Einfach mal was Schönes

Neu im Kino KW 46 (DE)

González Iñárritu, Bardo
Bardo, 2022, Alejandro González Iñárritu

„Einfach mal was Schönes“: Im Kino gibt es erfundene Chroniken einer Handvoll Wahrheiten und so einiges mehr. Unser Wochenfilter.

Man kann den Filmen von Alejandro González Iñárritu so einiges vorwerfen – formale Überladenheit, ein bisschen arg viel Bedeutsamkeit, Selbstverliebtheit; aber langweilig sind sie eigentlich nie. Das gilt auch für Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten, der jetzt in einigen Kinos anläuft und im Dezember dann auf Netflix. Überladen ist das alles wieder und allemal: Ursprünglich drei Stunden lang, hat Iñárritu (Birdman, The Revenant) seinen Film nach der Premiere auf zweieinhalb gekürzt. Erzählt wird von der inneren und äußeren Reise des Journalisten und Filmemachers Silverio (Daniel Giménez Cacho), der aus Los Angeles – der Stadt, in der auch Iñárritu lebt – nach Mexiko – dem Heimatland Iñárritus – zurückkehrt und in eine erkenntnisträchtige Lebenskrise gerät. Alles, Gegenwart und Vergangenheit vor allem, gerät durcheinander, und der Trailer ist schon mal rätselhaft wie nur was.

Noch eine Netflix-Produktion, aber eine ungebrochen unterhaltsame. Glass Onion: A Knives Out Mystery schließt an den ersten Knives Out an (hier unser kurzer Text dazu), der dem altehrwürdigen Genre des Whodunit neues Leben einhauchte. Daniel Craig rangelt sich als Privatdetektiv Benoit Blanc wieder, bewaffnet nur mit der eigenen Auffassungsaufgabe und der Macht der Logik, mit einer ganzen Reihe von charakterlich alles andere als astreinen Verdächtigen. Dieses Mal in Griechenland: Dort residiert der Milliardär Miles Bron (Edward Norton), der die Unternehmerin Andi Brand (Janelle Monáe), die Politikerin Claire Debella (Kathryn Hahn), den Wissenschaftler Lionel Toussaint (Leslie Odom Jr.), die Modedesignerin Birdie Jay (Kate Hudson) und deren Assistentin Peg (Jessica Henwick) sowie den YouTube-Star Duke Cody (Dave Bautista) sowie dessen Freundin Whiskey (Madelyn Cline) auf seine Privatinsel eingeladen hat. Jemand stirbt, und los geht es mit der heiteren Rätselraterei, während der sich natürlich Abgründe auftun – was auch sonst.

Abgründe unter der glatten Oberfläche hat es auch in The Menu zuhauf. Ralph Fiennes spielt in der schwarzen Horrorkomödie einen exzentrischen Starkoch, der auf einer abgelegenen Insel eine Gruppe ausgesuchter Gäste bewirtet und sich nach und nach als faschistoider Extremist entpuppt. Als ästhetischer Extremist, genau genommen, der Kochen als Kunst versteht, der sich die Menschen unterzuordnen haben. Das endet dann natürlich in Heulen und Zähneklappern, und das alles könnte sowohl als Horrorfilm wie auch im Subtext platt geraten sein, wären da nicht der wunderbare Cast (u.a. Ralph Fiennes, Anya Taylor-Joy und Nicholas Hoult) und die erstaunlich stilsichere Regie von Mark Mylod, der bislang vor allem mit Serienproduktionen aufgefallen ist (Shameless, Succession). Unsere Kritik hier.

The Magic Flute – Das Vermächtnis der Zauberflöte hingegen löst ein, was das Luxusdinner seinen gelangweilten Gästen nur verspricht: zwei Stunden Eskapismus. Der Gesangsstudent Tim Walker (Jack Wolfe) öffnet in einem österreichischen Internat ein Portal, das direkt in die Welt von Mozarts Zauberflöte führt. Dort wird er zu Prinz Tamino und in die Geschichte um die Befreiung der Prinzessin Pamina (Asha Banks) aus den Klauen Sarastros (Morris Robinson) hineingezogen – immer im steten Wechsel mit der Wirklichkeit. Der Film ist neben vielem anderen auch ein Beleg dafür, dass man im Kino nach wie vor gerne jeden schönen Quatsch glaubt, wenn er nur überzeugend und pompös genug inszeniert ist.

Manche Songs lösen sich von ihren Autor:innen, entwickeln ein Eigenleben und bleiben doch eng mit ihnen verbunden. Leonard Cohens „Hallelujah“ ist so ein Song. Eines dieser ewig gültigen Lieder, die den Eindruck vermitteln, dass etwas Wesentliches (und beim Hören nach dem vierten Bier vielleicht sogar das Wesentliche) gesagt worden ist. Der Dokumentarfilm Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song entfaltet ausgehend von Cohens populärsten Lied ein Portrait des Künstlers – alles im etablierten Musik-Doku-Format und formal nicht aufregend, aber sehr schön anzusehen. Und vor allem anzuhören.

Karoline Herfurth hat sich in den letzten Jahren als eine Art Chronistin der Gegenwart von Mittelschichtsfrauen in Deutschland etabliert. Ihr letzter Film Wunderschön lief erst vor wenigen Monaten in den Kinos und erzählte recht überzeugend von den Schrecken und Belastungen des Schönheitswahns. Einfach mal was Schönes kreist um unkonventionelle Lebensentwürfe und Familienplanungen. Wenn man, wie Karla (Karoline Herfurth), auf die 40 zumarschiert und sich partout nicht der passende Mann für die Familiengründung finden lassen will, muss man sich anders behelfen. Die Mutter und die Geschwister von Karla sind von der Idee einer Mutterschaft ohne Vater allerdings nicht begeistert, und aus dieser Konstellation bastelt Herfurth Einfach mal was Schönes: treffende Kommentare zu Mutterschaft und den gesellschaftlichen Anforderungen an Frauen im Deutschland der Gegenwart.

Die zweite deutsche Komödie, die in dieser Woche startet, erzählt von einem Paar, das das Gröbste bereits hinter sich hat. Alice (Esther Gemsch) und ihr Mann Peter (Stefan Kurt) sind frisch pensioniert und fahren auf Kreuzfahrt. Alices Idee, die Beziehung nach vierzig Jahren Ehe wieder zu beleben, scheitert; Alice tritt bei einem Landgang die Flucht an, dann geht es drunter und drüber. Die goldenen Jahre, geschrieben von Petra Volpe und inszeniert von Barbara Kulcsar, handelt von einer Ehekrise und tut trotzdem niemandem weh.

Der Kinderfilm der Woche läutet recht früh die Festtagskinosaison ein: Ein Weihnachtsfest für Teddy ist ein geradezu berauschend nostalgischer Weihnachtsfilm über einen Bären, der auf Weltreise gehen will. Und eine wehmütige Erinnerung an die Zeit, in der Kinder sich keine Playstation 5, sondern einen Plüschbären zu Weihnachten gewünscht haben. Wertkonservatives norwegisches Kinderkino mit dem Herz am rechten Fleck.

Last, not least: The Middle Man – hier die Besprechung des perlentaucher.