Männerkisten

Neu im Kino KW 21

Operation Mincemeat, 2021, John Madden

Kampfpiloten („Top Gun Maverick“), Weltkriegsstrategen („Die Täuschung“), Eckkneipenhelden („Heikos Welt“), ein Avantgardefilmer und Männer, die plötzlich über Sex reflektieren – alles besser als der Immenhof. Eine Auswahl der dieswöchigen Kinostarts.

Manche Sequels kommen spät, und wirklich drauf gewartet hat in diesem Fall wohl kaum noch wer. Der Produktionsprozess von Top Gun: Maverick zog sich über Jahre, ein ewiges Hin und Her, das unter anderem dem Problem geschuldet war, wie man die Geschichte in die Jetztzeit überträgt. Schließlich liege, wie vulture.com schon 2010 vermeldete, der Fokus der United States Navy Fighter Weapons School inzwischen „less on the spectacular and dramatic air-to-air dogfights“ sondern in der Befähigung der Piloten, „to drop very large bombs on very small ground targets“. Was natürlich keine so schönen Heldengeschichten abgibt. Dem Trailer nach zu urteilen, haben sich die Produzenten (u.a. Jerry Bruckheimer und Tom Cruise), Drehbuchautoren (u.a. Ehren Kruger) und Regisseur Joseph Kosinski darauf verständigt, derlei Feinheiten der aktuellen Militärpraxis zu ignorieren und so zu tun, als wäre, in dieser Hinsicht, für immer 1986. (Und doch kann man diesem Film so einiges abgewinnen, findet unsere Rezensentin.)

Noch einmal Krieg, diesmal nicht als Technik fetischisierendes Spektakel, sondern in edel-getönten Farben: Die Täuschung erzählt, natürlich basierend auf historisch belegten Ereignissen, wie die Engländer im 2. Weltkrieg die Deutschen spektakulär übers Ohr gehauen haben. Um von der geplanten Invasion Siziliens abzulenken, wird eine Leiche über dem Meer abgeworfen, mit gefälschten Plänen in der Uniformtasche. Operation Mincemeat heißt Die Täuschung in der Originalversion; Regisseur John Madden und das Drehbuch von Michelle Ashford lösen das narrative Problem von Historienfilmen, das entsteht, wenn der Ausgang einer Geschichte bekannt ist, recht souverän. Die Täuschung konzentriert sich auf den Prozess und zeigt im Wesentlichen Charakterköpfe, die miteinander diskutieren, geistreiche Sachen sagen und hin und wieder dem Pathos freien Lauf lassen.

Wenn die Deutschen den 2. Weltkrieg gewonnen hätten, würden heute wahrscheinlich nur noch solche Filme gedreht: Immenhof 2 – Das große Versprechen besticht durch Postkartenbilder schöner Natur, junger Frauen, die auf Pferden reiten und durch viele Sätze, die klingen, als hätte sie jemand ausgestanzt („Ich dachte, das Triple wär vom Tisch“, „Das hat bis heute noch kein Pferd geschafft“, „Das Triple. Nur darauf kommt es an.“). Ein Film, der so gesund wirkt, das man beim Zuschauen Atemnot bekommt.

Wesentlich sympathischer ist da das versoffene Eckkneipen-Universum in Heikos Welt, das der Titelheld durchreist, um mit Dartspielen genügend Geld zusammenzubekommen, um seiner Mutter eine Augen-OP zu finanzieren. Diese etwas gewollte Plotkonstruktion hätte es gar nicht gebraucht, Dominik Galizias Film überzeugt durch Milieu- und Charakterstudien einer in Zeiten des Kneipensterbens wenn nicht untergehenden, so doch zunehmend dünner besiedelten Welt. Martin Rohde spielt den schief in die Landschaft gestellten Heiko, der vor allem gerne Bier trinkt, ganz wunderbar. Vielleicht sollten in Deutschland einfach mehr Eckkneipen- und weniger Pferdehoffilme gemacht werden.

Dass Männer, wenn sie unter sich sind, über Sex sprechen, kommt selten vor. Meist geht es um Macht, wenn über Sexuelles gesprochen wird, und das, worum es sonst noch gehen könnte, kommt nicht zur Sprache. Die Kamera in Jonas Rothlaenders Dokumentarfilm Das starke Geschlecht – Männer reden über Sex scheint da eine fokussierende Wirkung zu haben: In dem Moment, in dem man weiß, das potenziell jeder und jede hören kann, was man sagt, beginnt ein komplexer Prozess der Wahrheitsfindung – Wahrheiten über einen selbst und das Verhältnis zu anderen. Das Setting: Die Interviewten werden mit anonymen Erfahrungsberichten anderer Männer zum Thema Sexualität und Begehren konfrontiert und kommen von da aus ins Reflektieren. Die Leitfrage: „Wenn fast jede Frau aus meinem Umfeld schon mal sexuelle Belästigung oder Gewalt erlebt hat, was sagt das dann über meine männlichen Freunde und mich selbst aus?“ Dem Film ist eine Triggerwarnung vorgeschaltet, und wirklich hoffnungsfroh stimmt einen all das nicht. Aber alles, was derartige Gespräche in Gang bringt, kann man nur begrüßen.

Formal um einiges gewagter ist James Bennings The United States Of America, der auf Bennings gleichnamigen Film von 1975 zurückverweist (als der US-Avantgardist noch ein Geheimtipp war). Eine geschichtsgesättigte Aufnahme des heutigen Amerika in langen, statischen Einstellungen (auch diese Art des Filmemachens hat mit Slow Cinema zu tun), einmal durch alle Staaten des Landes, alphabetisch sortiert und hinterlegt mit voice over und field recordings. „I want to confront people with time“, hat James Benning einmal in einem Interview erklärt. Allerdings wüsste er auch nicht, ob Zeit existiert. Ob sie existiert oder nicht, zumindest bekommt man sie als Zuschauer:in von Bennings Filmen zu spüren. Wenn man sich in diese Bilder einklinkt, verlangsamt sich das Sehen und das Denken, und wird, bilde ich mir zumindest ein, genauer als sonst im Kinosaal.