist irgendeinen ulkigen oder unheimlichen Sockenschuss haben, aber am Ende doch fast allesamt liebenswert erscheinen.

Auch erscheint der neue Streich des notorisch liebenswerten Filmemachers Marko Doringer, Mein Wenn und Aber. Nach Mein halbes Leben und Nägel mit Köpfen schließt er eine hochpersönliche Trilogie der Existenzbefragung ab, wir hoffen: mit Erfolg. Ein Gespräch mit Marko Doringer finden Sie in unserem Podcast.

Mia Hansen-Løve ist spätestens seit Alles was kommt und Eden eine der genauesten filmischen Beobachterinnen von Lebensschicksalen zur Zeit. Mit Bergman Island (einen erhellenden Aufsatz dazu finden Sie hier) hat sie zuletzt außerdem eine tiefgreifende Reflexion des Verhältnisses von Film und Leben geschaffen. In ihrem neuen Film An einem schönen Morgen (Trailer hier) spielt Lea Seydoux eine junge Witwe, die als alleinerziehende Mutter in Paris zwischen Beruf und dem Leben mit Kindern klarkommen muss. Damit ist Hansen-Løve zum autobiografisch gefärbten Biografie-Kino zurückgekehrt, das im französischen Bildungsbürgertum spielt, ohne Metaebene und reflexiven Bruch.

Wir wünschen ein frohes Fest, schöne Feiertage sowie einen guten Rutsch und melden uns wieder mit der nächsten Kinovorschau am 5. Jänner 2023!
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