Tortilla total

Mehrgängiges Menü mit Knalleffekt: „The Menu“ von Mark Mylod – im Kino (AT/DE)

Mylod, The Menu
The Menu, 2022, Mark Mylod

„The Menu“ ist ein mordsmäßig amüsanter Thriller, der „Zehn kleine Negerlein“ variiert und mit „Ratatouille“-Ingredienzen zu veredeln sucht.

Das Setup ist fast schon eine Standardsituation im Genrefilm: Mehr oder weniger hochkarätige bzw. eitle Gäste werden per Einladung eines mehr oder weniger mysteriösen Gastgebers zusammengewürfelt (zuletzt etwa auch in der Episode „The Viewing“ in Guillermo del Toros Cabinet of Curiosities) – doch dann eskaliert die Situation aus mehr oder weniger geplanten Gründen.

In diesem Fall finden sich die Gäste in einen schicken Gourmet-Tempel auf einem idyllischen Eiland zusammen (Küche und Gastraum in einem), wo der von Ralph Fiennes köstlich inkarnierte Chef Slowik vor jedem Gang per lautem Händeklatschen um deren Aufmerksamkeit, nein, nicht bittet, sondern diese regelrecht einfordert. Unterstützt wird er dabei von seiner hantig-höflichen Oberkellnerin Elsa (Hong Chau) und bald nach dem Amuse-Gueule und ein paar Sticheleien zwischen dem Hausherrn und ein paar wenig manierlichen Gästen geht es gleich einmal recht beuschelig zu. Wenn nämlich ein minderbegabter Koch aus Slowiks Team sich vor versammelter Kundschaft entleibt, „weil er niemals auch nur annähernd die Klasse seines Chefkochs erreichen wird“.

Fiennes, The Menu

Ab diesem Moment bricht selbstredend Panik aus, gefolgt von irrationalen Ausrede- und Ausbruchsversuchen, und rasch wird allen klar: Das war nur der Vorgeschmack. Chef Slowik will hier nicht nur eine Speisenabfolge zelebrieren, sondern ein tödliches Gesamtkunstwerk. Kleiner Hinweis: Der Gottkomplex des verkannten Kochkünstlers spielt im Drehbuch mehr als nur eine Nebenrolle. Nicht einmal die Gourmetkritikerin, die ihn einst „hochschrieb“ (Janet McTeer), weiß die Genialität des Meisters wahrlich zu würdigen.

Aus dem Genre-Menü schält sich also ein zunächst verrätselter Thriller heraus – inklusive hochoffiziellem Versteckspiel auf der Insel zwischendurch –, dessen flamboyanter Überbau (philosophische Bemerkungen zu Herkunft und Erlesenheit der Zutaten, Dekorieren der einzelnen Gänge als persönliche Kommentare für die Gäste) im Lauf der rituellen Inszenierung des Chefs zerbröselt. Was The Menu allerdings ziemlich gut schafft, ist, Kapitalismus- und Konsumkritik und Haute-Cuisine-Getue fesselnd und unterhaltsam als böse Horrorkomödie in ein Fegefeuer der Eitelkeiten aufzugießen.

Geschmacklich insgesamt gut abgerundet wird das „More you can eat“-Buffet in der Regie von Mark Mylod, der u.a. für 13 Episoden der vor allem unter US-Demokraten hochbeliebten Serie Succession zuständig war, durch exquisite Schauspielleistungen: Neben Fiennes vor allem von Anya Taylor-Joy (The Queen’s Gambit) und Nicholas Hoult, die als nebulöses Pärchen für Verstörung sorgen. Man darf sich von The Menu erwarten, dass er sein dick aufgetragenes Besteck raffiniert zum Einsatz bringt; nicht aber, dass er seinen künstlerischen „Happening“-Charakter in mehr als eine knalleffektartige Showdown-Performance überführt. Zirka ab dem vierten Gang dominiert selbstzweckhaftes Genre-Gimmick über die vom Film selbst viel beschworene substanzielle Essenz seiner Menüfolge (bzw. seiner Kapitel, was ja hier so ziemlich in eins fällt).

Am Ende wird der ganzen Manieriertheit dann auch noch eine psychologisch gewagte Schlusspointe abgerungen. Mit diesem Kunstwerk ist es ein wenig wie mit dem Genuss von Gänsestopfleber: ein vollmundiger Snack, der aber einen leicht schalen Nachgeschmack hinterlässt.

 

The Menu
USA 2022, Regie Mark Mylod Drehbuch Seth Reiss, Will Tracy
Mit Ralph Fiennes, Anya Taylor-Joy, Nicholas Hoult, Hong Chau, John Leguizamo, Aimee Carrero, Paul Adelstein, Janet McTeer, Christina Brucato
Laufzeit 106 Minuten